Gute und böse Formfehler in den Medien: Ausschluss von Oppositionellen bei Wahlen in Moskau und Sachsen

Es gibt derzeit zwei Beispiele für Formfehler, die dazu geführt haben, dass Oppositionskanditaten bei bevorstehenden Wahlen nicht zur Wahl zugelassen werden. Ein Beispiel kommt aus Sachsen, eines aus Moskau. Spannend ist dabei, wie verschiedenen die deutschen Medien über diese beiden Fälle berichten.

Aus Sachsen kam vor ca. zwei Wochen die Nachricht, dass die AfD wegen Formfehlern nicht genug Kandidaten für die Listenplätze bei der bevorstehenden Landtagswahl aufstellen kann. Das hat die Wahlkommission dort beschlossen.

Hintergrund ist, dass die AfD ihre Kandidaten auf zwei verschiedenen Veranstaltungen gewählt hat. Man kann über diese Entscheidung streiten, es gibt gute Argumente für beide Seiten, ich will aber auf die juristischen Feinheiten hier nicht eingehen. Fakt ist aber, dass die AfD nun nur 18 Kandidaten auf der Wahlliste hat, von denen einige voraussichtlich ihre Direktmandate gewinnen werden. Diese Kandidaten, die dann als Direktkandidaten in den Landtag einziehen werden, verschwinden damit auch noch von der Liste.

Bei den aktuellen Umfragen steht die AfD in Sachsen bei 25 Prozent, dass bedeutet, dass sie ca. 30 Mandate in dem aus 120 Sitzen bestehenden Landtag bekommen müsste. Aber die Wahlkommission hat nur 18 Kandidaten zugelassen, von denen einige – wie erwähnt – noch durch Direktmandate von der Liste verschwinden werden.

Wir können hier nun lange über formaljuristische Probleme diskutieren, aber es ist doch bemerkenswert, dass auf diese Weise eine Oppositionspartei, die nach Umfragen sogar stärkste Kraft im Parlament werden könnte, nun diese Chance definitiv nicht mehr hat. Und beschlossen wurde das von einer Wahlkommission, die sich mehrheitlich aus politischen Gegnern dieser Partei zusammensetzt.

Die Frage ist doch, was ist in einer Demokratie wichtiger? Der Wille der Wähler oder formaljuristische Fehler, die noch dazu durchaus auch anders interpretiert werden können? Das letzte Wort zu den juristischen Fragen wird das Verfassungsgericht sprechen, aber das wird lange nach der Wahl geschehen. Aber der Wählerwille, soviel ist klar, wenn die Entscheidung nicht noch gekippt wird, wird sich nach der Wahl in Sachsen nicht im Parlament wiederfinden.

Für die Medien war das aber so in Ordnung. Der Spiegel berichtete äußerst sachlich:

„Die AfD hat einen Formfehler gemacht – der sie nun Mandate bei der sächsischen Landtagswahl am 1. September kosten könnte. Ursprünglich hatte die Partei eine Liste mit 61 Plätzen zur Landtagswahl eingereicht. Doch durch den Wahlausschuss des Freistaats wurden die Plätze 19 bis 61 gestrichen. Die AfD kann nun also nur mit 18 Listenplätzen in den Wahlkampf ziehen.“

Auch zu den Folgen äußerte sich der Spiegel:

„Ein Rechenbeispiel: Nehmen wir an, dass die AfD mit 25 Prozent in den Landtag einzieht und ihr 30 Plätze zustehen. Sie gewinnt 15 Direktmandate. Nun müsste sie die weiteren 15 Mandate über die Liste auffüllen. Doch wenn 8 Listenkandidaten ihre Wahlkreise direkt gewinnen, fallen sie von der Liste. Die AfD hätte dementsprechend nur noch 10 Listenkandidaten, um die 15 fehlenden Plätze aufzufüllen. Sie könnte also fünf Sitze im Landtag nicht besetzen.“

Das klingt sachlich, bedeutet aber, dass ca. fünf Prozent der Wählerstimmen unter den Tisch fallen würden.

Ist das demokratisch?

Der Spiegel stellt diese Frage nicht einmal. Stattdessen kommen die politischen Gegner der AfD zu Wort, die die Entscheidung im Wahlausschuss getroffen haben:

„Die Sache sei lange und intensiv erörtert worden, sagte Grünen-Landesvorstandssprecher Norman Vogler. „Das ist keine politische, sondern eine rein nach Recht und Gesetz getroffene Entscheidung.“ Laut Vogler und Homann trägt die AfD allein die volle Verantwortung für die Entwicklung. „An Unerfahrenheit kann dieser Dilettantismus nicht liegen“, sagte Homann. „Wer es nicht einmal schafft, sich bei der Aufstellung der eigenen Liste an geltendes Recht zu halten, darf auch aus diesen Gründen nicht einmal in die Nähe von Macht in diesem Land kommen.““

Für den Spiegel und die anderen deutschen Mainstream-Medien ist dieses Thema also kein Skandal und es ist auch kein Problem, wenn ein Teil der Wählerstimmen einfach unter den Tisch fallen. Zumindest dann nicht, wenn es um die AfD geht, die sie bekanntermaßen nicht mögen.

Normalerweise stelle ich in solchen Fällen immer die rhetorische Frage: „Was wäre wohl, wenn in Russland etwas ähnliches passieren würde? Würde der Spiegel dann auch so sachlich berichten?“

In diesem Fall ist die Frage aber nicht rhetorisch, in Russland passiert gerade etwas vergleichbares und wir können uns anschauen, ob der Spiegel auch so neutral über Formfehler von Oppositionskanditaten berichtet, wenn sie in Russland geschehen.

Wie liest sich dieser Satz? „Die Regierungsparteien sind im Umfragetief. Vor den Wahlen im September werden Oppositionelle deshalb erst gar nicht zugelassen“

Es könnte um Sachsen gehen, oder? Stimmt aber nicht, der Satz stammt nur ganz leicht verändert aus dem Spiegel-Artikel über die Vorgänge in Moskau, so würde der Spiegel über Deutschland nie berichten. Und natürlich ist dieser Spiegel-Artikel auch ganz und gar nicht sachlich, sondern sehr emotional. Nach der Überschrift „Opposition in Russland – „Sie stehlen unsere Wahlen““ kommt der eben gesehene Satz. Im Original klingt er so:

„Russlands Regierungspartei ist im Umfragetief. Vor den Regionalwahlen im September werden Oppositionelle deshalb erst gar nicht zugelassen“

Die Vorgänge, um die es geht, fanden schon am Sonntag statt und seit dem habe ich darauf gewartet, wie der Spiegel darüber berichten wird. Aus irgendeinem Grund brauchte die für anti-russische Desinformation aus Moskau zuständige Spiegel-Korrespondentin Christina Hebel zwei Tage, um den Artikel zu schreiben.

Was war geschehen? Auch hier will ich nicht auf alle Details eingehen. Fakt ist, dass Kandidaten in Russland Unterschriften sammeln müssen, wenn sie zur Wahl antreten wollen. Darunter dürfen sich bis zu zehn Prozent falsche oder ungültige Unterschriften befinden, wenn es mehr sind, wird ein Kandidat nicht zur Wahl zugelassen. Genau das ist einigen Oppositionskanditaten in Moskau geschehen. Es geht um drei Oppositionskanditaten, die nun nicht antreten dürfen: Dmitri Gudkow, Ilja Jaschin und Ljubow Sobol.

Es handelt sich also, wie in Sachsen, um vorliegende Formfehler. Nur die Auswirkungen sind geringer, als in Sachsen. In Moskau betrifft es drei Kandidaten, deren Einzug ins Parlament noch nicht einmal sicher ist, in Sachsen steht jetzt schon fest, dass das Wahlergebnis verfälscht wird, wenn die AfD nicht alle Plätze besetzen kann. Sogar dann nicht, wenn sie nicht, wie die Umfragen vorhersagen, 25% der Stimmen bekommt, sondern nur 15% und ein Direktmandat.

Russland ist, wie Deutschland, ein föderaler Staat. Die Bundesländer in Russland heißen Oblast (Gebiet) und es gibt, wie in Deutschland auch, Stadtstaaten. In Russland sind das Moskau und St. Petersburg. Aber im Unterschied zu Deutschland stehen dort keine Parteilisten zur Wahl, sondern nur Direktkandidaten in den Wahlkreisen. Ob die drei Betroffenen auch tatsächlich ihren Wahlkreis gewinnen würden, ist keineswegs sicher, aber natürlich möglich. Wir können nur raten, da es keine Umfragen dazu gibt. Es ist schwierig solche Umfragen nach einzelnen Wahlkreisen zu machen, daher gibt es nur Umfragen, die die Parteipräferenz der Menschen in ganz Moskau berücksichtigen, aber nicht nach den Direktkandidaten in den einzelnen Wahlkreisen.

Der Kandidat Jaschin hat zudem noch ein anderes Problem. Er ist derzeit Abgeordneter im Moskauer Stadtparlament und ihm wird vorgeworfen, widerrechtlich die Seite des Parlaments für den Wahlkampf genutzt zu haben, was verboten ist und ebenfalls mit Entzug der Kandidatur geahndet werden kann.

Und nun schauen wir uns den emotionalen Bericht an, den Frau Hebel schreibt und erinnern uns dabei an die trockene Berichterstattung des Spiegel über die Situation in Sachsen. Frau Hebel schreibt für den Spiegel:

„Ljubow Sobol macht allein das wütend. Die 31-Jährige will in der Innenstadt im prestigereichen Wahlkreis 43 nahe des Kreml bei der Abstimmung antreten. Doch das Regime tut alles dafür, dass wirklich unabhängige Bewerber der Opposition wie Sobol erst gar keine Chance bekommen anzutreten, vor allem wenn sie so lautstark auftreten wie die Mitstreiterin des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. (…) „Sobol, Sobol“, rufen ihre Anhänger im Zentrum von Moskau. „Sie stehlen unsere Wahlen“, ruft die Juristin. Unter Beifall kündigt sie Widerstand an, sollte ihre Kandidatur tatsächlich nicht zugelassen werden. Jeden Tag geht sie nun auf die Straße. Am Dienstag will die Wahlkommission offiziell verkünden, ob Sobol bei der Wahl antreten darf. Am Abend soll wieder demonstriert werden. (…) Sobol hat sich mit 17 anderen Oppositionspolitikern verschiedener Parteien und Organisationen zusammengeschlossen, die täglich nun ihren Unmut auf der Straße kundtun.“

Wir lernen aus diesem Artikel nebenbei, dass die Menschen trotz gegenteiliger Berichte der deutschen Medien sehr wohl in Russland demonstrieren dürfen und es auch tun.

Aber man sieht hier ganz deutlich, wie emotional der Spiegel aus Moskau berichtet, ganz Gegensatz zu Sachsen.

Am Sonntag kam es zu einer „größeren“ Demonstration in Moskau, wie der Spiegel schreibt:

„Am Sonntag marschierten Hunderte im Zentrum von Moskau zum Sitz der Stadtverwaltung und zur Wahlkommission, um „Das ist unsere Stadt“, „Hände weg von unseren Unterschriften“ und „Lass sie zu“ zu rufen. Die Demonstration war wie üblich nicht erlaubt, was das Risiko von Festnahmen und Geldstrafen mit sich bringt. Und dennoch kamen nach Angaben der Polizei rund tausend Menschen. Es waren vermutlich weit mehr, mindestens doppelt so viele“

Egal, ob es 1.000 oder 2.000 waren. Moskau hat über 12 Millionen Einwohner. Zum Vergleich: Das wäre so, als wenn in Berlin (4 Mio. Einwohner) zwischen 300 und 600 Menschen demonstrieren würden. Den deutschen Medien wäre ein so kleiner Protest keine Zeile wert. Es sei denn, es geschieht in Moskau.

Interessant ist, dass in Russland das landesweite staatliche Fernsehen über die Proteste berichtet hat. In Deutschland gab es aber keine Berichte über Proteste gegen die Entscheidung der Wahlkommission in Sachsen. Gab es dort etwa keinen Protest?

Die Polizei hat die Demo am Sonntag in Moskau übrigens zugelassen, obwohl sie nicht angemeldet und damit auch nicht genehmigt war. Die Polizei hat die Demonstranten zunächst aufgefordert, die Demo aufzulösen. Schließlich eskortierte sie die Demo dann aber auf ihrem Weg durch Moskaus Zentrum, wobei eine wichtige Verkehrsachse teilweise gesperrt werden musste. Erst als die Demonstranten vor dem Gebäude der Wahlkommission Zelte aufbauen wollten, wurde die Demonstration aufgelöst und 38 Personen festgenommen.

Wobei: festgenommen ist falsch, denn sie wurden nur auf die Wache gebracht, wo ihre Personalien aufgenommen wurden. Sie werden später nicht etwa ins Gefängnis gesteckt, sie bekommen nur Strafzettel, denn im Gegensatz zu Deutschland ist die Teilnahme an ungenehmigten Demonstrationen in Russland keine Straftat, sondern eine Ordnungswidrigkeit.

Trotz dieser recht einfachen und banalen Fakten hat Frau Hebel dazu im Spiegel einen langen, emotionalen Artikel geschrieben.

Das fände ich ja auch völlig in Ordnung, wenn der Spiegel überall mit gleichem Maß messen würde. Aber wenn es so offensichtlich ist, dass der Spiegel über zwei absolut vergleichbare Ereignisse so eklatant unterschiedlich berichtet, dann kann von objektiver Berichterstattung keine Rede sein, sondern von Meinungsmache.

Aber das haben wir ja auch schon beim letzten Bericht von Frau Hebel über eine Demonstration in Moskau gesehen.

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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