Fünf Jahre danach – Wie es 2014 nach dem Maidan zum Referendum auf der Krim kam

Heute ist der fünfte Jahrestag des Referendums auf der Krim. Ich habe daher hier eine weitere Leseprobe aus meinem Buch „Ukraine Krise 2014 – Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit: Wie der neue kalte Krieg begann“ veröffentlicht. Lesen Sie hier, wie es 2014 nach dem Maidan in nur drei Wochen zum Referendum auf der Krim kam.

Antimaidan im Südosten der Ukraine

Im Südosten des Landes fand die Maidan-Bewegung keine Unterstützung, im Gegenteil. Die Ereignisse in Kiew wurden mit Besorgnis beobachtet.

Die Krim war eine autonome Republik innerhalb der Ukraine und hatte ihr eigenes Parlament, welches – man muss darauf hinweisen – im Oktober 2010 demokratisch gewählt wurde. Die politische Stimmung auf der Krim war klar pro-russisch, die Bevölkerung fühlte sich eher russisch als ukrainisch. Das drückte sich auch in dem Wahlergebnis aus, wie man auf dem Schaubild (Quelle deutsches Wikipedia, mit freundlicher Genehmigung, Autor Garik TNU[1]) sehen kann. 80 der 100 Sitze gingen an die „Partei der Regionen“ von Präsident Janukowytsch, die ihre politische Heimat im von ethnischen Russen bewohnten Osten der Ukraine hat. Weitere drei Sitze bekam die Partei „Russische Einheit“, die sich offen für einen Beitritt der Krim zum russischen Staat aussprach und die Kommunistische Partei, ebenfalls nicht pro-westlich, bekam fünf Sitze. Damit waren 88 der 100 Sitze im Parlament der Krim an Parteien gegangen, die pro-russisch bzw. west-kritisch waren. Und dieses deutliche Wahlergebnis kam in einer demokratischen Wahl zu Stande, was durchaus Rückschlüsse auf die politische Stimmung auf der Krim schon vor den Ereignissen in Kiew zulässt. Der auf der Krim unpopuläre Maidan dürfte die Stimmung kaum in Richtung Westen gedreht haben.

Entsprechend verständlich wird vor diesem Hintergrund die Einstellung im Osten des Landes und speziell auf der Krim zu den Vorgängen in Kiew. Schon am 21. und 27. November 2013, also noch vor dem Gipfel in Vilnius, beschloss das Parlament der Krim zwei Resolutionen, in denen es den Kurs der Regierung in der Frage des Assoziierungsabkommens unterstützte und die Demonstrationen auf dem Maidan verurteilte. Die „Ukrainische Prawda“ zitierte am 27. November in einem inzwischen aus dem Netz verschwundenen Artikel aus dem Beschluss: „Nach Meinung der Abgeordneten fördert die Opposition „eine Hysterie rund um das Assoziierungsabkommen, greift zu politischer Erpressung, spaltet die Gesellschaft und destabilisiert die gesellschaftliche und politische Situation im Land“[2]

Am 2. Dezember wandte sich das Krim-Parlament mit der Aufforderung an Präsident Janukowytsch, die Ordnung im Land wiederherzustellen, notfalls durch das Ausrufen des Ausnahmezustandes. Darüber berichtete die „Ukrainische Prawda“ am 2. Dezember und zitierte aus dem Aufruf des Parlaments: „Die Meinung eines Jeden muss gehört werden. Ansonsten entsteht die Illusion, dass zu den aktuellen Vorkommnissen nur die eine Meinung haben, die Kiews Straßen und Plätze füllen, die versuchen, ihre Wünsche, Ziele und Positionen als den Willen des ganzen ukrainischen Volkes darzustellen. Aber das ist bei Weitem nicht so[3]

Am 11. Dezember veröffentlichte die ukrainische Zeitung „Analitik“ eine Zusammenfassung solcher Resolutionen und Beschlüsse aus allen Teilen der südöstlichen Ukraine. Ähnliche Aufrufe an den Präsidenten, die Ordnung im Land wiederherzustellen kamen aus Donezk, Lugansk, Cherson, Odessa, Charkow, Poltawa, Tscherkask und Nikolajewsk, also aus der gesamten südöstlichen Ukraine. Überall bekamen diese Aufrufe große Mehrheiten in den Parlamenten, nirgends stimmten weniger als 80% der Abgeordneten für diese Aufrufe.

Ebenfalls am 11. Dezember gab die Regierung der Krim eine Erklärung heraus, in der sie die Bevölkerung der Krim zur Unterstützung gegen den Maidan aufrief und schrieb: „Heute steht die Krim vor der Wahl: entweder eine gewaltsame Maidanisierung zu ertragen oder den staatsfeindlichen und krimfeindlichen Kräften eine entschiedene Antwort zu geben. Darum wenden wir uns an jeden einzelnen von Ihnen, unsere gemeinsame Position unabhängig von Ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion und politischen Ansichten deutlich zu demonstrieren. Niemand in Kiew soll sich der Illusion hingeben, dass die Krim sich einen fremden Willen aufzwingen lässt[4]

Am 12. Dezember meldete die ukrainische „Interfax“ bereits, dass auf der Krim Selbstverteidigungskräfte gebildet wurden und zitierte den Abgeordneten Kolesnitschenko: „In Sewastopol haben sich über 800 Menschen freiwillig gemeldet, um den Selbstverteidigungskräften beizutreten und die staatliche Ordnung und die Verfassung zu verteidigen. Auf der Krim sind in jeder Stadt ähnliche Einheiten gebildet worden. Und im Südosten der Ukraine formieren sie sich auch.[5]

Wer diese Meldungen liest, der kann nicht überrascht sein, dass sich nach dem Umsturz in Kiew Ende Februar sofort gut organisierter Widerstand im Osten und Süden der Ukraine bildete. Dennoch war es für die Öffentlichkeit im Westen überraschend, da sich in den westlichen Medien überhaupt keine Meldungen über die „Antimaidan“-Bewegungen fanden. Es war aber absehbar, dass ein Umsturz in Kiew im Osten zu Widerstand führen würde.

Ohne hier auf alles im Einzelnen eingehen zu wollen, gab es solche Ereignisse während der ganzen Dauer des Maidan: Die Regionen im Osten und Süden der Ukraine waren aufgrund der Ereignisse in Kiew besorgt und Janukowytsch wurde von dort immer wieder aufgefordert, die Ordnung wiederherzustellen. Viele forderten auch die Verhängung des Ausnahmezustandes. Diesen Forderungen kam Janukowytsch aber nicht nach.

Am 4. Februar schrieb „Lenta.ru“ unter der Überschrift „Abgeordnete der Krim wenden sich mit der Bitte um Schutz an Russland“ und zitierte Stimmen von Abgeordneten der Krim: „«Wir sind einfach verpflichtet, uns an die Russische Föderation zu wenden. Die Krim ist eine russische Autonomie, ethnische Russen, russische Kultur und Sprache. Es ist klar, dass die Krim ein multi-ethnisches Territorium ist, auf dem Vertreter verschiedenster Nationalitäten in Frieden und Eintracht leben. Trotzdem kann unser Beschützer nur die Russische Föderation sein.»[6]  Ähnliche Stimmen gab es auch in anderen Ostukrainischen Gebieten.

Hier soll nicht detailliert über die Proteste gegen den Maidan eingegangen werden, obwohl es dazu genauso viel zu schreiben gäbe, wie über den Maidan selbst. Es soll nur darauf hingewiesen werden, dass diese Bewegungen vorhanden waren und dass die Besorgnis der Bevölkerung und der Volksvertreter im Osten und Süden des Landes echt und keineswegs inszeniert war. Über die Proteste im Osten, die nach dem Machtwechsel in Kiew eskalierten, werde ich später dann detaillierter berichten.

Situation auf der Krim: Reaktionen auf den Machtwechsel in Kiew

Auf die Ereignisse in Kiew ab dem 20. Februar und die Berichterstattung darüber sind wir schon eingegangen. In Bezug auf die Situation in den südlichen und östlichen Landesteilen sei exemplarisch auf den Newsticker des „Focus“ verwiesen[1]. Dort kann man die Tonlage und die Schwerpunkte der deutschen Berichterstattung in diesen Tagen beispielhaft sehen. Es gab am 22. Februar dort so viele Meldungen, wie sonst nur selten. Aber nur zwei davon thematisierten die Lage im Osten der Ukraine; die eine Meldung fragte: „Es scheint, als habe die Opposition in Kiew die Macht übernommen. Wie reagieren nun die östlichen, prorussischen Teile des Landes?“ und in einer weiteren Meldung wurde ein Twitter Beitrag von Glen Kates („BBC“) zitiert, in dem ein Redner dazu aufrief, Bataillone zu bilden. Alle anderen Meldungen an dem Tag bezogen sich auf Timoschenko, auf die Frage, wo Janukowytsch untergetaucht war, auf die luxuriöse Residenz Janukowytschs und andere Ereignisse in Kiew. Die Unruhe, die sich im Osten breitmachte, wurde praktisch nicht erwähnt. Bis zu dem Zeitpunkt, als auf der Krim das Parlament über die Durchführung eines Referendums beriet, konnten wir in Deutschland über die Zuspitzung der Situation dort praktisch nichts erfahren, sodass der Eindruck entstehen musste, dies wäre überraschend und aus heiterem Himmel gekommen.

Am 21. Februar kam es vor dem Krim-Parlament zu Zusammenstößen während im Parlament über eine mögliche Abspaltung der Krim von der Ukraine debattiert wurde. Wie das Simferopoler Portal „0652“ (benannt nach der Telefonvorwahl der Stadt) an diesem Tag unter der Überschrift „Videobeweis: In Simferopol kommen sie bewaffnet zu Demonstrationen“ berichtete, versammelten sich Anhänger des Maidan vor dem Parlament, um gegen eine Abspaltung der Krim zu protestieren. Auf den dem Artikel beigefügten Videos sieht man einen mit einer Pistole bewaffneten Mann, der laut Artikel zu den Maidan-Sympathisanten gehörte. Und weiter „Gleichzeitig kamen zum Gebäude des Obersten Rates der Autonomen Republik Krim Anti-Maidaner, denen sich Kosaken anschlossen. … Es begannen Schlägereien, einige Menschen wurden verletzt. „Heil der Ukraine, Heil den Helden“ riefen die Maidaner, als Antwort wurden sie beschimpft und „Verräter“ genannt.[2]

Hier sei eine kurze Anmerkung zu Übersetzungen gestattet. „Heil der Ukraine“ wird in den deutschen Medien mit „Ruhm der Ukraine“ oder „Ehre der Ukraine“ übersetzt. Beides ist laut Wörterbuch korrekt. Ich habe mich jedoch für die genannte Übersetzung entschieden, weil es den politischen Einstellungen der Begründer dieses Ausrufes entspricht. Natürlich ist in Deutschland das Wort „Heil“ mit den Nationalsozialisten verbunden und heute verpönt, obwohl es vor dem Auftauchen der Nazis in Deutschland absolut gebräuchlich und unverfänglich war. Aber in der Ukraine entspricht es in seiner Benutzung, den politischen Einstellungen seiner Urheber und in den Gesten – sprich dem erhobenen rechten Arm -, die dabei oft gesehen werden, genau dem, was es in Deutschland ab 1933 war.

Aber das entsprechende ukrainische Wort „Slawa“, das man mit „Ruhm“ oder „Ehre“ übersetzen kann, hat die gleiche ursprüngliche linguistische Bedeutung, wie das Wort „Heil“, das bis 1933 wie gesagt ein völlig gängiger Begriff war, um jemandem Erfolg zu wünschen oder jemandem zu rühmen. Es gab vorher Lieder wie „Heil unserem König“, in Übersetzungen aus dem Latein wurde die Grußformel „Ave Cäsar“ mit „Heil Cäsar“ übersetzt, auch die Begriffe „Ski-Heil“, Petri-Heil“, „Waidmannsheil“ und so weiter gehen darauf zurück. Auch im Englischen, das ja ursprünglich ein sächsischer Dialekt war, den die Einwanderer aus Deutschland (Stichwort „Angelsachsen“) mitgebracht haben, gibt es das Wort „Hale“, das die gleiche Bedeutung hatte.[3]

Und das slawische Wort „Slava“, um das geht, hat die gleiche Bedeutung, wie das Wort „Heil“ ursprünglich auch hatte, bevor die Nazis es vereinnahmt haben. Daher benutze ich diese Form der Übersetzung.

Am 22. Februar berichtete die russische „Vesti“ aus Sewastopol unter der Überschrift „Sewastopol empfängt die Kämpfer des Berkut wie Helden“ von der Rückkehr der Krimer Angehörigen des Berkut, die in Kiew beim Maidan dabei gewesen waren und schrieb: „Direkt vom Kiewer Maidan kamen die Angehörigen der Kräfte des Innenministeriums nach Sewastopol zurück. Insgesamt 110 Mann, noch in voller Kampfausrüstung. Sie wurden empfangen wie Helden … In Kiew wurden drei Polizisten bei den Kämpfen getötet. In Simferopol wurde ihnen die letzte Ehre erwiesen, aber ihre Kameraden stehen bereit zur Verteidigung der Halbinsel. … Niemand will Radikale in die Heimat lassen.[4]

Die „Sevastopolskaya Gaseta“ berichtete am nächsten Tag von ersten Kontrollpunkten inklusive Panzersperren bei Sewastopol und Simferopol[5]

Interessanterweise fand man in Deutschland über diese Ereignisse nichts in den Nachrichten. Manches wurde mit Verspätung berichtet. Im „Spiegel“ wurde zum Beispiel unter der Überschrift „Janukowytschs Sturmtruppen: „Wir sind die Berkut, unser Schlag ist hart““[6] über die Rückkehr des Berkut erst am 27. Februar berichtet, wobei der Korrespondent Benjamin Bidder, der schon als Korrespondent des „Spiegel“ vom Maidan berichtet hatte und dabei – wie erwähnt – seine erste Meldung erst vier Stunden nach Beginn der Schießereien veröffentlichte, den Eindruck erweckt, dies wäre eine aktuelle Meldung gewesen. Obwohl bereits fünf Tage seit der Rückkehr des Berkut vergangen waren.

Am 23. Februar beschloss die Rada, das „Sprachengesetz“ aus dem Jahre 2012 aufzuheben. In diesem Gesetz war festgelegt, dass in Regionen der Ukraine mit einer nationalen Minderheit von mindestens 10% auch die Sprache der Minderheit als Amtssprache gelten sollte. Die Abschaffung des Gesetzes war eine Forderung aus dem Parteiprogramm der „Swoboda“ und anderen nationalistischen Organisationen. Der gerade ernannte Übergangspräsident Turtschynow legte zwar später sein Veto ein, dennoch führte diese Entscheidung der Rada zu weiterer Besorgnis in den russischsprachigen Landesteilen. Über das Veto berichtete unter anderem die ukrainische „Segodnya“ am 13. März, also über 2 Wochen später, unter der Überschrift „Turtschynow erklärte, warum er das Sprachgesetz nicht unterschieben hat“ und zählte auch die 13 von 27 Regionen der Ukraine auf, in denen Russisch aufgrund der russischen Minderheiten als Amtssprache anerkannt war[7]. Die Tatsache, dass zwischen dem Beschluss der Rada und Turtschynows Veto so viel Zeit verging, trug auch zu einer weiteren Zuspitzung in den östlichen Landesteilen der Ukraine bei.

Ebenfalls am 23. Februar kam es zu Protesten auf der Krim. Der „Guardian“ berichtete darüber unter der Überschrift „Ukraine crisis fuels secession calls in pro-Russian south“ und schrieb „An dem Protest in der Hafenstadt Sewastopol auf der Halbinsel Krim nahmen tausende Teil, die Menge stimmte für die Einsetzung einer Parallel-Verwaltung und für zivile Verteidigungseinheiten. Die Demonstranten hielten russische Fahnen hoch – es war keine einzige ukrainische Fahne zu sehen – und skandierten „Russland, Russland“ … Redner sagten, dass auf einer ähnlichen Demonstration am gleichen Tag in der Regionalhauptstadt Simferopol etwa 5.000 Menschen solchen Einheiten beigetreten seien. Die Reaktion dürfte in Sewastopol weit größer sein, wo bis zu 200.000 Menschen gezählt werden konnten, sagte Dmitry Sinichkin, der Präsident der lokalen Niederlassung des Night Wolves Motorradclubs.[8]

Die Zahl 200.000 dürfte übertrieben sein, auf Fotos sieht es nach weniger Demonstranten aus, aber es finden sich keine unabhängigen Schätzungen über die Teilnehmerzahlen in der Presse.

Am 26. Februar wurde der Berkut vom amtierenden Innenminister aufgelöst, da die neue Regierung ihm die Schuld an den Toten auf dem Maidan gab. Und wohl auch, weil sich die neuen Machthaber der Loyalität des Berkut nicht sicher sein konnten, nachdem sie monatelang gegen ihn gekämpft hatten.

Außerdem fand am 26. Februar eine Demonstration der Krimtataren statt, die in Simferopol vor dem Regionalparlament gegen eine Sezession der Krim oder einen Anschluss an Russland demonstrierten, während im Parlament diese Frage erneut diskutiert wurde. Da gleichzeitig dort auch eine pro-russische Demonstration stattfand, kam es zu Zusammenstößen, bei denen es nach übereinstimmenden Berichten ca. 30 Verletzte und zwei Tote gab. Verschiedene russische und ukrainische Medien berichteten darüber, jedoch ohne genaue Angaben über die Anzahl der Demonstranten zu machen. So schrieb z.B. die ukrainische „Glavred“ an dem Tag unter der Überschrift „Auf der Krim erhoben die Tataren die Bandera-Fahne und skandieren „Heil Ukraine““ über die Teilnehmerzahlen: „Auf beiden Seiten stehen einige Tausend, die von einem Kordon aus Polizisten getrennt werden.[9]

Über die Zusammenstöße auf der Krim berichteten nun endlich auch die deutschen Medien. Am 27. Februar schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ unter der Überschrift „Gewalt zwischen Russen und Tataren auf der Krim“ über die Zusammenstöße vom Vortag und berichtete von „mindestens 5.000“ Demonstranten auf Seiten der Tataren ohne Angaben über die Zahl der pro-russischen Demonstranten zu machen[10]. Und erst im letzten Absatz konnte man lesen: „Den Zorn der Russen hat das Parlament in Kiew in dieser Woche besonders durch die Entscheidung auf sich gezogen, der russischen Sprache ihren offiziellen Status abzuerkennen. Der Vorsitzende der nationalistischen Oppositionspartei „Swoboda“, Oleg Tjahnybok, einer der Kiewer Oppositionsführer, hatte am Dienstag jedoch versucht, mit einem Auftritt in einem Fernsehsender der Krim die Gemüter zu beruhigen. Jeder dürfe in der Sprache sprechen, die er sprechen wolle, sagte Tjahnybok. „Niemals wird jemand in der Ukraine Vertreter von nationalen Minderheiten verfolgen.“

Hierbei unterließ es die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, dem Leser mitzuteilen, dass die Abschaffung von Russisch als Amtssprache Teil des Parteiprogrammes der „Swoboda“ war und dass im Osten der Ukraine kaum jemand ausgerechnet dem Vorsitzenden dieser nationalistischen und erklärtermaßen russenfeindlichen Partei seine Beschwichtigungen glauben konnte. Kam doch die Initiative für das umstrittene Gesetz zur Abschaffung von Russisch als Amtssprache von seiner Partei selbst.

Die ukrainische „Prawda“ veröffentlichte am 26. Februar einen Artikel, in dem sie Tjanyboks Erklärung zitierte und auch das Originalvideo zeigte[11]. Dort wendete er sich auf Ukrainisch an die Menschen im Land, anstatt sich in dieser speziellen und umstrittenen Frage auf Russisch an die Betroffenen zu wenden. Und er sagte: „Ich versichere Ihnen, jeder kann in der Sprache sprechen, die er möchte. Natürlich gibt es eine Amtssprache, die Amtsgeschäfte betrifft.

De facto bestätigte er also, dass Russisch als Amtssprache abgeschafft werden sollte, wenn man jedoch das Zitat der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ nimmt, dann hat sie diesen zweiten Teil weggelassen. Dieser Teil war aber der Grund für die Verärgerung und Besorgnis der russischsprachigen Bevölkerung. Man darf dabei nicht aus den Augen lassen, dass es im Osten der Ukraine Menschen gibt, die kaum oder sogar gar nicht Ukrainisch sprechen, genauso, wie es im Westen des Landes Menschen gibt, die kaum oder gar nicht Russisch sprechen. Im Übrigen verwundert es, dass die Presse oder die europäischen Regierungen hier nicht sofort protestiert haben, denn ein solches Gesetz widerspricht den europäischen Werten in der Frage des Minderheitenschutzes. Derartige Proteste europäischer Politiker gab es zwar später, sie wurden aber in den westlichen Medien kaum thematisiert, noch weniger, als die Abschaffung des Sprachengesetzes selbst.

Dem „Focus“ waren die Vorfälle auf der Krim in seinem Newsticker nur eine kurze Meldung wert: „17.01 Uhr: Angesichts zunehmender Proteste auf der ukrainischen Halbinsel Krim hat Russland den Schutz seiner dort stationierten Schwarzmeerflotte angeordnet. Russland befürchtet Übergriffe ukrainischer Nationalisten auf Angehörige seiner Streitkräfte. So kam es in der Krim-Hauptstadt Simferopol zu Auseinandersetzungen zwischen antirussischen Demonstranten und moskautreuen Einwohnern.

Ansonsten ging es in dem Newsticker an diesem Tag vornehmlich um die finanzielle Situation der Ukraine.

Nachdem die deutschen Medien die Ereignisse im Osten und Süden der Ukraine bisher ignoriert hatten, begannen am 27. Februar auch die westlichen Medien über die Vorgänge auf der Krim zu berichten. Schon erwähnt wurde der verspätete Artikel des „Spiegel“ über die Rückkehr des Berkut auf die Krim. Der Grund für die plötzliche Berichterstattung über die Lage auf der Krim war, dass in der Nacht auf den 27. Februar bewaffnete Kräfte das Regionalparlament in Simferopol besetzt hatten und das Parlament den bisherigen Regierungschef der Krim an diesem Tag absetzte und einen neuen Regierungschef berief.

In der Ukraine werden die regionalen Regierungschefs, genannt „Gouverneure“, (vergleichbar mit den Ministerpräsidenten der deutschen Bundesländer) nicht vom Volk oder dem Regionalparlament gewählt, sondern von der Zentralregierung in Kiew dem Präsidenten vorgeschlagen, der sie dann ernennt. Auf der Krim berief man sich darauf, dass die neue Kiewer Regierung und vor allem Übergangspräsident Turtschynow nicht verfassungsgemäß ins Amt gekommen seien und Janukowytsch immer noch de Jura Präsident der Ukraine sei. Entsprechend konnte man sich auf Janukowytsch berufen, der die Schritte auf der Krim aus dem russischen Exil bestätigte. Damit kam es erstmals zu Widerstand gegen Kiew, der sich nicht auf Aufrufe regionaler Parlamente oder Großdemonstrationen im Osten des Landes begrenzte, sondern es kam zur ersten Machtprobe des russischsprachigen Südostens mit der Zentralregierung. Dies rief nun auch ein Medienecho in der westlichen Presse hervor, die in den Monaten vorher die Vorgänge in den südöstlichen Landesteilen fast vollständig ignoriert hatte.

Die „New York Times“ berichtete an diesem 27. Februar unter der Überschrift „Grab for Power in Crimea Raises Secession Threat“ über die Ereignisse und führte aus: „Bewaffnete Milizionäre übernahmen die Kontrolle über Regierungsgebäude; Massen füllten die Straßen und skandierten „Russland, Russland“ und Abgeordnete riefen zu einer Abstimmung über das Verhältnis zur Ukraine auf. … Polizisten, eigentlich unter dem Befehl des Innenministeriums in Kiew, machten nur geringe bis keine Versuche, die Massen zu kontrollieren, in einigen Fällen applaudierten sie den pro-russischen Parolen sogar. Die Polizei blieb untätig als bewaffnete Militärs, die in der Nacht die Regierungsgebäude besetzt hatten, mit dem Bau von Barrikaden begannen.[12]

„Lenta.ru“ berichtete aus Kiew unter der Überschrift „Ukrainischer Abgeordneter meldet Meuterei beim Krimer Berkut“ und führte aus, dass Teile des Berkut sich der gerade beschlossenen Auflösung der Spezialeinheit widersetzten und in voller Uniform und Bewaffnung Kontrollpunkte an den Zugangswegen der Krim errichtet hatten[13]. Weiter schrieb „Lenta.ru“ unter Bezug auf den Rada-Abgeordneten Gennadi Moskal von der „Vaterlandspartei“: „Nach seinen Angaben nehmen an der Meuterei nicht nur Kämpfer von der Krim teil, sondern auch aus anderen Regionen angereiste Kollegen. Nach Angaben des Abgeordneten nahmen die Berkut-Kämpfer auch an der Besetzung des Parlaments und des Regierungsgebäudes der Krim teil. … Die Entscheidung, den Berkut aufzulösen, gab der Übergangs-Innenminister Arsenij Awakow in der Nacht auf Mittwoch dem 26. Februar bekannt. Er erklärte, die Spezialeinheit habe sich diskreditiert und ihre nun ehemaligen Mitglieder sollten sich für ihre Taten im Verlauf der Zusammenstöße zwischen Regierung und Opposition verantworten. „Schuldige werden bestraft, aber diejenigen, die an den Verbrechen gegen Zivilisten nicht teilgenommen haben, bekommen die Chance, bei den Kräften des Innenministeriums zu arbeiten“ teilte der Übergangsminister mit.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Rada bereits eine Amnestie für alle Demonstranten des Maidan beschlossen hatte. Dies war Teil des Abkommens gewesen, welches die Opposition mit Janukowytsch im Beisein der europäischen Außenminister unterschrieben hatte. Im Interesse der Versöhnung in dem Land nach den blutigen Unruhen, wäre es hilfreich gewesen, auch eine Amnestie für die Polizeikräfte zu beschließen, zumal die Polizisten anscheinend nur Befehle ausgeführt haben und versucht haben, ihren gesetzlichen Auftrag, nämlich die Verteidigung des Regierungsviertels, zu erfüllen. Eine solche Amnestie wurde jedoch nie angedacht. So aber mussten sich die Polzisten, die von Demonstranten beschossen und mit Molotow-Cocktails beworfen worden waren, nun zwangsläufig als Sündenböcke fühlen, wenn diejenigen, von denen sie angegriffen worden waren, nun unter eine Amnestie fielen. Im Verlauf der Unruhen mag es zu Verbrechen von Seiten der Polizei gekommen sein, eine einseitige Amnestie und der spätere Verlauf der Ermittlungen zu den Todesschützen, auf den wir schon eingegangen sind, haben aber sicher nicht dazu beigetragen, dass die Polizisten Vertrauen zu den neuen Machthabern entwickeln konnten.

Das Krim-Parlament setzte an diesem 27. Februar in einer Sitzung den amtierenden Premierminister der Krim ab und wählte Sergey Aksjonow zum neuen Premier. Aksjonow war einer von drei Abgeordneten der pro-russischen Partei „Russische Einheit“. Darüber wurde ebenfalls breit berichtet. So schrieb die ukrainische Zeitung „Korrespondent“ unter der Überschrift „Der Vorsitzende von Russische Einheit Aksjonow wurde zum neuen Krim-Premier gewählt“ und führte aus: „Der Oberste Rat der Krim, der in einem von Bewaffneten besetzten Gebäude tagt, hat Sergey Aksjonow, den Vorsitzenden der Partei Russische Einheit und Chef der Krimer Regierung ernannt. … Außerdem wird berichtet, dass der neue Ministerrat der Autonomen Republik Krim Wiktor Janukowytsch als Präsidenten der Ukraine ansieht. Laut Verfassung der Ukraine wird der Premier der Krim vom Obersten Rat der Autonomen Republik mit Einverständnis des Präsidenten ernannt.[14]

Das Parlament der Krim beschloss außerdem, am 25. Mai, also zeitgleich mit den von Kiew angesetzten Präsidentschaftswahlen, ein Referendum über den Status der Krim abzuhalten.

Der „Spiegel“ brachte an diesem Tag einen Artikel unter der Überschrift „Referendum: Der Ukraine droht die Abspaltung der Krim“ und schrieb: „Laut Medienberichten waren die Mehrheiten bei den hinter verschlossenen Türen stattfindenden Abstimmungen im Parlament deutlich: 61 von 64 anwesenden Abgeordneten stimmten der Nachrichtenagentur Unian zufolge für das Referendum über den Status der Krim. 55 Abgeordnete votierten demnach für die Absetzung der bisherigen, eigentlich ebenfalls prorussischen Regierung. Insgesamt sitzen 100 Abgeordnete im Regionalparlament. „Durch die verfassungswidrige Machtübernahme in der Ukraine von radikalen Nationalisten und mit Unterstützung bewaffneter Banden sind Friede und Ruhe auf der Krim gefährdet“ sagte eine Parlamentssprecherin.[15]

Generell muss man auf der Krim, wie auch in Kiew nach dem Umsturz, die Frage stellen, inwieweit eine Parlamentssitzung frei verlaufen kann, wenn Bewaffnete im Saal sind. Im Gegensatz zu den Ereignissen in Kiew, wo es in der Rada ursprünglich keine pro-westliche Mehrheit gab, sei jedoch noch einmal darauf hingewiesen, dass im Krim-Parlament von 100 Abgeordneten alleine 80 von der „Partei der Regionen“ waren und drei von Aksjonows „Russische Einheit“, also eine klare pro-russische Mehrheit bestand.

Interessanterweise meldeten die Medien in Deutschland an diesem Tag nichts über mögliche Unregelmäßigkeiten bei der Parlamentssitzung. Die russische Presse, die im Westen regelmäßig als Kreml-gesteuert dargestellt wird war hier – genau wie bei den Berichten über die Ereignisse in Kiew – wesentlich kritischer und genauer. So meldete der Newsticker der russischen „Gaseta“an diesem Tag um 17:51 Uhr: „Die Krim kann nicht über die Frage der Ausweitung der Rechte der Autonomen Republik Krim abstimmen – die Abgeordneten haben kein Quorum. Das berichtet UNIAN mit Verweis auf das „Zentrum journalistischer Recherchen“, welches sich wiederum auf eine Quelle im Parlament beruft und darauf hinweist, dass allen Abgeordneten die Handys abgenommen wurden, weshalb es unmöglich ist, Einzelheiten aus dem Parlament zu erfahren.[16]

Die Abstimmungen fanden jedoch erst knapp zwei Stunden nach dieser Meldung statt, also immerhin fast 4 Stunden später als geplant. Der Newsticker der „Gaseta“ berichtete ab 19.45 Uhr über die Ergebnisse der Abstimmungen. Ob es in dieser Zeit gelungen ist, genug Abgeordnete für ein Quorum zu versammeln und ob die aus nur einer Quelle stammenden Meldungen über das fehlende Quorum überhaupt stimmten, lässt sich nicht sicher sagen.

Am nächsten Morgen schrieb die russische „Vedomosti“ über Unregelmäßigkeiten: „Es wurde berichtet, dass für Aksjonow 53 Abgeordnete gestimmt haben. Die Abstimmung selbst verlief hinter verschlossenen Türen, anwesend waren nur Journalisten russischer TV-Sender … Später erklärte der Abgeordnete Nikolay Sumulidi, dass er nicht teilgenommen habe. Unter Berufung auf Anrufe bei anderen Abgeordneten erklärte er, dass an der Sitzung 35-37 Parlamentarier teilgenommen hätten, was bedeutet, dass es kein Quorum gab. Er fügte hinzu, dass er schon seit drei Monaten nicht mehr im Parlament erschienen sei.[17]

Erst zwei Wochen später erschienen auch im Westen Artikel, die sich auf Sumulidi beriefen. So schrieb zum Beispiel die holländische „Aftenposten“ am 9. März unter der Überschrift „Voting fraud secured pro-Russian majority in Crimean parliament“ und führte aus: „Die Regeln besagen, dass 51 Mitglieder des Parlaments anwesend sein müssen, damit eine qualifizierte Abstimmung stattfinden kann. Die neue Regierung (der Krim) sagt, 61 Mitglieder des Parlaments hätten teilgenommen. Die Recherchen von Aftenposten zeigen, dass nur 36 anwesend waren.“ Weiter wurde Sumulidi zitiert: „Das System, welches registriert, wer abgestimmt hat und wofür oder wogegen, zeigt, dass ich abgestimmt habe. Aber ich war nicht dort. Das gleiche gilt für viele meiner Kollegen.[18]

Die Berichterstattung im Westen berief sich danach immer wieder auf Sumulidi als Quelle und war anscheinend nicht in der Lage, weitere Abgeordnete zu finden, die seine Version bestätigen konnten. Dies ist insofern merkwürdig, weil es – wenn Sumulidi Recht hat – noch über 60 Abgeordnete geben müsste, die seine Version bestätigen können. Dies gilt es – trotz der schon geäußerten Kritik an Abstimmungen mit Bewaffneten im Plenarsaal – zu berücksichtigen.

Der „Spiegel“ veröffentlichte am 27. Februar einen Artikel unter der Überschrift „Streit um Ukraine: China unterstellt Westen Kalter-Kriegs-Mentalität“ und führte aus: „Während der politischen Krise in der Ukraine ringen Europäische Union, USA und Russland um Einfluss in dem Land. Chinas führende Zeitung hat dem Westen nun vorgeworfen, Moskau mit einer Haltung zu begegnen, die deutlich mache, dass man mental noch in Zeiten des Kalten Kriegs verhaftet sei. … Der Kommentar ist die bislang schärfste Reaktion Chinas auf die Krise in der Ukraine und das Vorgehen des Westens dabei. An dessen Adresse richtet der Kommentar den Appell, „sein überholtes Denken“ abzulegen und die Zusammenarbeit auszubauen.[19]

Des Weiteren thematisierte der Artikel der Finanzbedarf der Ukraine, da die neue Regierung an diesem Tag mitgeteilt hatte, sie brauche 35 Mrd. US-Dollar Finanzhilfen.

Die finanziellen Probleme der Ukraine waren ein weiteres Thema, das die Schlagzeilen an diesem Tag beherrschte. Stellvertretend für die vielen Meldungen über die finanzielle Situation der Ukraine sei hier ein Bericht des „Spiegel“ vom 27. Februar zitiert, der unter dem Titel „Desolate Wirtschaftslage: IWF-Chefin Lagarde schickt Aufklärungsteam in die Ukraine“ schrieb: „Die Ukraine steht am Rande des Staatsbankrotts. Um diesen abzuwenden, braucht Kiew in den kommenden zwei Jahren 35 Milliarden Dollar. Der Internationale Währungsfonds will zwar helfen – gewährt aber nur dann überlebenswichtige Kredite, wenn es einschneidende Reformen gibt. … Laut Reuters plant die Ukraine nun, eine Finanzspritze von mindestens 15 Milliarden Dollar beim IWF zu beantragen. Der neue ukrainische Finanzminister Alexander Schlapak hofft darauf, nächste Woche mit Vertretern des IWF über das Hilfspaket verhandeln zu können.[20]

Auf die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Ukraine werde ich später in einem gesonderten Kapitel noch genauer eingehen.

Am 27. Februar gab es im Newsticker des „Focus“ noch etwas zu lesen, was mir generell zu denken gibt. Medien berufen sich gerne auf ihre Korrespondenten vor Ort, bei genauer Betrachtung sind deren Meldungen aber oft recht wertlos. Erwähnt wurde schon Benjamin Bidder vom „Spiegel“, der es, obwohl er laut Spiegel am Tag der Todesschüsse von Kiew vor Ort war, nicht geschafft hat, etwas über den Beginn der Schießereien zu berichten. Auch der „Focus“ rühmte sich in seinem Newsticker am 27. Februar eines Korrespondenten vor Ort in Kiew und titelte an dem Tag im Newsticker „FOCUS-Online-Reporter Niko Hinz vor Ort“[21]. Von dem Korrespondenten kam jedoch wenig erhellendes, die Nachrichten des Korrespondenten erschöpften sich in zwei Meldungen, die ich hier zitieren will: „19.47 Uhr – FOCUS Online live vor Ort: Der Maidan hat seinen eigenen Geruch. Es ist eine Mischung aus kaltem Rauch, der von den Barrikaden und den brennenden Tonnen aufsteigt, und aus Blumenduft, der von den Tausenden Blumen stammt, die hier im Gedenken an die vielen Toten der vergangenen Tage in endlosen Reihen niedergelegt wurden. „Der neue Premierminister Jazenjuk muss in Demut vor den Menschen auf dem Maidan niederknien“ sagt eine Sprecherin auf einem Podest am Rande des Unabhängigkeitsplatzes.

Die zweite Meldung des Korrespondenten lautete: „21.34 Uhr – live vor Ort: Bei weitem nicht alle auf dem Maidan sind zufrieden mit der Zusammensetzung der heute bestätigten Übergangsregierung. Den Afghanistanveteranen, einer Gruppe von Männern, die seit Monaten im inneren Zirkel des Maidanrats vertreten sind, wurde ein Posten im Kabinett versprochen. Doch ihrem Kandidaten Micheda Petro Mikolajewitsch wurde das Amt des Verteidigungsministers plötzlich verwehrt. „Wir werden diesen Posten einfordern – notfalls auch mit Gewalt“ sagt ein Regionalleiter der Gruppe gegenüber FOCUS Online. Zunächst werde man aber auf Dialog setzen.

Über den Nachrichtenwert derartiger Korrespondenten-Meldungen darf sich der Leser sein eigenes Urteil bilden. Die interessanten Meldungen des Tages waren jedoch definitiv andere, selbst wenn man nur die Ereignisse in Kiew ansieht und die Krim ausblendet. Im Zuge der Arbeit an diesem Buch stellte sich mir immer wieder die Frage, was Korrespondenten vor Ort eigentlich tun, wenn die wirklich wichtigen Meldungen regelmäßig aus anderen Quellen kommen. Es kommt der Eindruck auf, dass ein Korrespondentenbericht die besondere Qualität des Berichtes unterstreichen soll, allerdings fanden sich in diesem Konflikt kaum Korrespondentenberichte, die diese Anforderung tatsächlich erfüllten. Wir werden noch öfter auf derartige Beispiele stoßen. Teilweise werden wir sehen, dass Korrespondenten sogar Falschmeldungen brachten. Das ist bedenklich, da gerade die Anwesenheit eines Korrespondenten vor Ort dem Leser oder Zuschauer eine besondere Zuverlässigkeit der Meldungen suggeriert.

Am 28. Februar begannen einheitlich uniformierte Soldaten auf der Krim in Erscheinung zu treten In der Nacht wurde der Flughafen von Simferopol besetzt. Der Flugbetrieb ging jedoch ohne Einschränkung weiter, lediglich ein türkisches Flugzeug kehrte nach dem Start Richtung Simferopol um und flog nach Istanbul zurück.

Der „Focus“ begann in seinem Newsticker schon mitten in der Nacht mit Berichten über die Ereignisse: „03.02 Uhr: Der Flughafen wurde offenbar von einer Gruppe von etwa 50 Bewaffneten besetzt. Wie die Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine berichtete, tragen die Männer Militäruniformen. Augenzeugen hätten erklärt, die Bewaffneten würde dieselbe militärische Kleidung tragen wie die Männer, die am Donnerstagmorgen die Gebäude von Parlament und Regionalregierung auf der ukrainischen Halbinsel Krim besetzt hätten. Die Männer seien in Fahrzeugen ohne Kennzeichen am Flughafen vorgefahren. Welche Ziele die Bewaffneten verfolgen würden, sei unklar, hieß es bei Interfax-Ukraine.

Dann: „03.53 Uhr: Offenbar haben die Bewaffneten den Flughafen wieder verlassen. Wie der Sender Russia Today unter Berufung auf den Pressedienst des Flughafens im Kurznachrichtendienst Twitter berichtete, verließen die Eindringlinge das Gelände wieder, nachdem sie keine ukrainischen Soldaten angetroffen hätten. Sie hätten sich sogar entschuldigt, hieß es bei Russia Today. Der Betrieb des Flughafens sei nicht beeinträchtigt worden.

Auch wenn die Besetzung nur vorübergehend war, blieben die Soldaten vor Ort: „05.27 Uhr: Die Uniformierten tragen laut dem Reporter schwarzen Abzeichen. Auf die Frage nach ihrer Nationalität würden sie keine Antwort geben. Auch ein Dutzend prorussische Zivilisten sei zugegen. „Wir sind alle Freiwillige und verhindern, dass Faschisten oder Radikale aus dem Westen der Ukraine hier landen“, sagt einer von ihnen, der sich als Sprecher der Gruppe ausgibt, so der Reporter

An diesem Tag landete der Oligarch, Abgeordnete und spätere Präsident der Ukraine Petro Poroschenko auf der Krim, um Verhandlungen mit der regionalen Regierung zu führen. Die „Krim-News“ berichtete: „Am heutigen Abend landete der Abgeordnete Petr Poroschenko zu Verhandlungen mit der Regierung der Autonomie in SimferopolEr erklärte, dass die bewaffneten Leute auf dem Gelände des Flughafens versucht haben, seine Mitarbeiter nicht passieren zu lassen und dass sie sich geweigert hätten, sich auszuweisen.[22]

Später berichtete die ukrainische „Interfax“ unter der Überschrift „Krim-Bewohner riefen Poroschenko zu „Hau ab von der Krim““ über den weiteren Verlauf des Besuches: „Der Rada-Abgeordnete Petr Poroschenko wurde am Freitagabend nicht in den Obersten Rat der Krim gelassen. … Der Abgeordnete war gezwungen, geschützt von zehn Polizisten zum Bahnhof zurückzuweichen. Die Menge folgte Poroschenko und skandierte „Verräter, hau ab von der Krim!“ … Bei der Pavlenko-Straße angekommen, gelang es den Polizisten, ein Taxi anzuhalten und einen Korridor freizuhalten, durch den Poroschenko abfahren konnte[23]

Die wichtigsten Meldungen des Tages drehten sich aber dann um die gut bewaffneten Soldaten, die nun an verschiedenen Orten auf der Krim auftauchten. Der Newsticker der „Krim-News“ schrieb an diesem Tage unter anderem: „11:14 – Der Krimer Abgeordnete Sergey Tsekov: Die Maschinengewehr-Männer am Simferopoler Flughafen sind „Einheiten der Selbstverteidigungskräfte“. „Die können erzählen, was sie wollen, aber es sind keine russischen Soldaten, es sind Kämpfer der Krimer Selbstverteidigung, die wir gegründet haben“ … 12:08 – Momentan befinden sich auf dem Flughafengeländer einige Dutzend bewaffnete Personen. Sie haben Schnellfeuergewehre … Die sogenannten Wachen patrouillieren auf dem Parkplatz und vor dem Terminal wobei sie mit niemandem sprechen. … 13:11 – Die Bewaffneten am Flughafen sind in LKW gestiegen und mit unbekanntem Ziel abgefahren … 16:27 – 10 russische Mannschaftstransporter fahren Richtung Simferopol.[24]

Der „Spiegel“ berichtete unter der Überschrift „Konflikt zwischen Russland und Ukraine: Lage auf der Krim spitzt sich dramatisch zu“ und schrieb, dass Kiew „berichtet, in dem Autonomen Gebiet seien russische Militärflugzeuge vom Typ Iljuschin Il-76 mit insgesamt rund 2000 Soldaten gelandet. Über die Anzahl der Maschinen liegen widersprüchliche Berichte vor. Ein Sprecher der ukrainischen Grenzsicherung sprach AP zufolge von acht Transportflugzeugen. … Die Insassen der Flugzeuge hätten es abgelehnt, sich zu identifizieren, sagte der Sprecher. Die russische Nachrichtenagentur Interfax hatte hingegen gemeldet, dass 13 russische Flugzeuge mit jeweils 150 Einsatzkräften auf der Militärbasis gelandet seien.[25]

Anfang März gingen die Demonstrationen auf der Krim weiter und die gut organisierten, bewaffneten Soldaten wurden Teil des Straßenbildes. Moskau bestritt zu dem Zeitpunkt, dass es sich bei diesen Einheiten um russische Soldaten handelte, während Kiew, der Westen und die westlichen Medien Russland beschuldigten, mit Soldaten auf der Krim aktiv zu sein. Vorweggenommen sei schon mal, dass Russland einen Monat später eingestanden hat, dass es sich bei den einheitlich bewaffneten Soldaten, die zusätzlich zu den Selbstverteidigungskräften der Krim und der Polizei in diesem Tagen die Krim kontrollierten, um russische Truppen handelte. Am 4. April veröffentlichte „Itar-TASS“ einen Artikel, in dem der russische Verteidigungsminister Schoigu zitiert wurde: „Es entstand eine Gefahr für die Zivilbevölkerung der Krim und die Gefahr der Besetzung russischer Militärbasen durch extremistische Organisationen … Das erforderte entschiedene Schritte durch das Verteidigungsministerium.[26]

Auch Präsident Putin selbst gab einen Monat später zu, dass russische Soldaten im Einsatz waren. Er tat dies z.B. bei der alljährlichen Fragestunde an den Präsidenten im April, über die ich noch detailliert berichten werde.

Die Tage Anfang März waren bestimmt von politischen Reaktionen. Während Russland sich auf den Schutz der russischsprachigen Bevölkerung und die Selbstbestimmung der Bevölkerung der Krim berief und auf der Krim selbst die Durchführung eines Referendums beschlossen wurde, protestierte der Westen gegen die Vorgänge auf der Krim.

Zu dem Referendum sei gesagt, dass es zunächst am 25. Mai stattfinden sollte und dann zwei Mal vorverlegt wurde, zunächst auf den 30. März, dann auf den 16. März. Begründet wurden die Vorverlegungen mit der angespannten Lage und der potenziellen Gefahr einer bewaffneten Auseinandersetzung um die Krim. Auch die Frage über die genaue Formulierung des Referendums wurde diskutiert. Ging es zunächst um die Frage einer Ausweitung der Autonomie, wurde später auch die Abspaltung der Krim zur Diskussion gestellt. Dazu aber später mehr.

Der Krimer Premierminister Aksjonow bat Russland am 1. März um Hilfe: „Im Verständnis für die Verantwortung für das Leben und die Sicherheit der Menschen wende ich mich an Präsident Putin mit der Bitte um Hilfe bei der Sicherung von Ruhe und Frieden auf der Krim.[27]

Russland ließ sich nicht lange bitten und der Präsident bat den Föderationsrat noch am 1. März um die Erlaubnis, Truppen in der Ukraine einsetzen zu dürfen.[28] In einer außerordentlichen Sitzung ebenfalls noch am gleichen Tag genehmigte der Föderationsrat das Gesuch des Präsidenten einstimmig. Hier der Text des Gesuchs: „Aufgrund der kritischen Situation in der Ukraine, die Gefahr für das Leben von Bürgern der Russischen Föderation und Gefahr für unsere Streitkräfte bedeutet, die auf Basis eines internationalen Abkommens auf dem Territorium der Ukraine (Autonome Republik Krim) stationiert sind, ersuche ich den Föderationsrat, den Einsatz von Streitkräften der Russischen Föderation gemäß Artikel 102 Teil 1 Punkt G der Verfassung auf dem Gebiet der Ukraine bis zur Normalisierung der gesellschaftlich-politischen Situation in dem Land zu genehmigen.[29]

Auch zwischen Kiew und der Krim verschärfte sich in diesen Tagen der Ton. „Itar-TASS“ berichtete am 1. März über die Vorgänge im Krimer Parlament: „Die Abgeordneten … stimmten dafür, den Entscheidungen der Zentralregierung nicht zu folgen. … Der Abgeordnete Dmitri Belik verlass den Text der Entscheidung: „In der heutigen Situation haben wir Abgeordnete, die den Willen des Volkes ausdrücken, … nur die Wahl entweder zu schweigen und zuzuschauen, wie unser Berkut erniedrigt wird, wie bewaffnete Banditen Ministerposten in der Ukraine bekommen, oder zu handeln“[30]

Kiew wiederum reagierte ebenfalls auf die Ereignisse der vergangenen Tage. Übergangspräsident Turtschynow erließ einen Ukas, in dem er die Ernennung von Aksjonow als verfassungswidrig bezeichnete.[31]

Der Korrespondent des „Spiegel“ Benjamin Bidder schrieb am 1. März unter dem Titel: „Putins Aufmarschpläne: Operation Protektorat Krim“ über die Autorisierung des Einsatzes von russischen Streitkräften in der Ukraine und berichtete von der Entscheidung des russischen Föderationsrates. Dann schrieb er: „Das politische Moskau – wenn nicht gar die Mehrheit der Russen – ist fest davon überzeugt, dass auf dem Maidan in Kiew nicht nur nationalistische Revolutionäre gesiegt haben, sondern „Faschisten“ Seit dem Beginn des Aufstands gegen Wiktor Janukowitsch vor drei Monaten schon macht dieser Kampfbegriff in Russland die Runde. Weitgehend unbeachtet bleibt dagegen die Tatsache, dass nicht nur rechte Kampftrupps aus der Westukraine auf dem Unabhängigkeitsplatz standen, sondern auch hunderttausende Bürger aus Kiew, viele davon russische Muttersprachler.[32]

Herr Bidder ignorierte die Tatsache, dass in der neuen Regierung die Mitglieder der „Swoboda“ den zweitgrößten Anteil an den Ministerposten bekommen hatten und dass diese Partei noch Monate vorher von der EU, der Bundesregierung und anderen als nationalistisch, chauvinistisch, russen- und judenfeindlich, etc. bezeichnet worden war. Ganz grundlos waren die Befürchtungen in Russland also nicht. Das zeigte sich schon daran, dass trotz eines drohenden Staatsbankrotts, trotz des Chaos im Land, trotz illegal bewaffneter Kräfte, die in Kiew immer noch das Regierungsviertel beherrschten (wie auch das Telefonat Ashton/Paet belegt, die sicher keine russische Propaganda betrieben haben), trotz Sezessionstendenzen im Land, trotz all dieser Probleme hat die Rada gleich in den ersten Tagen ein Gesetz zur Abschaffung von Russisch als Amtssprache beschlossen, anstatt sich um die wirklichen Probleme im Land zu kümmern. Dass die russischen Medien im Übrigen einseitig ein faschistisches Feindbild auf dem Maidan geschaffen haben, ist sicher auch nicht korrekt, wie die Berichte der russischen Medien aus der Zeit des Maidan zeigten. Natürlich gab es auch Berichte, die reißerisch vor Faschisten warnten. Allerdings gab und gibt es auch im Westen einseitig und reißerisch berichtende Medien. Ich blende diese Stimmen aber – mit wenigen Ausnahmen – bewusst aus und konzentriere mich auf „seriöse“ Medien und nicht auf die Boulevard-Presse. Und zwar auf beiden Seiten.

Die „Neue Züricher Zeitung“ berichtete an diesem 1. März unter der Überschrift „Russland umwirbt Sewastopol“ von der Krim und schrieb: „Neue Realitäten sollen wohl möglichst schnell geschaffen werden. Eine Stärkung der Autonomie, eine engere Bindung an Russland sind populär auf der Krim. Wie die Tage zuvor fanden am Wochenende erneut russlandfreundliche Kundgebungen vor dem Gebäude der Stadtverwaltung statt. Wie in ganz Sewastopol tragen viele das orange-schwarze Sankt-Georgs-Band als Zeichen der Verbundenheit zu Russland. Sie skandieren «Russland! Russland!». Unter ihnen sind viele junge, aber auch ältere Leute.[33]

Außerdem versetzte Kiew seine Armee in Alarmbereitschaft, wie z.B. der Focus an diesem Tag berichtete.[34]

Das Referendum auf der Krim

In dem folgenden Tagen bis zum Referendum am 16. März übernahmen die gut organisierten, russischen Soldaten und ihre Unterstützer die Kontrolle über Schlüsselpositionen der Krim und belagerten ukrainische Kasernen und Militärstützpunkte. Zwar kam es vereinzelt zu kritischen Situationen, aber es fanden keine Kämpfe statt. Der schlimmste Vorfall betraf Warnschüsse in die Luft. Russland begründete diese Aktionen später mit der Notwendigkeit, die ukrainische Armee daran zu hindern, einen geordneten Ablauf des Referendums zu stören. Diese Version wurde von mehreren Kommentatoren (wie z.B. Frau Krone-Schmalz) bestätigt. Den Angehörigen der ukrainischen Armee wurde freigestellt, ob sie die Seiten wechseln (was viele auch taten) oder ob sie ohne Waffen die Kasernen verlassen und unbewaffnet in die Ukraine abrücken wollten.

Zur gleichen Zeit drohte der Westen Russland mit Sanktionen, die USA führten als erste Sanktionen Einreisebeschränkungen für einige Russen ein[1] und der Ton zwischen Kiew und der Krim wurde rauer. Nachdem der Westen inklusive der westlichen Berichterstattung die Ereignisse in Kiew als „demokratische Revolution“ gefeiert hatte, war nun die Ratlosigkeit auf die Ereignisse auf der Krim spürbar. Dass Russland Soldaten auf der Krim eingesetzt hat, ist heute unbestritten. Inwieweit Russland die Ereignisse auf der Krim geplant hatte oder selbst von der Dynamik überrascht wurde, ist spekulativ. Russland verfügt nicht über ein so ausgeprägtes Netz an Stiftungen, wie die USA und die Nato, die jahrzehntelange Erfahrung haben, wenn es um die Beeinflussung von Staaten bis hin zu Regime-Changes geht. Daher ist es auch wesentlich schwieriger, die russische Einflussnahme auf die Ereignisse bzw. deren Umfang so genau festzustellen, wie im Falle der westlichen Stiftungen und Think-Tanks. Man darf aber wohl davon ausgehen, dass Russland enge Kontakte zu Aksjonow und seiner Partei hatte und diese im Verlauf der Krise auch genutzt wurden, denn es sind Reisen von Aksjonow nach Moskau dokumentiert und auch Besuche von russischen Duma-Abgeordneten auf der Krim. Ohne dies im Einzelfall genau belegen zu können, kann man eine Koordinierung der Aktionen zwischen Aksjonow und Moskau insgesamt wohl voraussetzen. Dies bestätigte indirekt auch Girkin, den wir später noch kennenlernen werden.

Am 6. März beschloss das Krim-Parlament das Referendum endgültig, setzte es für den 16. März an und veröffentlichte die zur Abstimmung stehenden Fragen und das Reglement. Außerdem legte das Parlament fest, dass es der Wunsch des Parlaments war, der Russischen Föderation beizutreten und daher das Volk darüber abstimmen zu lassen. Zur Abstimmung stand die Entscheidung zwischen zwei Alternativen: „1. Sind Sie für eine Vereinigung der Krim mit Russland als Subjekt der Russischen Föderation? 2. Sind Sie für die Wiedereinführung der Verfassung der Republik Krim von 1992 und für den Status der Krim als Teil der Ukraine?[2]

In der Verfassung von 1992 war vorgesehen, dass die Krim alle Rechte einer unabhängigen Verwaltungseinheit im ukrainischen Staat hatte, mit vielen Vollmachten, ihr Schicksal selbst zu bestimmen und Beziehungen mit jedem anderen Land, einschließlich Russland, aufzunehmen.

Daher wollen wir uns den Text der Verfassung von 1992[3] anschauen, damit der Leser sich ein eigenes Bild machen kann. Dort regelte Artikel 9: „Die Republik Krim gehört zum Staat Ukraine und regelt ihre Verhältnisse mit ihm auf Basis von Verträgen und Vereinbarungen.“ Und Artikel 10: „Die Republik Krim tritt eigenständig in Verhältnisse mit anderen Staaten und Organisationen ein und regelt die Beziehungen zu ihnen auf Basis von Verträgen und Vereinbarungen, die die Zusammenarbeit in Wirtschaft, Kultur, Gesundheitswesen, Bildung, Forschung und anderen Bereichen betreffen; sie gründet ihre Beziehungen zu ihnen auf Basis von Gleichberechtigung, Respektierung der Souveränität, der territorialen Unversehrtheit, Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten, Lösung von Streitfragen auf ausschließlich friedlichem Wege und gutwilliger Erfüllung gegenseitiger Verpflichtungen.

Man kann damit festhalten, dass die Einwohner der Krim die Wahl hatten, sich entweder Russland anzuschließen oder eine erheblich ausgeweitete Autonomie anzunehmen. Die Beibehaltung des Status Quo – das kann man unbestritten festhalten – fand sich jedenfalls nicht als Antwortmöglichkeit.

Nachdem am 7. März ein Team aus OSZE Beobachtern an einem Kontrollpunkt die Weiterfahrt auf die Krim verweigert wurde,[4] berichtete Radio Liberty am 10. März, dass das Krim-Parlament die OSZE eingeladen hatte, das Referendum zu beobachten.[5] Die OSZE lehnte diese Einladung am 11. März ab, da das Referendum der ukrainischen Verfassung widersprach und daher aus diesem Grund illegal sei.[6] Am 14. März meldete der Newsticker des „Focus“ hierzu: „11.40 Uhr: Russland hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) aufgefordert, Beobachter zu dem umstrittenen Referendum auf der ukrainischen Halbinsel Krim zu schicken. Die OSZE solle „positiv auf die Einladung der Behörden der Krim zur Beobachtung des anstehenden Referendums reagieren“ erklärt das russische Außenministerium in Moskau. Die OSZE dürfe nicht „mit zwei Maßen messen“ OSZE-Präsident Didier Burkhalter hatte das anstehende Referendum auf der Krim am Dienstag allerdings als „illegal“ bezeichnet[7]

Die Einladung der Krim und Russlands wurde in den deutschen Medien nicht weiter thematisiert und auch die Ablehnung durch die OSZE nicht. Dafür wurde in der Folgezeit immer wieder kritisiert, dass das Referendum undemokratisch gewesen sei und dass es ohne Wahlbeobachter der OSZE durchgeführt wurde. Ob das Referendum demokratischen Standards genügte, werden wir noch versuchen zu analysieren. In jedem Fall ist es jedoch interessant, dass die OSZE die Einladung zur Beobachtung ablehnte und der Westen anschließend Russland und der Krim-Regierung unter anderem vorgeworfen hat, dass keine Beobachter der OSZE vor Ort gewesen sind. Dabei kann der Eindruck entstehen, dass Russland oder die Krim-Regierung OSZE-Beobachter abgelehnt hätten, was nachweislich jedoch nicht stimmt.

In den letzten Tagen vor dem Referendum erklärte das ukrainische Verfassungsgericht das Referendum erwartungsgemäß für verfassungswidrig. Die Rada in Kiew löste das Krim-Parlament offiziell auf. Auch der Westen bezeichnete das Referendum als „illegal“. All dies hatte jedoch keinen Einfluss auf die Ereignisse auf der Krim und am 16. März fand das Referendum statt.

Nachdem die OSZE und die EU die Entsendung von Beobachtern abgelehnt haben, sind trotzdem Beobachter bei dem Referendum zugegen gewesen. Darüber berichtete unter anderem die russischsprachige Ausgabe von „Euro News“ am 16. März in ihrem Newsticker zum Referendum: „Für die Arbeit beim Referendum waren 135 Beobachter aus 23 Ländern registriert. Wie mitgeteilt wurde, wurden keine Verstöße bei den Wahlen beobachtet.[8]

Das offizielle Endergebnis des Referendums lautete 96,77% für den Anschluss an Russland bei einer Wahlbeteiligung von 83,1%.[9] Über die Reaktion auf der Krim schrieb der „Focus“ in seinem Newsticker am 16. März: „23.07 Uhr: Mit Autokorsos und „Russland“-Rufen bejubeln tausende Menschen in Simferopol den nun möglichen Beitritt der Krim zur Russischen Föderation. Auf dem zentralen Leninplatz ist eine riesige Menge versammelt. „Wir sind zu Hause“ wird in grüner Schrift auf den Regierungssitz projiziert. Der Platz ist in ein Meer aus russischen Fahnen und Krim-Flaggen gehüllt. Hupend fahren zahlreiche Befürworter des Beitritts durch die Straßen.[10]

Abgesehen von ethnischen, sprachlichen oder nationalen Gründen gab es auch noch andere Gründe für die Einwohner der Krim für den Beitritt zur Russischen Föderation zu stimmen: wirtschaftliche. Auch wenn dies in Deutschland kaum jemandem bekannt ist, war der Lebensstandard in Russland wesentlich höher als in der Ukraine. Nach russischen Angaben lebten und arbeiteten zu diesem Zeitpunkt ca. 3 Millionen Ukrainer (also immerhin ca. 6% der ukrainischen Bevölkerung) schon lange in Russland. Natürlich gehörte zum Anschluss der Krim an Russland auch eine sofortige Anhebung der Gehälter der Staatsbediensteten und der Renten auf russisches Niveau. Für viele – nicht nur ethnische Russen – mag die Aussicht auf eine Verdreifachung der Gehälter und Renten ebenfalls ein Anreiz gewesen sein, für die Vereinigung mit Russland zu stimmen.

Kritik am Referendum

Die Kritik an dem Referendum war danach vielfältig und ich will darauf detailliert eingehen.

Ein unterschwelliger Kritikpunkt, den man vereinzelt lesen konnte, war die Tatsache, dass gläserne Wahlurnen und Stimmzettel ohne Umschläge benutzt wurden. Damit wäre die Wahl nicht geheim gewesen. Ohne diese Kritik bewerten zu wollen sei hierzu nur angemerkt, dass bei dem Referendum nach ukrainischer Vorschrift vorgegangen wurde, denn in der Ukraine sind Wahlurnen immer gläsern und Umschläge für die Wahlzettel gibt es nicht. Es steht jedem frei, seinen Wahlzettel vor dem Einwurf in die Urne so oft wie man möchte zu falten. Wenn gläserne Urnen und fehlende Umschläge also ein Kritikpunkt sind, dann gilt diese Kritik auch für sämtliche anderen Wahlen in der Ukraine vor und nach dem Referendum auf Krim, unabhängig vom Wahlergebnis.

Ein wichtiger Kritikpunkt, der im Westen aufgeworfen wurde, waren die Wahlbeobachter. Am 17. März schrieb der „Tagesspiegel“ unter der Überschrift „Linke, die Krim und ein ausgeladener Gysi“ einen Artikel über das Referendum, in dem ausgeführt wurde: „In den russischen Propagandamedien war das eine große Sache: Internationale Beobachter sollten das umstrittene Referendum auf der Krim aufwerten. … Wer diese Leute waren, zum Beispiel auch aus Österreich von der rechtspopulistischen FPÖ, war für Moskau erst an zweiter Stelle wichtig. … (Der Landtagsabgeordnete der Linken) Koplin verteidigte die Tour am Montag in einem Telefonat mit dem Tagesspiegel. „Die politische Beobachtung ist ein Mittel, um den gewaltfreien Prozess weiterzuentwickeln“ sagte er. Er selbst war unterwegs in Jalta, besuchte dort zwölf Wahllokale, sprach mit der städtischen Wahlleiterin und dem Vizebürgermeister. … Grundsätzlich ist der Landtagsabgeordnete, Chef des Finanzausschusses im Schweriner Landtag und früher Vize-Landeschef der Partei, aber sehr zufrieden. „Alles ohne Beanstandungen“ sagte er. Dass viele Wahlberechtigte die ungefalteten Zettel in gläserne Wahlurnen warfen, wertete er als Hinweis dass die Krim-Bevölkerung „sehr offen und selbstbewusst“ auftrete.[11]

Auch hier bemerkt man, wie die Formulierungen in der deutschen Berichterstattung umgeschlagen sind, wenn nun z.B. von „russischen Propagandamedien“ gesprochen wurde. Sachliche Berichterstattung sieht in meinen Augen jedenfalls anders aus, sie sollte sich mit den Fakten beschäftigen, Meinungen zitieren, aber kaum suggestiv formulieren. In dem langen Artikel, der sich mit der Kritik an den Personen der Wahlbeobachter beschäftigte, fand sich lediglich ein Satz zur OSZE: „Die OSZE hatte entschieden, keine Beobachter zur Krim zu schicken, um die Abstimmung nicht aufzuwerten.

Dass die OSZE auf ihrer Homepage eine völlig andere Begründung für ihr Fernbleiben gegeben hatte, schien den Autor des Artikels, Matthias Meisner, nicht zu stören. Wie gesehen hatte die OSZE die Ablehnung der Einladung zur Wahlbeobachtung damit begründet, dass das Referendum gegen die ukrainische Verfassung verstieß und die OSZE es daher für illegal hielt.

Man kann die einzelnen Wahlbeobachter, die zum Großteil aus europäischen Abgeordneten linker und rechter Parteien bestanden, natürlich trefflich kritisieren. Allerdings muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass die Organisatoren nach der Absage der OSZE nur die Wahl hatten, andere Beobachter einzuladen oder gar keine. Es war also eine Situation entstanden, in der Kritik zur Wahlbeobachtung in jedem Fall unvermeidbar war.

Übrigens kritisiere ich in diesem Zusammenhang die OSZE ausdrücklich nicht, im Gegenteil. Aufgrund der juristischen Situation hatte die OSZE keine andere Wahl, als ihre Teilnahme an der Wahlbeobachtung abzusagen. Die OSZE darf nur auf Einladung des entsprechenden Staates in einem Land aktiv werden. Da die Ukraine, zu der die Krim zu diesem Zeitpunkt noch gehörte, jedoch weder das Referendum anerkannte, noch der OSZE Erlaubnis oder gar Einladung zur Beobachtung des Referendums zukommen ließ, waren der OSZE die Hände gebunden. Da sich die OSZE, wie wir im späteren Verlauf noch sehen werden, fast immer neutral verhielt, gibt es auch keinerlei Hinweise zu der Frage, ob die OSZE das Referendum gerne beobachtet hätte oder nicht. In der Pressemeldung der OSZE wurde ausschließlich auf die juristischen Aspekte hingewiesen. Daher stellt sich die Frage, woher Herr Meisner vom „Tagesspiegel“ die Formulierung nahm, die OSZE hätte keine Beobachter geschickt, um die „Abstimmung nicht aufzuwerten“. Von der OSZE jedenfalls stammt diese Begründung nicht.

Dennoch wäre es aus heutiger Sicht einfacher, das Referendum objektiv zu beurteilen, wenn es einen OSZE-Wahlbericht geben würde. 

Am Tag des Referendums zitierte die ukrainische „Vesti“ Premierminister Jazenjuk unter der Überschrift „Jazenjuk eröffnet die Jagd auf Separatisten im ganzen Land“ mit den Worten: „Wir finden alle, in einem Jahr, in zwei, bringen sie vor Gericht und ukrainische und internationale Gerichte werden über sie richten. Die Erde unter ihren Füßen wird brennen. … wir tun alles Mögliche, damit jeder, der sich heute unter dem Schutz russischer Maschinengewehre sicher fühlt, weiß, dass er seine Verantwortung … tragen wird[12]

Die „Huffington Post“ kritisierte das Referendum am 19. März in einem Beitrag scharf. Unter dem Titel „Crimea’s Technically Flawed Referendum“ wurde das Referendum ausführlich kritisiert, interessant ist, dass schon hier, nur drei Tage nach dem Referendum, die Legende geboren wurde, internationale Beobachter seien nicht zugelassen gewesen: „Keine nationalen oder objektiven internationalen Beobachter hatten die Erlaubnis, die Bedingungen des Referendums zu beobachten.[13]

Dass dies eine objektiv falsche Behauptung war, die später aber gerne im Westen wiederholt wurde, haben wir gesehen. Die OSZE war eingeladen und hatte die Einladung aus juristischen Gründen abgelehnt. Oder anders gesagt, wenn jemand „objektiven internationalen Beobachtern“ verboten hatte, das Referendum zu beobachten, dann war es die vom Westen unterstützte neue Regierung in Kiew, aber nicht Russland oder die Krim.

Zu dem Referendum auf der Krim sei noch ein allgemeiner Hinweis gestattet. Man kann, abgesehen von den zitierten Kritikpunkten, auch den kurzen Zeitraum für die Vorbereitung kritisieren. Und hier vor allem, dass es auf der Krim nur „Wahlwerbung“ für die Vereinigung mit Russland gab und die Vertreter einer anderen Meinung nicht die Gelegenheit hatten, ihre Meinung zu propagieren. Bei aller Kritik, die im Westen und in Kiew geäußert wurde, fand sich jedoch nie auch nur ein Experte, der behauptet hätte, dass sich die Krim unter anderen Umständen anders entschieden hätte. Die Bevölkerungsmehrheit war pro-russisch und es gab auch für die nicht-russischen Bevölkerungsteile wirtschaftliche Gründe, die für eine Vereinigung mit Russland sprachen.


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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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