Kommentar: Demokratieverständnis im Spiegel – „Gescheiterte Wahlen“?

Ein besonders bemerkenswertes Demokratieverständnis hat der Spiegel am Donnerstag gezeigt: Wenn Wahlen nicht so ausgehen, wie es dem Spiegel gefällt, sind sie „gescheitert“.

In der täglichen Rubrik „Die Lage“ hat der Autor geschrieben:

„Es häuft sich, dass Wahlen nicht mehr die Ergebnisse liefern, die Demokratien gut funktionieren lassen. In Israel, wo am Dienstag gewählt wurde, ist wieder keine stabile Mehrheit in Sicht. Das war schon bei der letzten Wahl vor einigen Monaten so.“

Das ist doch mal eine sehr vereinfachte Sicht, denn es könnte in Israel sofort eine Koalition geben. Das Problem dort heißt Netanjahu. Der Spiegel selbst hat in Artikeln das Problem mehr als einmal geschildert: Viele Parteien würden mit der Partei von Netanjahu sofort koalieren und eine Regierung bilden, aber nicht mit Netanjahu selbst. Der aber klebt an seinem Stuhl, weil ihm wegen Korruptionsvorwürfen eine Gefängnisstrafe droht. Es liegt dort kein Problem von stabilen Mehrheiten vor, sondern das Problem ist ein einzelner Politiker, der die Politik seines Landes als Geisel genommen hat.

Aber der Autor ist von seiner These überzeugt und führt als weitere Beispiele Spanien, Italien, die letzte Bundestagswahl, die Situation in Sachsen und die anstehende Wahl in Thüringen an. All dies sieht er als Beispiele für „gescheiterte Wahlen“.

Für einen Demokraten ist das eine kaum fassbare Formulierung. Für wen hält sich der Mann, den Willen der Menschen als „gescheiterte Wahlen“ zu bezeichnen?

Aber er hat seine Sicht ausgeführt und die wollen wir uns einmal genau anschauen:

„Was ist da los? Auf den ersten Blick sind zwei Trends die Ursachen: Eine zunehmende Radikalisierung in den Gesellschaften, die den Kompromiss schwierig macht.“

Das ist eine komplett falsche Analyse. Meiner Meinung nach gibt es keine „Radikalisierung in den Gesellschaften„, sondern eine Radikalisierung der Politik. Das „radikale Element“ ist die sogenannte „Mitte“.

In den letzten 20 Jahren konnten wir zwei interessante Trends beobachten: Auf der einen Seite kämpfen alle Parteien um die angebliche „Mitte der Gesellschaft“, auf der anderen Seite sollen wir immer individueller werden, jede noch so kleine Minderheit ist wichtiger, als die Gesellschaft als Ganzes.

Alles begann vor 20 Jahren, als Schröder die „Neue Mitte“ ausrief. Im Ergebnis hat er die Wähler seiner SPD, also die „kleinen Leute“, mit Hartz IV und seiner Rentenreform verraten, deren Folgen wir heute wir heute in Form von Altersarmut bewundern können. Die SPD ist seit dem verdient auf dem Weg in die politische Versenkung.

Aber anstatt aus den Fehlern der SPD zu lernen, hat die CDU unter Merkel das gleiche Spiel gespielt und die Standpunkte ihrer Stammwähler verraten. Auch Merkel kämpft nun um die Wähler „der Mitte“. Im Ergebnis haben wir zwei „Volksparteien“, die im gleichen Tümpel nach Wählerstimmen suchen und ihre Stammwähler vor den Kopf stoßen.

Wer kann heute schon noch drei Themen nennen, bei denen sich die ehemaligen Volksparteien konträr unterscheiden?

Das ist aber die Seele einer Demokratie: Der Unterschied und der Kampf der Meinungen, der Disput um Lösungen. Die Meinungsvielfalt ist die Demokratie, nicht die Einigkeit bei allen Themen.

Nicht die Gesellschaft, sondern die Politik hat sich verändert. Die Uneinigkeit in der Gesellschaft zwischen „Rechten“ (früher CDU) und „Linken“ (früher SPD) hat es immer gegeben. Aber die beiden Parteien haben sich so sehr angeglichen, dass sie selbst für politisch interessierte Zeitgenossen kaum mehr zu unterscheiden sind.

Im Spiegel steht stattdessen:

„Eine zunehmende Ausdifferenzierung in den Gesellschaften, mit der gleichen Folge.“

Es gibt keine „zunehmende Ausdifferenzierung in den Gesellschaften„, sie war immer da. Nur dass es früher Parteien gab, die diese verschiedenen Positionen abgedeckt haben. Die Thesen zur Sozialpolitik, die Die Linke vertritt, standen früher so im Parteiprogramm der SPD. All das ist keine linke Radikalisierung. Nein, die SPD hat ihre Standpunkte verändert, die Gesellschaft ist weitgehend dort geblieben, wo sie war.

Gleiches sehen wir bei der CDU. In den 1980er Jahren sprach Kanzler Kohl vom „deutschen Vaterland“ und stand für konservative Werte, die die CDU unter Merkel aufgegeben hat. In diese Lücke ist die AfD vorgestoßen. Das Programm der AfD gleicht in vielen Punkten dem der CDU von vor 30 Jahren. Nicht die Gesellschaft ist „ausdifferenziert“ oder gar nach rechts gerutscht, die CDU ist nach links in Richtung „Mitte“ gerutscht.

Einzelne Spinner gibt es in jeder Partei. Es ist unwichtig, wer am lautesten Unsinn in die Welt brüllt, sondern es zählt, was die Partei in ihrer Mehrheit beschließt und umsetzt. Und wenn man Die Linke und die AfD nach diesem Kriterium betrachtet, dann sind diese beiden Parteien heute näher an dem, wofür CDU und SPD vor 30 Jahren gestanden haben, als die CDU und SPD von heute.

Es war keineswegs früher alles besser, aber es ist eben falsch, von einer „radikalisierten“ Gesellschaft“ zu sprechen, wenn die Gesellschaft sich nicht wirklich verändert hat, sondern die Parteien sich verändert haben. Und in einer Demokratie sollte eigentlich wichtig sein, was die Gesellschaft will und nicht was die Parteien wollen. Das scheinen in Deutschland viele Politiker und Journalisten vergessen zu haben.

Und so verwundert es nicht, wenn es im Spiegel weiter heißt:

„Wenn es so weitergeht, werden wir uns über Wahlsysteme Gedanken machen müssen. Im Verhältniswahlrecht delegieren die Wähler die Kompromisssuche an die Politiker. Vielleicht müssten sie über ein Mehrheitswahlrecht zunächst einmal einen Kompromiss in sich selbst finden.“

Anstatt also auf die Menschen und ihre Sorgen zu hören, macht sich der Spiegel Gedanken, wie er das Wahlsystem so verändern kann, dass dem Spiegel die Wahlergebnisse wieder gefallen. Absurd!

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an eine Studie, über die ich kürzlich berichtet habe. Das Ergebnis dieser Studie, die immerhin von der SPD nahen Friedrich-Ebert-Stiftung kam, fand heraus, dass in Deutschland nur noch weniger als 50 Prozent der Menschen an das heutige politische System glauben.

Aber die Menschen fordern nicht etwa eine harte Hand, einen mächtigen Führer oder ein anderes Wahlsystem. Nein, sie forderten in der großen Mehrheit endlich direkte Demokratie, in der die Menschen konkret über Sachfragen in Volksabstimmungen entscheiden können. Und die Menschen wollen dabei sowohl die Möglichkeit haben, vom Bundestag beschlossene Gesetze wieder aufheben zu können, als auch die Möglichkeit, den Bundestag anzuweisen, Gesetze zu machen, die er nicht machen möchte.

Wer sich als Demokrat sieht, kann nicht gegen direkte Demokratie sein. Was ist demokratischer, als wenn die Menschen direkt über Sachfragen abstimmen können?

Dass der Spiegel in seiner Einschätzung komplett daneben liegt, zeigt sich an einem einfachen Beispiel: Ein anderes Wahlsystem, wie zum Beispiel das Mehrheitswahlrecht, lösen keine Probleme. Das Mehrheitswahlrecht gilt nämlich in Großbritannien und das Land macht derzeit nicht gerade durch politische Stabilität von sich reden.

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Eine Antwort

  1. Das Beispiel Schweiz zeigt, dass direkte Demokratie funktioniert — zwar nicht immer perfekt, aber eindeutig besser als Fake-„Demokratien“, bei denen es eigentlich nur die Wahl zwischen 2 praktisch identischen Politikern gibt, wie Deutschland oder die USA.

    Wenn die Gegner einer direkten Demokratie behaupten, das würde nicht funktionieren, weil die Wähler sich 365 Urlaubstage im Jahr bei einem Mindestlohn von 500€/Stunde und die Abschaffung aller Steuern wählen würden, müssen sie sich nur die Schweiz ansehen, wo seltsamerweise nichts davon passiert.

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