Leserfragen zum Fall Pavel Ustinov: Justizwillkür gegen Demonstranten in Russland?

Heute bekam ich viele Mails zu einem Bericht im heute-journal und zu Artikeln über die Gefängnisstrafen für Demonstranten in Moskau. Daher werde ich hier den Stand der Dinge zusammenfassen und über die Beiträge in russischen Medien dazu berichten.

Im heute-journal wurde am Mittwoch über Urteile nach den Demonstrationen in Moskau berichtet. Bevor wir auf den Beitrag kommen, kurz noch einmal zu den Ereignissen und Hintergründen.

In Russland fanden Anfang September Wahlen statt und im Vorfeld der Wahlen gab es Proteste in Moskau, weil einige Kandidaten der Opposition nicht zur Wahl zugelassen wurde. Die Hintergründe dazu finden Sie hier, wenn ich es jetzt alles wiederhole, führt das zu weit. Auch dass Kandidaten, die gegen die ursprüngliche Nichtzulassung Einspruch erhoben haben, nach einer Überprüfung doch noch zugelassen wurden, wurde in Deutschland nicht berichtet. Die meisten Kandidaten sind diesen Weg jedoch nicht gegangen und haben demonstriert, anstatt Einspruch einzulegen.

In Russland ist die Teilnahme an einer nicht genehmigten Versammlung oder Demonstration nur eine Ordnungswidrigkeit, man kommt auf die Wache, die Personalien werden festgestellt und danach geht man mit einem Bußgeldbescheid wieder nach Hause. Lediglich bei Gewalt gegen Ordnungshüter (Widerstand gegen die Staatsgewalt) versteht das russische Gesetz keinen Spaß. Die Strafen dafür sind empfindlich. Und so kam es, dass von den Tausenden, die bei den Demonstrationen abgeführt wurden, die allermeisten nach ein paar Stunden mit einem Bußgeldbescheid wieder zu Hause waren, lediglich gegen etwa 20 Personen wurden Strafverfahren eröffnet.

Die russischen Gerichte arbeiten sehr schnell. Eine Scheidung zum Beispiel ist in der Regel innerhalb weniger Wochen nach der Einreichung rechtskräftig verhandelt und auch Strafverfahren dauern nicht Monate oder Jahre, wie in Deutschland, sondern sind ebenfalls wenige Wochen nach Abschluss der Ermittlungen bereits vor dem Richter. Daher wurden nun bereits in den meisten Fällen der Moskauer Demos Urteile gesprochen, die natürlich zum Teil noch in die Berufung gehen. Auch in Russland gibt es die üblichen Rechtsmittel.

Ein Fall jedoch erregt in Russland Aufsehen. Es geht um den jungen Schauspieler Pavel Ustinov, der zu 3,5 Jahren verurteilt wurde, was ein Fehlurteil sein dürfte. Über den Fall hat RT-Deutsch zum Beispiel schon am Montag berichtet und auch in Russland ist das seit Tagen ein Thema in Medien und sozialen Netzwerken. RT-Deutsch schrieb dazu:

„Ustinow beteuerte seine Unschuld und erklärte, er habe nicht einmal an den Protesten teilgenommen, sondern vor einer U-Bahn-Station auf einen Freund gewartet, mit dem er sich verabredet habe. Er habe bei seiner Festnahme keinen Widerstand geleistet. Videoaufnahmen von der Festnahme sprechen für Ustinows Darstellung. Der Schauspieler macht tatsächlich eher den Eindruck, ein unbeteiligter Passant zu sein, bevor sich ihm vier Polizisten nähern und ihn unvermittelt zu Boden reißen. Laut Darstellung der Beamten habe Ustinow Parolen gerufen, wovon jedoch auf der Aufnahme nichts zu sehen beziehungsweise zu hören ist. Das Gericht ließ die Videoaufnahmen jedoch als Beweismittel nicht zu. Die Rechtsanwälte des Schauspielers wollen gegen das Urteil Berufung einlegen.“

Und tatsächlich kann man auf dem Video seiner Festnahme sehen, dass seine Version zu stimmen scheint, ob und was das für eine Vorgeschichte hat, weiß man nicht. Aber die Berufungsverhandlung findet demnächst statt, danach weiß man mehr.

In Russland hat der Fall, weil er anscheinend ein Fehlurteil ist, hohe Wellen geschlagen. In sozialen Netzwerken gibt es Protest, auch mehr oder weniger berühmte Schauspieler zeigen sich in sozialen Netzwerken mit Aufrufen, Ustinov freizulassen. Und auch die staatlichen (und natürlich die nicht-staatlichen) Medien berichten ausführlich. Am Dienstag wurde berichtet, dass die russische Beauftragte für Menschenrechte eine Beschwerde erhalten hat und den Fall jetzt prüft. Der Sprecher des Kreml teilte mit, dass er sich dazu nicht äußern könne, das sei Sache der Gerichte, aber man beobachte den Fall und warte auf das Ergebnis der Berufungsverhandlung, die für den 20. September angesetzt ist. Daran sieht man übrigens, wie schnell die russischen Gerichte sind: die Berufung findet schon weniger als einen Monat nach dem Urteil statt. Und das ist in Russland die Regel.

Am heutigen Mittwoch hat sich die Staatsanwaltschaft an das Gericht gewandt und beantragt, die Haftstrafe auf ein Jahr zu senken. Man darf also erwarten, dass das Urteil bei der Berufung in jedem Fall geändert und das Strafmaß reduziert wird. Wobei auch ein Freispruch möglich und in meinen Augen wahrscheinlich ist, da die Videos tatsächlich die Version der Staatsanwaltschaft nicht bestätigen. Mehr noch, da die Polizisten bei der Festnahme keineswegs zimperlich waren, sind sogar Verfahren gegen die beteiligten Polizisten möglich.

Soweit die Fakten und nun zu dem, was das heut-journal daraus gemacht hat.

Den Beitrag im heute-journal begann Frau Slomka mit der üblichen Einleitung über „autoritäre Regime„. Und sie erzählte von Oppositionellen, die unter ungeklärten Umständen ums Leben kommen, sie

„fallen zum Beispiel aus Fenstern, die Regierung wäscht dann ihre Hände in Unschuld“

Die Formulierung ist definitiv tendenziös, denn da es in dem Beitrag um Russland geht, macht Frau Slomka den Eindruck, so etwas wäre in Russland geschehen. Mir ist allerdings kein derartiger Fall aus Russland bekannt. Frau Slomka verwechselt anscheinend Russland und die Ukraine, denn in der Ukraine sind seit dem Maidan mindestens zwei Kritiker der Maidan-Regierung aus Fenstern in den Tod gestürzt, zwei wurden erhängt aufgefunden und mindestens sechs wurden erschossen.

Frau Slomka sprach danach von „hunderten Festnahmen und drakonischen Strafen„. Leider erwähnte sie nicht, dass es sich bei den „Festnahmen“ nur um Ordnungswidrigkeiten gehandelt hat und dass die Leute nach Feststellung der Personalien mit einem Bußgeldbescheid wieder nach Hause gegangen sind. Und auch bei den „drakonischen Strafen“ nennt sie lieber keine Zahlen, denn dass es am Ende kaum 20 Demonstranten waren, die tatsächlich wegen Gewalt gegen Ordnungshüter Strafverfahren gegenüber stehen, klingt nicht allzu spannend. Da machen an jedem Wochenende in Frankreich bei Gelbwesten-Demonstrationen mehr Menschen Bekanntschaft mit dem Staatsanwalt, als in Moskau insgesamt.

Danach kam sie auf den Fall von Pavel Ustinov. Und dort hört man ziemlich das gleiche, wie schon am Montag bei RT-Deutsch. Der Prozess wirft Fragen auf.

Dann kommt das heute-journal noch kurz auf andere Fälle, zum Beispiel den Fall des Mannes, der eine schwere Metallmülltonne auf Polizisten geworfen und dafür drei Jahre Haft bekommen hat. Das klingt hart und das ist es auch. Aber auch der Mann hat Berufung eingelegt und das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.

Außerdem berichtete das heute-journal über eine Protestaktion, bei der sich Aktivisten und vor allem Schauspieler aus Protest jeweils einzeln mit einem Plakat vor der Präsidialverwaltung aufstellten, das die Freilassung von Ustinov forderte. Dazu kommentierte das heute-journal, dass „Demonstrationen mit mehr als einem Teilnehmer“ in Russland genehmigungspflichtig seien.

Das steht jedoch so in keinem russischen Gesetz, es klingt nur gut für den deutschen Zuschauer. Tatsächlich sagt das russische Gesetz nichts über die Anzahl der Teilnehmer, sondern zählt verschiedene Arten von öffentlichen Kundgebungen auf (von politischen Demonstrationen bis zu sonstigen Massenveranstaltungen). Dort wird geregelt, dass öffentliche Kundgebungen genehmigungspflichtig sind.

Der Zuschauer kann auch selbst schnell verstehen, dass das heute-journal hier einen falschen Eindruck erweckt, denn im Beitrag kann man sehen, dass dort viele Teilnehmer stehen, die einander „stundenlang„das Transparent übergeben, damit sich jeder einzeln damit vor dem Eingang zur Präsidialverwaltung fotografieren lassen kann (siehe Titelbild dieses Artikels).

Wie gesagt, in Russland ist das Demonstrationsrecht sehr liberal und Verstöße sind nur Ordnungswidrigkeiten, in Deutschland sind es Straftaten. Dafür herrscht in Russland Null-Toleranz bei Gewalt gegen Polizisten und die Strafen sind streng.

Darum hört man zum Beispiel in Russland auch kaum etwas über Krawalle bei Fußballspielen, obwohl es auch in Russland reichlich Hooligans gibt. Die Polizei ist bei Fußballspielen mit so massiver Präsenz vor Ort und bekannt dafür, sofort durchzugreifen, dass die Hooligans gelernt haben, dass es besser ist, keine Straßenschlachten zu veranstalten.

In Petersburg, wo ich wohne, gibt es eine recht verrufene „Partymeile“, wo sich eine billige Kneipe an die andere reiht und wo es nachts auch schon mal zu Schlägereien kommt. Aber die Polizei ist dort abends mit mindestens einem großen Mannschaftswagen vor Ort und greift sofort ein, wenn aus einem Streit eine Schlägerei wird. Ansonsten aber stört sie die Feiernden nicht, sondern steht nur gut sichtbar an der Straße.

Der russische Staat legt wert auf die öffentliche Ordnung und greift bei solchen Dingen sofort durch. Das mag der eine zu hart, der andere gut finden. Aber so ist die Gesetzeslage in Russland.

Im heute-journal ist man dann am Ende etwas ratlos, weil sich selbst die Chefredakteurin des russischen Auslandssenders Russia Today gegen die Strafe für Ustinov gewandt hat:

„Wieso sonst Linientreue nun die Opposition zu stützen scheinen, bleibt unklar“

Dass es daran liegen könnte, dass die Medien in Russland viel freier sind, als man in Deutschland berichtet, kommt dem ZDF nicht in den Sinn. Tatsächlich hat man das auch schon vor einigen Monaten beim Fall des Journalisten Golunov gesehen, als das russische Staatsfernsehen die Polizei heftig kritisiert hat. Das ist nichts ungewöhnliches: Wenn in Russland offensichtliche Fehler in der Justiz geschehen (oder es auch nur danach aussieht), berichten die Staatsmedien darüber nicht weniger kritisch, als die restlichen Medien. Man beachte: Auch in Deutschland hat der russiche staatliche Auslandssender RT-Deutsch als erstes und ganze zwei Tage früher über den Fall berichtet, als alle anderen Medien.

Übrigens gab es einen weiteren Fall eines Mannes, dem nach den Demos in Moskau eine Gefängnisstrafe droht. Aidar Gubaidulin wurde gerade aus der Untersuchungshaft entlassen, obwohl er mit Flaschen nach Polizisten geworfen haben soll. Die Ermittlungen dauern noch an, aber über den Fall hat das heute-journal nicht berichtet.

Nachtrag: Am 20. September wurde Ustinov aus der Untersuchungshaft entlassen, allerdings ist das Verfahren noch nicht eingestellt, das Berufungsverfahren läuft noch.

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Eine Antwort

  1. Die Polizei in Russland scheint mir sehr professionell zu sein. Gerade auch in den Sondereinheiten scheinen viele junge Burschen zu sein, mit denen man sich aber nicht anlegen sollte. Aber gut, die Polizei ist ja nun einmal dafür da, für Ordnung zu sorgen. Die „berüchtigten“ OMON-Einheiten habe ich übrigens auch schon in St. Petersburg im Einsatz gesehen und zwar am 09.05.2015 bei der Parade zum Tag des Sieges. Einer jungen Frau, der wegen des riesigen Trubels und Gedränges am Schlossplatz schwindlig wurde, halfen sie professionell wieder auf die Beine und irgendwann scheuchten sie die Kinder vom Dach des LKW, weil die dort herumturnten um besser sehen zu können!

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