Das russische Fernsehen über den zu Unrecht verhafteten Journalisten Golunow

In der wöchentlichen russischen Sendung „Nachrichten der Woche“ wurde am Sonntag noch einmal ausführlich auf den Fall des zu Unrecht verhafteten Journalisten Ivan Golunow eingegangen. In zwei Beiträgen wurde die Chronologie des Falls noch einmal aufgezeigt, eine vorläufige Bilanz gezogen und es wurde eine Bestrafung der Polizisten gefordert, die dem Journalisten die Drogen untergeschoben haben.

Ich habe sowohl die Einleitung des Moderators, als auch die Reportage aus Moskau übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Alle Anklagen gegen den Journalisten Ivan Golunow wurden fallengelassen und die elektronische Fußfessel wurde ihm abgenommen. Der Hausarrest wurde aufgehoben und die Ermittlungen gegen ihn wurden eingestellt.

Der russische Innenminister Wladimir Kolokolzew gab am 11. Juni eine Sondererklärung zu dem Fall ab. „Auf der Grundlage der Ergebnisse der biologischen, forensischen, genetischen Untersuchungen und der Fingerabdrücke wurde beschlossen, die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Herrn Golunow aus Mangel an Beweisen für seine Beteiligung an der Begehung der ihm zur Last gelegten Verbrechen einzustellen. Heute wird der Hausarrest aufgehoben“ sagte Kolokolzew.

„Nachrichten der Woche“ hat bereits ausführlich über diese aufsehen erregende Geschichte berichtet. Am 6. Juni nahmen zwei Polizisten Iwan Golunow auf dem Tsvetnoy Boulevard in Moskau fest. Ihnen zufolge wurden Drogen und sogar eine elektronische Waage zum Abwiegen von Drogen im Rucksack und bei der Wohnungsdurchsuchung gefunden.

In einem Interview mit unserem Korrespondenten erklärte Golunov sofort, dass ihm all dies untergeschoben worden sei. Aber die Anklage war ernst, versuchter Drogenhandel. Er wurde unter Hausarrest gestellt.

Wir haben ausführlich über die Ungereimtheiten der Untersuchung gesprochen und werden auf dieses Thema zurückkommen. Sie wurden von der gesamten journalistischen Gemeinschaft des Landes verfolgt, unabhängig von ihren politischen Präferenzen. Die Solidaritätskampagne hat sofort alle öffentlichen Institutionen Russlands erfasst. Der Menschenrechtsrat forderte die Staatsanwaltschaft und das Innenministerium auf, die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Polizei zu überprüfen. Das Innenministerium zog den Fall sofort vom Bezirksstaatsanwalt ab und übergab ihn der übergeordneten Staatsanwaltschaft der Hauptstadt, wo der Geschichte besondere Aufmerksamkeit zuteil wurde. Am 10. Juni informierte die Menschenrechtskommissarin Tatiana Moskalkova den Präsidenten über den Fall des Journalisten Golunov.

Am 11. Juni kam Kolokolzews Auftritt und eine Bitte an Putin, die zuständigen Generäle zu entlassen: „Ich habe beschlossen, den Präsidenten zu bitten, den Leiter der Polizei von West-Moskau, Generalmajor Andreij Putschkov, und den Leiter der Abteilung für Drogenkontrolle des russischen Innenministeriums in Moskau, Generalmajor Juri Devyatkin, zu entlassen.“

Am selben Tag wurden die beiden Ermittler vom Dienst suspendiert, die den Journalisten festgenommen hatten. Allerdings nur für die Dauer der Ermittlungen der Aufsichtsbehörde. Es liegt auf der Hand, dass es sich bei der Suspendierung nur um eine halbe Maßnahme handelt, weil die Unschuldsvermutung zu berücksichtigen ist. Aber es ist entscheidend, dass jetzt der Fall der Polizisten, die Golunow offenbar Drogen untergeschoben haben, vollständig aufgeklärt wird.

Golunow selbst glaubt, dass er auf diese Weise kalt gestellt werden sollte und vermutet die Beerdigungs-Mafia dahinter, über deren dunkle Machenschaften der Journalist recherchiert hat. Anfangs wurde gewohnheitsgemäß mit dem Finger auf das Moskauer Rathaus und den Bürgermeister gezeigt, aber die Redaktion, mit der Golunow zusammenarbeitete, machte stellte klar: Das Moskauer Rathaus ist nicht involviert.

Auf jeden Fall wird der Fall erst abgeschlossen sein, wenn die Schuldigen hinter dieser hässlichen Geschichte bestraft werden. Und zwar durch ein Gericht, weil nur das Gericht durch sein Urteil über Schuld und Strafe entscheidet. Der Fall ist bereits so hochkarätig, dass die Gesellschaft einen Versuch, die Geschichte zu vertuschen, nicht durchgehen lassen wird. Was die Ehre der Polizisten betrifft, so wird diese Ehre in diesem Fall durch nur einen transparenten Prozess und nicht durch amtliche Verschwiegenheit wiederherzustellen sein.

Was passiert ist, ist ein Test für alle: für die Gesellschaft, für die Polizei und für den Staat selbst. Ein Test und eine Chance zugleich. Bisher war die Geschwindigkeit, mit der sich die Situation zum Besseren gewandelt hat, beeindruckend. Erinnern wir uns, am 11. Juni werden alle Anschuldigungen gegen Golunov fallen gelassen, der 12. war Feiertag in Russland und bereits am 13. hat Präsident Putin die Generäle entlassen. Nach einer öffentlichen Bitte des Innenministers war dies jedoch bereits vorhersehbar. Nun werden wir den weiteren Verlauf der Ereignisse verfolgen.

Eine andere Sache ist, dass es bei uns immer diejenigen geben wird, die bereit sind, bei jeder Gelegenheit Ärger zu machen. Und das ist nicht die Opposition. Eine normale Opposition verhält sich gegenüber der Gesellschaft und dem Staat verantwortungsvoll. Eine normale Opposition in jedem Land der Welt beansprucht die Macht durch Wahlergebnisse. Und sie ist bereit, für das Land Verantwortung zu übernehmen.

Die Störer haben eine andere Rolle, eine kleinere. Bei Wahlen bekommen sie keine Stimmen, also müssen sie am lautesten schreien. Sie suchen jeden Vorwand, um die Regierung, dem „Regime“, für alles die Schuld zu geben, um süße Unruhen zu provozieren. Der einfachste Weg dafür ist es, die Menschen zu einer nicht genehmigten Demonstration zu rufen. Und so geschah es nun wieder.

Es ist klar, dass das Moskauer Rathaus am 12. Juni, dem Nationalfeiertag, eine Demonstration für Golunow im Zentrum von Moskau nicht genehmigen konnte. Die Initiatoren der Demonstration wandten sich erst am 11. Juni am späten Abend an die Behörden. Alleine die Sicherheit sicherzustellen, war für ein solches Ereignis nicht so kurzfristig möglich. Und es gab keine Dringlichkeit, weil Golunow bereits auf freiem Fuß war und selbst gar nicht zur Kundgebung kommen wollte.

Die Verhandlungen endeten damit, dass die meisten Initiatoren die Argumente des Moskauer Rathauses akzeptierten und diejenigen, die trotzdem zur Kundgebung gehen wollten, an die Risiken der Beteiligung an einer nicht genehmigten Demonstration erinnerten.

Am 12. Juni versammelten sich nach Angaben des Innenministeriums 1.200 Menschen im Zentrum von Moskau. Die Polizei leistete gute Arbeit. Im Gegensatz zu ihren französischen Kollegen, die Dutzenden Pariser Demonstranten mit Gummigeschossen die Augen ausgeschossen haben, rücksichtslos mit Schlagstöcken auf Demonstranten einschlugen, handelten unsere Polizisten fast zärtlich. In der Folge wurden nach Angaben der Polizei mehr als 200 Personen wegen Störung der öffentlichen Ordnung festgenommen. Bis zum Morgen waren fast alle mit den erstatteten Anzeigen in der Hand wieder entlassen worden. (Anm. d. Übers.: Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration ist in Russland nur eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat, wie in Deutschland. Es ist mit einer Geldstrafe erledigt, erst im Wiederholungsfall drohen bis zu 30 Tage Ordnungshaft.)

Es ist klar, dass die Aktion selbst im Internet heiß diskutiert wurde. Für mich persönlich war die Meinung von Tina Kandelaki dazu am treffendsten (Anm. d. Übers.: Kandelaki arbeitet beim oppositionellen Radio Echo Moskau): „Man hört Euch. Man redet mit Euch. Ihr haltet weiterhin alle anderen für Idioten. Ihr verachtet die öffentliche Meinung, weil Ihr nur Euch selbst als die „Öffentlichkeit“ betrachtet. Ihr entwertet alles, was auf Euren Plakaten geschrieben steht und dann nennt Ihr diese Farce eine Tragödie. Ich glaube, Ihr wollt den Geruch verbrannter Reifen, aber Euer Hass auf alles um Euch herum vernebelt Euren den Blick “ sagte Kandelaki.

Und was ist das Ergebnis? Die Gesellschaft hat gewonnen. Die Regierung und die Behörden haben gewonnen. Auch die Störer haben ihre Aufmerksamkeit bekommen. Insgesamt sind wir alle dadurch ein bisschen besser geworden, als wir waren.

Eine Reportage über die Ereignisse aus Moskau.

Ivan Golunov verlässt das Gebäude der Hauptuntersuchungsabteilung des Innenministeriums. Er war gerade aus dem Hausarrest entlassen worden.

„Was sind Ihre Pläne?“

„Ein wenig zur Ruhe kommen und alles verarbeiten. Vielen Dank für Ihre Unterstützung.“ antwortet Golunow der Menge, die ihn erwartet.

Er hat einen Karton mit persönlichen Gegenständen in der Hand. Er war auf dem Weg zum Gericht und erwartete die Fortsetzung der Ermittlungen. Hier sitzt er vier Stunden vorher im Auto des Bundeskriminalamts, unter Bewachung. Man kann sehen, dass Ivan sehr angespannt ist. Er ist eindeutig auf das Schlimmste vorbereitet. Die letzten fünf Tage waren für ihn die schrecklichsten in seinem Leben.

Zunächst wurde er im Zentrum von Moskau wegen des Verdachts des Besitzes und des versuchten Drogenhandels festgenommen. Im Rucksack finden sie Tüten mit einer pulverförmigen Substanz. Sie durchsuchten die Wohnung. Dort gab es nach offiziellen Berichten des Innenministeriums ein ganzes Drogenlabor.

Alles Gefundene wird gründlich analysiert. Mitarbeiter der Drogenkontrollabteilung der Polizei der Hauptstadt sagen, dass sie Golunow mehrere Monate überwacht haben. Es wird angenommen, dass er Drogen aus Riga schmuggeln könnte, wo er oft beruflich war, dort sitzt die Redaktion von „Meduza“. Und sie sagen, er wollte die Drogen in Moskauer Nachtclubs verkaufen.

Aber schon in den ersten Berichten zu diesem Fall gibt es eklatante Ungereimtheiten. Tatsächlich findet man Kokain und Mephedron, die angeblich in Ivans Besitz gefunden wurden, nicht gemeinsam auf dem Schwarzmarkt verbotener Substanzen. Diese Drogen sind für Verbraucher unterschiedlicher sozialer Herkunft. Aber das wichtigste ist, dass die Freunde des Journalisten einhellig erklärten, dass acht der neun präsentierten Fotos grobe Fälschungen sind. Sie sind definitiv nicht in seiner Wohnung entstanden.

Die Polizei beginnt, sich herauszureden: Ja, es sind Bilder einer anderen Wohnung, aber der Fall hängt mit Golunow zusammen. Dann werden die Ergebnisse der Labortests bekannt, es wurden keine drogenhaltigen Substanzen in Golunows Körper gefunden. Auch seine Fingernägel sind sauber.

Diese Tatsache wurde zuvor vom Chef-Narkologen Russlands, Jewgeni Brun, in einem Interview mit „Nachrichten der Woche“ bestätigt: „Es wurden im chemischen und toxikologischen Labor keine Drogen in den biologischen Proben des Journalisten nachgewiesen“ sagte er.

Dem Leiter unseres Programms „Polizeibericht“, Eduard Petrov, gelang es, mit Ivan Golunow kurz vor der Gerichtsverhandlung zu sprechen.

„Ich habe nie Drogen genommen, ich hatte noch nie welche bei mir. Ich bin Journalist, ich bin ein investigativer Journalist. Ich habe nie Drogen genommen oder gelagert, außer den Pillen, die mir vom Arzt verschrieben werden. Das sind milde psychotrope Substanzen. Sie haben in Ihrer Sendung vor kurzem einen Film Betrug bei über Hypothekarkrediten veröffentlicht, ich hatte über zwei Episoden Ihrer Untersuchung geschrieben, nur ein wenig detaillierter. Sie haben die menschlichen Geschichten beschrieben, ich habe über die Organisatoren geschrieben“ erklärte Golunow.

Zu diesem Zeitpunkt war der Fall bereits weithin bekannt. Aber Golunow sah sich immer noch mit einer formellen Anklage wegen versuchten Drogenhandels in großem Stil konfrontiert. Ivan wurde krank, aber der Leiter des Untersuchungsgefängnisses für den westlichen Distrikt, Jewgeni Maschin, weigerte sich, ihn ins Krankenhaus bringen zu lassen. Dann wurde der Notarzt gerufen. Sie brachten Ivan ins 71. Stadtkrankenhaus, wo er einer gründlichen Untersuchung unterzogen wurde.

„Der Ermittler reichte einen Antrag bei dem Gericht ein, um eine Hafterleichterung zu erreichen. Deshalb fahren wir jetzt zum Gericht, um uns mit den Materialien vertraut zu machen. Er ist immer noch im Krankenhaus. Wir warten auf die Testergebnisse. Wir warten auf den Radiologen“ sagte Ivans Anwalt Dmitri Julay.

Nach Angaben der Ärzte wurden bei Golunow jedoch keine schweren Verletzungen festgestellt. Nur Schürfwunden am Rücken und eine Prellung im Augenbereich. Es gab keinen Grund für einen Krankenhausaufenthalt. Am Abend desselben Tages wurde Ivan zum Amtsgericht Nikulin der Hauptstadt gebracht, um die Entscheidung über seine Untersuchungshaft verkündet zu bekommen. Im Gerichtsgebäude traten sich die Kamerateams auf die Füße.

Am Ende beschließt der Richter, Golunow unter Hausarrest zu stellen. Zu diesem Zeitpunkt wird der Fall bereits vom Kreml genau beobachtet. Alle warten auf die Ergebnisse der Ermittlungsgruppe, Beweise für seine Schuld. Später wird klar, dass es keine gibt. Die Untersuchung ergab, dass auf den gefundenen Tütchen mit Mephedron die DNA von anderen Menschen ist.

„Als Ergebnis der Untersuchung von Fingerabdrücken, forensischen und genetischen Untersuchungen wurde beschlossen, die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Herrn Golunov einzustellen und die Anklage gegen ihn aus Mangel an Beweisen aufzuheben.“ sagt der Innenminister.

Er fährt fort: Golunow ist sofort aus der Haft zu entlassen. Polizeibeamte, die an der Festnahme teilnahmen, wurden vom Dienst suspendiert. Zwei Generäle wurden ihrer Posten enthoben.

Die Aufsichtsbehörde prüft die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Beamten des Innenministeriums, die Golunow festgenommen haben. Wenn der Fall fabriziert worden ist und die Drogen untergeschoben wurden, ist das Material für ein neues Strafverfahren.

„Ich kann nicht glauben, dass mir das passieren konnte. Das beste Schmerzensgeld für mich wäre, wenn so etwas nie wieder jemandem passiert“ sagte Ivan Golunow.

Der Journalist sagte, er werde weiter ermitteln. Er will dem Vertrauen derer gerecht werden, die ihn unterstützt haben.

Ende der Übersetzung

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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