Die „Spiegelaffäre“: Das russische Fernsehen stellt die Fragen, die in Deutschland niemand stellt

Der Skandal um gefälschte Artikel im Spiegel war am Sonntag auch Thema in der russischen Sendung „Nachrichten der Woche“ und das russische Fernsehen stellte die Fragen, die man eigentlich von der deutschen Presse erwarten müsste. Nämlich die Frage nach systematischen Fake-News in den deutschen und westlichen Medien. Ich habe den Bericht übersetzt.
 
Beginn der Übersetzung:
 
In Deutschland gibt es in und um das angesehene Journal Spiegel einen riesigen Skandal. Der 33-jährige Claas Relotius, ein Journalist und Redakteur des Spiegel, musste zugeben, dass er in seinen Reportagen, sei es aus dem Irak oder aus Syrien, nicht existierende Charaktere beschrieben und Ereignisse erfunden hat.
 
Um die Schäden für die Reputation zu begrenzen, schob der Spiegel natürlich die Misere auf eine Person, den bereits gefeuerten Claas Relotius. Aber die schrecklichste Frage bleibt: Wie viele von der Sorte Relotius gibt es beim Spiegel? Und wie viele solcher Relotiusse gibt es insgesamt in der westlichen Presse? Leute, die ihre Fakten unter der vorgegebenen redaktionellen Linie erfinden, um den eingeschlagenen politischen Kurs zu unterstützen. Und ist Relotius selbst nicht ein Produkt, das unter diesen Umständen entstehen musste?
 
Erst kürzlich schrieb eine Journalistin der BBC, die Redaktion verlange, bildlich gesprochen, „russisches Blut“, also einen Beweis für die Beteiligung Russlands an den Pariser Ausschreitungen. Und dann diese unbeholfene Antwort der BBC, dass sie den Fall angeblich überprüfen wollen. Aber wie kann so ein Fall entstehen? Diese Frage wird die BBC nicht überprüfen. Es ist wie im Kindergarten!
 
Kein deutscher Journalist, der nicht im Spiegel veröffentlichen möchte: Der Spiegel bedeutet Autorität, Zitate und Anerkennung. Bereits mit 33 Jahren konnte Claas Relotius sagen, dass sein Berufsleben erfolgreich war. Seit 2011 hat er 60 Mal in diesem elitären Journal veröffentlicht. Alles Longreads, 8-10 Seiten lang. Er erhielt eine Reihe von Auszeichnungen: Viermal, darunter 2018, wurde er Reporter des Jahres in Deutschland, die CNN kürte ihn 2014 zum Journalist des Jahres.
 
„Bei jedem neuen Artikel habe ich immer noch das Gefühl, dass ich es nicht schaffen werde, dass ich nicht alles Material strukturieren kann. Wenn die Dramaturgie nicht so ist, wie ich es gerne hätte. Das ist Folter, aber wenn dieser Punkt überwunden ist, ist alles in Ordnung.“ sagte Claas Relotius.
 
Der beste Schreiber wählte harte Themen aus: Migranten, IS, Bürgerkrieg in Syrien. Er schrieb auch über die Ukraine. Spezialisiert auf „menschliche Geschichten“, die den Leser im Herzen berühren, dafür wird der Spiegel besonders geschätzt.
 
Relotius fand solch schillernden Charaktere, die seine Kollegen übersehen hatten und bemerkte Details, die niemand sonst sah. „Der Text zeichnet sich durch unübertroffene Leichtigkeit, Reichtum und Relevanz aus“ sagte die Jury bei einer Preisverleihung und stellte fest, dass seine Werke an Literatur grenzten. Sie hatten keine Ahnung, wie nahe sie der Wahrheit waren: Mit Relotius sind die Fälschungen in der Nachrichtenbranche in unerreichbare Höhen gestiegen.
 
„Claas Relotius hat seinen Arbeitgeber bewusst, methodisch und mit hoher krimineller Energie in die Irre geführt. Er hat beispielsweise viele der Protagonisten, über die er geschrieben und deren Worte er zitiert hat, nie getroffen oder mit ihnen gesprochen“ ist ein Zitat aus dem Bußartikel, mit dem die Redaktion an die Öffentlichkeit ging.
 
Der Auslöser war der Artikel von Relotius über Freiwillige des Grenzschutzes, die illegale Einwanderer im Süden der USA jagen. Sein Co-Autor Juan Moreno fand im Text viel für ihn Unbekanntes, darunter mehrere Interviews.
 
Er riskierte seinen Ruf und seine Arbeit und begann, seinen Kollegen zu überprüfen. In der Redaktion glaubte man Moreno zunächst nicht, sie riefen Relotius zum Gespräch. Er hat alles erfolgreich erklären können. Aber dann kam sein Gewissen durch und zum Entsetzen der Redaktion hat er alles zugegeben. Das hat sie gezwungen, den Fall öffentlich zu machen.
 
„Er hat wirklich sehr abenteuerlich gearbeitet. Er berichtete über den Fortschritt seiner Recherchen und sprach mit den Abteilungsleitern, bei denen er publizierte, über Misserfolge. Er hat fast alle an seinen virtuellen Ermittlungen beteiligt und die Illusion einer Arbeit geschaffen, an die alle glaubten“ sagte Susanne Bayer, Stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift Spiegel.
 
„Sagen was ist“ ist das Motto des Spiegel. Aber Fakt ist, dass das wichtigste soziale und politische Journal Deutschlands sieben Jahre lang den Rauchbomben seines herausragendsten Reporters und Publizisten gefolgt ist, trotz aller Faktenchecks.
 
Relotius gab zu, dass er ein Serienfälscher ist und mindestens 14 seiner Reportagen teilweise, manchmal sogar vollständig, gefälscht hat. Und das ist ein Schlag für die gesamte westliche Medienbranche. Davon muss man sich erstmal reinwaschen.
 
„Dieser Fall ist eine Ausnahme. Der deutsche Journalismus ist Qualitätsjournalismus. Aber selbst dieser Ausnahmefall hätte nicht passieren dürfen. Das ist eine Katastrophe“ sagt Heribert Prantl, Reporter der Süddeutschen Zeitung.
 
Eine Katastrophe, aber nicht die erste: Es gibt viele Beweise dafür, dass es bei westlichen Journalisten üblich ist, über die Bombenanfriffe auf Aleppo zu schreiben, und gar nicht in Aleppo zu sein, oder über einen chemischen Angriff in Duma, der sich nur auf die Videos der Weißhelme bezieht, und dann alle Gegenbeweise vollständig zu ignorieren. Oder einen Schauspieler aus Kalinigrad als Freiwilligen der ostukrainischen Armee zu filmen, so wie es der deutsche Fernsehsender ARD getan hat. Und öffentliche Bekenntnisse und Entschuldigungen können nichts daran ändern: Der Fake ist im Bewusstsein des Publikums verankert, man bekommt ihn da praktisch nicht mehr heraus.
 
Das Time Magazine ernannte das Bild einer Gruppe von Journalisten zum Menschen des Jahres. Mit dabei der Blogger Babtschenko, auf den man nicht durch seine Texte aufmerksam wurde, sondern nur, weil er in einer Lache aus Schweineblut lag. Aber für einen Teil der westlichen Öffentlichkeit ist Babtschenko tatsächlich ermordet worden, einige werden seine wundersame Auferstehung verpasst haben, sich aber noch an die angebliche Ermordung eines ukrainischen Journalisten durch die Russen erinnern.
 
Und so bestehen die Fakes von Relotius noch immer im Internet oder in Bibliotheksakten: Im Vertrauen auf den Ruf des Spiegel werden Historiker die Texte als Belege anführen.
 
Was als nächstes mit dem Geschichtenerzähler selbst passieren wird, ist mehr oder weniger klar. Auf den ersten Blick ist alles schlecht. Seine pseudo-journalistische Karriere ist vorbei. Die Preise hat er zurückgegeben. Andererseits kann er nun ein Buch über sich selbst schreiben, mit so einer spannenden Geschichte in der Hand muss er nichts erfinden.
 
Der Spiegel steht vor der Aufgabe, seinen geschädigten Ruf irgendwie zu reparieren. In Deutschland gibt es die Tradition, sich zu Weihnachten ein Abonnement für eine Zeitschrift zu schenken. Das gilt als nützliches Geschenk. Ein Skandal mag das Geschäft schädigen, aber die Redaktion hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es besser war, jetzt selbst einen Skandal zu veröffentlichen, als darauf zu warten, das ihn jemand anderes findet, das wäre noch teurer geworden.
 
Ende der Übersetzung
 
Wenn Sie sich für die russische Sicht auf die internationale Politik interessieren, sollten Sie sich mein Buch einmal ansehen, in dem ich Putin selbst mit langen Zitaten zu den aktuellen Fragen zu Wort kommen lasse. Dies Buch war aus meiner Sicht notwendig, weil in den westlichen Medien zwar viel über Putin berichtet wird, aber er selbst nie zu Wort kommt. Und wenn doch, werden seine Aussagen so aus dem Zusammenhang gerissen, dass sie einen völlig anderen Sinn bekommen.

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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