Kriegsrecht in der Ukraine wurde still und leise aufgehoben – Was steckt dahinter?

Ich hätte es nicht erwartet, aber die Ukraine hat tatsächlich das Kriegsrecht heute wieder aufgehoben. Das überrascht, denn das Kriegsrecht wurde unter unter sehr fragwürdigen Umständen ausgerufen und man musste erwarten, dass es mit genauso fragwürdigen Vorwänden verlängert wird, wie es ausgerufen wurde. Was ist passiert?
 
Für das Verständnis ist die Chronologie wichtig, daher muss ich zunächst nochmal darauf eingehen und danach werde ich versuchen, eine Erklärung zu finden, warum die Ukraine nach all dem Säbelrasseln der letzten vier Wochen plötzlich still und leise das Kriegsrecht hat auslaufen lassen.
 
Am 25. November drangen drei Schiffe der ukrainischen Marine in russische Hoheitsgewässer bei der Straße von Kertsch ein, wurden dann von russischen Schiffen gestoppt und aufgebracht, dabei haben die Russen auch Warnschüsse abgegeben und einige ukrainische Matrosen wurden von Splittern verletzt.
 
Die Ukraine machte geltend, dass sie die Durchfahrt ihrer Schiffe aus dem Schwarzen ins Asowsche Meer durch die Meerenge von Kertsch ordnungsgemäß angemeldet hätte, Russland hingegen bestritt das und teilte mit, die Schiffe seinen ohne Erlaubnis und Vorwarnung in russische Gewässer eingedrungen, hätten stundenlang alle Versuche der Kontaktaufnahme ignoriert, sodass die russischen Grenzschützer schließlich reagieren mussten.
 
Schon kurz darauf veröffentlichte Russland die auf den Schiffen sichergestellten Logbücher und Befehle, die eindeutig aussagten, dass die ukrainischen Schiffe den Befehl hatten, die russischen Hoheitsgewässer ohne Ankündigung „heimlich“ (wie auch immer das gehen soll) zu verletzen. Die Ukraine bestritt die Echtheit der Befehle nicht und behauptete inzwischen auch nicht mehr, ihre Durchfahrt durch die Meerenge von Kertsch ordnungsgemäß angemeldet zu haben.
 
Das war auch nicht mehr nötig, denn aus der Grenzverletzung russischer Gewässer durch die eigenen Schiffe machte der ukrainische Präsident eine „russische Aggression“ und rief das Kriegsrecht aus. Er wollte es für das ganze Land ausrufen und für 60 Tage, jedoch erlaubte ihm das Parlament nur 30 Tage und nur in den Grenzregionen des Landes. Hierzu muss man wissen, dass Ende März in der Ukraine Präsidentschaftswahlen anstehen und Präsident Poroschenko kaum Chancen auf eine Wiederwahl hat und dass in der Ukraine während geltendem Kriegsrecht neben vielen anderen Einschränkungen der Freiheitsrechte auch Wahlen abgesagt werden können. Offensichtlich haben seine Rivalen seinen Versuch, die Wahlen unter dem Vorwand des Kriegsrechts abzusagen, im Parlament durchkreuzt.
 
Die westliche Presse übernahm unterdessen die Version von der „russischen Aggression“ und verschwieg bei der Berichterstattung von nun an die Vorgeschichte und die Grenzverletzung durch die Ukraine. Stattdessen erwähnte die westliche Presse nur noch, dass russische Schiffe auf ukrainischen Schiffe geschossen haben.
 
In der Ukraine wurde nun von der Regierung behauptet, ein Angriff Russlands auf die Ukraine stehe unmittelbar bevor, eine Behauptung, die man aus Kiew seit 2014 immer wieder hört, ohne dass es je zu diesem Angriff gekommen wäre. Aber dieser alte Hut musste nun als Begründung für das Kriegsrecht herhalten, freilich wieder ohne dass es zu diesem Angriff gekommen wäre.
 
Nun erwarteten Analysten (und auch ich), dass die Ukraine innerhalb dieser 30 Tage Kriegsrecht eine neue Provokation starten würde, um einen Vorwand für eine Verlängerung des Kriegsrechts zu haben, damit Poroschenko doch noch die Wahlen absagen kann. Sowohl Russland als auch die OSZE meldeten verdächtige Truppenbewegungen auf ukrainischer Seite im Süden des Landes und es wurde ein ukrainischer Angriff auf die abtrünnigen Rebellengebiete erwartet, um einen Vorwand für die Verlängerung des Kriegsrechts zu haben. Ab ca. 10. Dezember gab es dazu immer wieder Meldungen, sogar von möglichen Vorfällen mit Giftgas an der Frontlinie wurde gesprochen oder einem inszenierten Vorfall auf der Krim.
 
Poroschenko gab diesen Gerüchten auch selbst fleißig Nahrung, da er sich nun verstärkt in Tarnuniform bei seinen Soldaten zeigte und martialische Reden hielt.
 
Das Problem ist, dass Analysten – zu denen ich auch mich zähle – in der Regel nicht wissen können, was hinter den Kulissen läuft. Dass es zumindest in der Ukraine Widerstand gegen eine Verlängerung des Kriegsrechts gab, war zu erwarten, denn die Konkurrenten Poroschenkos im Kampf um das Präsidentenamt hatten an der Verlängerung des Kriegsrechts, was dem Präsidenten praktisch diktatorische Vollmachten gegeben hätte, keinerlei Interesse. Eine automatische Verlängerung des Kriegsrechts war also ausgeschlossen, wenn Poroschenko eine Verlängerung wollte, brauchte er eine militärische Eskalation. Und zwar eine so heftige Eskalation, dass auch seine Opponenten sich nicht dagegen stellen können.
 
Interessant war in diesem Zusammenhang dann der 19. Dezember, da kündigte der Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates der Ukraine Turtschinow an, dass die Ukraine wieder beabsichtige, die Straße von Kertsch mit Kriegsschiffe zu durchqueren ohne dies bei Russland anzumelden. Mehr noch, er forderte auch Kriegsschiffe der Nato auf, sich dem Manöver anzuschließen. Die Zeichen standen also noch mehr auf Eskalation, auch wenn die Nato sich zu dem „Angebot“ nicht äußerte. Aber es gab genug Gründe, anzunehmen, dass es zu irgendeiner militärischen Eskalation kommen würde.
 
Die große Unbekannte in dem Spiel waren die USA. Kiew hängt komplett am Tropf des Westens, das Land hat seit dem Maidan zweistellige Milliardenbeträge vom Westen bekommen und wäre ohne westliche Unterstützung morgen zahlungsunfähig. Außerdem ist der US-Einfluss in Kiew gigantisch, auch in militärischen Fragen. Kiew würde also nichts unternehmen, was nicht vom Westen angeordnet oder zumindest abgesegnet ist.
 
Vor diesem Hintergrund ist auch der Vorfall von Kertsch bemerkenswert, denn egal, ob der Westen den Vorfall angeordnet, abgesegnet oder erst im Nachhinein gut geheißen hat: Es bleibt eine Grenzverletzung durch die Ukraine, die aber dafür nicht öffentlich kritisiert wurde, alle westliche Kritik richtete sich stattdessen gegen Russland, dass nur auf eine Verletzung seiner Grenzen reagiert hat.
 
Und hier kommt die innenpolitische Lage in den USA ins Spiel. Trump hat immer wieder gesagt, dass er die Beziehungen zu Russland normalisieren will, wofür er in den USA scharf angegriffen wird. In den USA wird das Feindbild Russland machtvoll aufgeblasen, Stichwort „russische Wahleinmischung“ und vieles andere. So haben die USA in Trumps Amtszeit die Sanktionen gegen Russland mehrmals weiter verschärft, allerdings ist interessant, dass nie Trump der Initiator dafür war, sondern es waren Kongress und Senat. Trump hat auf sein Vetorecht verzichtet und diese Sanktionen dann abgesegnet. Aber er tat es widerwillig. Außerdem dürfte Trump auf Kiew nicht gut zu sprechen sein, denn in der Wahlnacht 2016 hat Kiew ein Glückwunschtelegramm an Clinton geschickt, blöderweise hat aber dann Trump gewonnen, was in Kiew keine Begeisterung auslöste. Das dürfte Trump kaum gefallen haben.
 
Aber Trump hat es in Washington mit einem Apparat zu tun, der jede Annäherung an Russland sabotiert. Alle Beamten dort sind in der anti-russischen Zeit an ihre Posten gekommen, gleiches gilt für die Abgeordneten. Sie alle vereint eine sehr anti-russische Sicht auf die Weltpolitik. Und auch die Think Tanks und Berater sind samt und sonders anti-russisch eingestellt, daher verwundert es nicht, dass eine Annäherung an Russland in Washington vom Apparat mit allen Mitteln bekämpft wird. Die Frage ist in diesem Zusammenhang, ob Trump sich schließlich durchsetzen kann oder ob es dem Apparat gelingt, Trumps Ideen dauerhaft zu torpedieren.
 
Wir kommen hier natürlich schon in den Bereich der Spekulationen, aber interessant war auch hier der 19. Dezember, an dem Turtschinow eine Wiederholung des Vorfalls von Kertsch ankündigte. Am gleichen Tag verkündete nämlich Trump, seine Truppen aus Syrien abzuziehen, was in den USA ein politisches Erdbeben auslöste. Der Verteidigungsminister trat zurück, Abgeordnete, Medien und westliche Staaten kritisierten Trumps Entscheidung. Aber er blieb standhaft.
 
Ab diesem 19. Dezember verstummte die verbale ukrainische Kriegstreiberei jedoch plötzlich weitgehend, gerade so, als hätten sie aus Washington die Mitteilung bekommen, dass eine Unterstützung der USA bei einer weiteren Eskalation nicht zu erwarten sei. Wie gesagt, das ist jetzt reine Spekulation, aber es passt vom Datum her alles genau zusammen.
 
Den USA kann es auch egal sein, wer in der Ukraine die Präsidentschaftswahlen gewinnt, denn alle aussichtsreichen Kandidaten stehen für eine Fortsetzung der anti-russischen und US-hörigen Politik in Kiew. Wie der Präsident in Kiew heißt, ist den Entscheidungsträgern in Washingtons Apparat egal, wichtig ist nur, welche Politik er macht. Und da ist in Kiew kein Kurswechsel in Sicht, egal wer die Wahl gewinnt.
 
Möglicherweise haben sich daher momentan die Prioritäten in Washington verschoben, man ist derzeit mit Trumps Syrien-Entscheidung beschäftigt und braucht keine Eskalation in der Ukraine, bei der sich Trump möglicherweise auch öffentlichkeitswirksam von Kiew abwenden könnte. Wie gesagt, ich spekuliere hier, aber es passt erstaunlich gut zusammen, wenn man es vor diesem Hintergrund betrachtet.
 
Das ausgerufene Kriegsrecht hatte denn auch keinen praktischen Nutzen. Die Wahlen wurde nicht verschoben, einen Krieg hat es nicht gegeben und nun wurde es still und leise wieder aufgehoben, als sei nichts passiert.
 
Wir werden in den nächsten Tagen genau beobachten müssen, was sich in Syrien abspielt und wie groß der Druck auf Trump in dieser Frage wird, vielleicht kann man am Ausgang dieses Machtkampfes auch absehen, wie es in der Ukraine weitergehen wird.

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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