Die Sicht der Anderen: Das russische Fernsehen rechnet mit der Ära Merkel ab – eine bittere Bilanz

Das russische Fernsehen hat sich am Sonntag in dem politischen Wochenrückblick „Nachrichten der Woche“ mit Angela Merkels Rücktritt vom Amt der Parteichefin der CDU beschäftigt und in wirklich ungewohnt deutlicher Weise mit Merkel und ihrer Politik abgerechnet. Ich übersetze hier den Beitrag.
 
Beginn der Übersetzung:
 
Wahrscheinlich war das zentrale Ereignis Europas letzte Woche die Ankündigung von Angela Merkel, dass sie 2021 nicht mehr als Kanzlerin antritt. Klingt nach einer persönlichen Entscheidung, aber tatsächlich wurde sie, wie es heißt, von dem Druck der Volksmassen getroffen, die regelmäßig und immer wieder bei Landtagswahlen in Deutschland Angela Merkel und ihre Partei immer mehr das Vertrauen entzogen haben.
 
Merkel ist ein politisches Urgestein in Europa. Sie ist seit 13 Jahren am Ruder. Lange Zeit wurde sie in Deutschland „Mutti“ genannt und mit ihr verband sich die Hoffnung auf Schutz und Fortschritt sowohl des Landes als auch Europas. Und jetzt, als Merkel plötzlich selbst „weggeblasen“ wurde und nichts mehr von ihr zu erwarten war, schrieb man plötzlich, dass sie die schlechteste Kanzlerin in der Geschichte Deutschlands war.
 
Und wirklich. Mit Russland hat sie sich zerstritten und die erfolgreiche Ostpolitik ihrer Vorgänger verraten. Bundeskanzler Helmut Kohl hat ihren Aufstieg ermöglicht – der Kanzler, der Deutschland vereinigt hat. Kohl nannte sie sogar „mein Mädchen“, aber sie hat auch ihn verraten.
 
Merkel hat auf die Amerikaner gesetzt. Aber die haben Merkel nicht gut behandelt, hörten erst ihr Telefon ab, und dann stellte sich Trump gegen Merkel, verhängte Sanktionen auf Stahl und Aluminium aus Europa, forderte dreist mehr Geld für die NATO und für den Kauf amerikanischer Waffen. Als Antwort darauf sagte Merkel, Europa müsse auf eigenen Beinen stehen, aber mehr als leere Worte waren das nicht. Sie konnte nichts tun.
 
Die Europäische Union ist durch Merkels Bemühungen heute tief gespalten. Der Grund: Die fatale Entscheidung im Jahr 2015, Migranten aus dem Nahen Osten und Nordafrika einzuladen. Darüber hat sich Merkel mit niemandem beraten – weder mit dem Parlament noch mit ihrem Volk oder mit ihren europäischen Kollegen. Sie hat einfach alle vor vollendete Tatsachen gestellt, dass Deutschland dies tut, und die anderen sollten es auch tun. Rückblickend ist bereits klar, dass das Referendum über den Austritt Großbritanniens aus der EU im Jahr 2016 ein anderes Ergebnis gehabt hätte, wenn Merkels Einwanderungspolitik nicht gewesen wäre.
 
Unter Merkel begann die Europäische Union auseinanderzufallen. Und zwar sehr schmerzhaft. Das Problem des Brexit wird nicht gelöst. Und welche Folgen der harte Brexit haben wird, ist immer noch unabsehbar. Und dann noch der Streit innerhalb der EU mit Ungarn, Polen, Österreich und Italien. Das ist alles nicht einfach.
 
Und wie steht es mit Merkels Unterstützung für den Putsch in der Ukraine, für den Offshore-Oligarchen-Präsidenten Poroschenko und für das derzeitige Kiewer Regime, mit all seiner Korruption, politischen Morden und der Schikanierung von Journalisten und der Verarmung der Menschen? Das ist es, das bitterere und trockene Erbe von Merkel. Hat sie noch Zeit, etwas Gutes zu hinterlassen? Bisher sieht es nicht danach aus.
 
Nach der Ankündigung, nicht mehr für den Posten der Parteichefin der Christlich-Demokratischen Union zu kandidieren, hörte Angela Merkel viele ätzende Kommentare an die Adresse einer Politikerin, die von der Bühne abtritt. Der Neueste: „Halbkanzler“.
 
Die lange geplante Reise nach Kiew kam da gerade recht: Wo sonst würde sie so viel Mitgefühl für ihre Probleme bekommen – die Probleme des letzten europäischen Führers, der sich noch für die Ukraine interessiert? Die Reise war grau in grau, erregte kein Aufsehen. Selbst die Bild-Zeitung hatte keine Lust, die Blumen und die Art, wie Poroshenko sie Merkel überreicht hatte, zu kritisieren, aber es tat ihr gut, für einen Tag auszubrechen. In der Ukraine wurde ehrlich nicht verstanden, warum sie ihre Position räumt aber nach Details fragte dort niemand.
 
„Ich habe die Christdemokraten 18 Jahre lang geleitet. Jetzt sage ich: Lassen Sie andere Verantwortung übernehmen. Ich habe diese Entscheidung getroffen, um neuen Menschen zu erlauben, die andere Ideen haben, die Partei auf die nächsten Wahlen vorzubereiten“, sagte Angela Merkel in Kiew.
 
Dabei, wäre es nach ihr gegangen, hätte sie auch noch die nächsten 18 Jahren die Partei auf Wahlen vorbereitet. Aber die Partei hat was dagegen. Nach zwei gescheiterten Wahlkämpfen – in Bayern und Hessen – hatte Merkel auf dem Parteitag im Dezember nur geringe Chancen, wieder gewählt zu werden – es war die letzte Chance, selbst zu gehen bevor sie gegangen wird.
 
„Die Gefahr für sie war nicht, dass die Christdemokraten Landtagswahlen verlieren. Sie lief Gefahr, den innerparteilichen Kampf verlieren, und aus der Angst heraus entschied sie, die Macht mit anderen zu teilen „, sagte der Politologe Alexander Rahr.
 
Merkel geht, um zu bleiben. Wenn auch nur als „Halbkanzler“, aber bis zu den Bundestagswahlen von 2021. So sieht es schön in den Geschichtsbüchern aus – das ist alles, was sie jetzt noch interessiert.
 
Und das ist keine Politik mehr, das ist überhaupt nicht das, was vor 14 Jahren ihren Vorgänger Gerhard Schröder antrieb. Im Jahr 2004 kämpfte Schröder für das Agenda-2010-Reformprogramm für Arbeit und Soziales, das die deutsche Wirtschaft auf den Wachstumspfad zurück brachte, ihm aber Kritik von den Sozialdemokraten einbrachte, wegen des konservativen Charakters des Programmes, sodass er deshalb die Macht über die Partei an seinen Kollegen Müntefering abgeben musste.
 
Anders als Schröder verteidigt Merkel ihren Migrationskurs nicht einmal, der vor drei Jahren das Ende ihres Erfolgskurses einläutete, sie treibt nichts außer persönlichem Ehrgeiz.
 
Umso härter treffen sie die Worte, die sie selbst vor 14 Jahren an die Adresse Schröders sagte, die Archive sind schrecklich rachsüchtig und vergessen nichts: „Wie kann ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland regiert werden, wenn der Kanzler die eigene Partei, die SPD, nicht mehr kontrolliert?“ sagte Merkel damals.
 
Die Kontrolle über die Partei ist einer, vielleicht der entscheidende Faktor dafür, wie lange Merkel noch Kanzler sein kann. Wer wird der Nachfolger – darum tobt ein offener Kampf, der auf dem Parteitag entschieden wird. Egal wie sehr Merkel versucht, sich zu herauszuhalten, es kann ihr nicht egal sein, wer am 7. bis 9. Dezember in Hamburg gewählt wird.
 
„Um sich in der Partei Rückhalt zu sichern, wird sie, obwohl sie dies nicht sagt, auf jeden Fall versuchen, ihre eigene Kandidatin für den Posten der Parteivorsitzenden, Frau Annegret Kramp-Karrenbauer, durchzusetzen“, sagte Alexander Rahr.
 
Annegret Kramp-Karrenbauer, das ist möglicherweise der Name der nächsten CDU-Chefin. Das bedeutet, dass dies möglicherweise der Name der nächsten deutschen Kanzlerin ist, und in diesem Fall wird es der Presse unangenehm sein, sie einfach „AKK“ zu nennen, wie es sie es jetzt tut. AKK verwaltet das CDU-Sekretariat, den Parteiapparat und kopiert den ruhigen und weichen Stil von Merkel.
 
Unglücklicherweise für die Kanzlerin will die Partei keine Mini-Merkel. Und die CDU hat die Wahl zwischen kampflustigen und durchsetzungsfähigen Kandidaten. Beispielsweise Gesundheitsminister Jens Špahn – ein Befürworter der Rückkehr der Partei zu ihren konservativen Wurzeln, der mit dem US-Botschafter befreundet ist. Eine Freundschaft zweier schwuler Familien.
 
Aber größere Chancen hat wohl Friedrich Merz, der aus der Wirtschaft in die große Politik zurückkehrt: In den letzten 9 Jahren war er so einiges, darunter auch der Vorsitzende des Aufsichtsrats der deutschen Niederlassung des globalen Investmentfonds Black Rock. Die Macht der Vermögenswerte des Fonds in Höhe von 6,3 Billionen Dollar spürt man in den Medien.
 
Merz ist in allen Nachrichten, fast wie ein zweites Comeback von Modern Talking, und hinter seiner äußeren Ruhe kann man die Bereitschaft und Fähigkeit spüren, das politische Deutschland zu erschüttern.
 
„Ich bin fest davon überzeugt, dass Angela Merkel und ich in der veränderten Situation zusammenkommen und zusammenarbeiten werden. In dem Maße, wie wir Dinge gemeinsam bewerten“, sagte Merz.
 
Es gibt auch weniger schillernde Schattenkandidaten, die infolge eines Konsenses der Gruppen innerhalb der Partei plötzlich aufsteigen können. Zum Beispiel der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet. Ein Mann, der die Politik von Merkel ohne Merkel fortzusetzen will.
 
Und die Koalitionsregierung, die Merkel weiterhin führen will, hängt selbst am seidenen Faden. Der Juniorpartner, die Sozialdemokraten, von denen nach jahrelanger Zusammenarbeit mit der CDU nur noch die Bezeichnung „Volkspartei“ übrig ist, stehen vor einem Aufstand. Sie haben auch im Dezember einen Parteitag und könnten alles über Bord werfen und aus der Regierung austreten.
 
Und vorgezogene Neuwahlen können alles ändern, zum Beispiel bei weiteren Misserfolgen auf Landesebene, im Mai sind Wahlen in Bremen und im September in Brandenburg und – noch schlimmer – in Sachsen. Das würde bedeuten, dass Angela Merkel deutlich früher, als 2021 auf dem Müll der politischen Geschichte landet.
 
Die Tage, die seit dem 29. Oktober vergangen sind, geben einem das Gefühl, dass das tatsächlich schon geschehen ist, dass Merkel, als sie sich weigerte zu kämpfen, irgendwie uninteressant wurde. Und es gibt neue Menschen, einige Gruppen, von deren Wille und Launen das Schicksal der Kanzlerin jetzt vollständig abhängt. Wie sagt man? Wenn Du gehen willst, dann geh auch!
 
Ende der Übersetzung
 
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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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