Putins Pressekonferenz: „Aufmüpfiger“ Journalist fordert Antworten zu problematischen Themen

Auf Putins Jahrespressekonferenz ging es sehr stark um innenpolitische Themen. Über ein Beispiel will ich hier aus mehreren Gründen berichten.

Die Jahrespressekonferenz von Putin war von der Innenpolitik dominiert, wie ich schon mitgeteilt habe. Ein Beispiel dafür will ich mindestens aufzeigen, und zwar gleich aus mehreren Gründen. Ich habe schon darüber geschrieben, dass Russland sich große Ziele beim Recycling gesetzt hat und innerhalb eines Jahrzehnts zu den auf dem Gebiet führenden Ländern aufschließen will.

Der Grund ist, dass die Müllentsorgung in Russland bisher ein sehr vernachlässigtes Thema war. Es gibt ungezählte, „wilde“ Mülldeponien im Land und die Korruption auf dem Gebiet ist gewaltig. Rechnungen für Müllentsorgung werden gestellt, aber der Müll wird unkontrolliert irgendwo in den endlosen russischen Weiten abgeladen. Die russische Regierung hat sich vor einiger Zeit vorgenommen, dieses Problem zu lösen und diesen Sumpf der Schattenwirtschaft trocken zulegen. Die Widerstände sind – wie immer in solchen Fällen – gewaltig und die Nutznießer tun alles, um die Reformen im Land unbeliebt zu machen.

Mülltrennung und Recycling sind in Russland immer noch Fremdwörter. Das ändert sich gerade und die beschlossenen Reformen sorgen für Unmut, denn nun müssen die Russen plötzlich eine Gebühr für die Entsorgung von Hausmüll bezahlen, aber die Probleme bestehen weiter, weil die Recycling-Anlagen erst im Bau oder in der Planung sind. Das sorgt für Unmut im Land und es ist ein wichtiges innenpolitisches Thema.

Ich habe dieses Thema aber auch ausgewählt, weil es sehr anschaulich mit der Legende der bösen Diktatur unter Putin aufräumt, in der Journalisten angeblich in Angst leben. Dass das nicht so ist, zeigt diese Episode aus der Pressekonferenz, denn entgegen allen Regeln und zum Unmut des Pressesprechers des Kreml hat sich ein kleiner Lokaljournalist durch lautes Schreien zu Wort gemeldet. Das kam bei den Journalisten auch nicht gut an, denn jeder der fast 2.000 Journalisten wollte eine Frage stellen, es konnten in den viereinhalb Stunden aber nur 77 Fragen gestellt werden.

Trotzdem zeigt die Reaktion von Putin auf den aufdringlichen Journalisten, dass es kein Problem ist, auch gegenüber Putin selbst fordernd aufzutreten. Das passt so gar nicht in das Bild, dass die westliche Presse über die Situation von Meinungs- und Medienfreiheit in Russland zeichnet.

Aus diesen zwei Gründen habe ich diesen Teil der Pressekonferenz übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Journalist Smirnov: St. Petersburg überschwemmt das Umland mit Müll. (Anm. d. Übers.: Im Wortprotokoll wurde nur dieser Satz vermerkt, aber der Journalist forderte weiter, dass er dazu eine Frage stellen durfte und ließ sich auch von Peskov und Putin nicht zum Schweigen bringen. Ich war dabei und habe nicht alles verstanden, was der Mann gebrüllt hat, aber er war nicht zu stoppen)

Kremlsprecher Peskov: Also, lassen Sie uns… Wir uns darauf geeinigt…

Wladimir Putin: Wir kommen zu St. Petersburg, zum Müll und zu anderen akuten Problemen…

Peskov: Schauen Sie, wenn hier jeder schreit, ist das respektlos gegenüber allen anderen.

Wladimir Putin: Lassen Sie uns folgendes tun. Lassen wir eine Ausnahme zu, stellen Sie Ihre Frage, okay? Aber bitte nur einmal als Ausnahme, sonst wird das hier zu einem Basar und ein Dialog wird unmöglich. Also zum Thema Müll.

Smirnov: Ich bin Viktor Smirnov von 47news. Unsere Zeitung schreibt über den Leningrader Oblast. (Anm. Übers.: Das sogenannte „Leningrader Gebiet“ oder „Leningrader Oblast“ ist das Umland von Petersburg und ein Oblast in Russland. Russland ist, wie Deutschland, ein Bundesstaat und die Oblaste sind das, was in Deutschland die Bundesländer sind)

Wie Sie natürlich wissen, hat Russland mit der „Müllreform“ begonnen. In allen Regionen läuft die Reform, außer in Moskau, Sewastopol und St. Petersburg, da wurden die Fristen bis 2022 verlängert. Also können sie mit der Umsetzung beginnen, wann sie wollen.

Aber was St. Petersburg und den Leningrader Oblast betrifft, so hat die „Müllreform“ im Leningrader Oblast bereits begonnen. Es stellte sich heraus, dass der ganze Müll der Metropole, fast alles, in die Leningrader Region geht. Die Arbeiten an der Reform wurden aufgenommen, aber sie sind nicht synchron. Das heißt, es geht um zwei Regionen, die in dieser Hinsicht völlig voneinander abhängig sind, wo die Logistik aller leidet, weil nicht einmal klar, welche LKW eingesetzt werden können. (Anm. d. Übers.: Auch Petersburg ist ein Oblast (also „Bundesland“) und so ist die paradoxe Situation entstanden, dass der Leningrader Oblast und Petersburg völlig unterschiedliche Fristen zur Umsetzung der Reform haben, obwohl sie bei der Müllentsorgung untrennbar miteinander verbunden sind. Das Problem gibt es auch in Moskau und der dortige Bürgermeister antwortete kürzlich genervt und ironisch auf eine Journalistenfrage, wo denn der Müll nun hinsolle, dass er das auch nicht wisse und ob nicht jemand seinen Hinterhof zur Verfügung stellen möchte)

Und die Bewohner des Oblast stellen die berechtigte Frage, warum – auch viele illegale Transporte – unter ihren Fenstern Müllhalden anhäufen, der eindeutig aus der Stadt kommt. Und das alles ist gesetzeskonform, alles läuft gemäß den beschlossenen Verfahren. Kann man St. Petersburg in irgendeiner Weise gesetzlich dazu bringen, sich mit der Umsetzung zu beeilen?

Wladimir Putin: Das lässt sich gesetzlich machen. Aber darum geht es nicht einmal. Was man braucht, ist ein direkter Dialog mit den Menschen in dieser Angelegenheit. Die Menschen müssen wissen, was passiert, warum und auf welcher Grundlage und in welcher Form es sich weiterentwickeln wird. Schließlich, schauen Sie, wir haben…

Setzen Sie sich doch bitte.

Smirnov: Darf ich eine Bitte äußern?

Wladimir Putin: Eine Bitte? Okay. Ich habe Ihre Frage noch gar nicht beantwortet. Aber gut, erzählen Sie.

Smirnov: Entschuldigung. Kann ich nach der Pressekonferenz zehn Minuten lang ein Interview mit Ihnen führen, während Sie im Auto in den Kreml fahren?

Wladimir Putin: Das kann man machen. Aber Sie haben die Antwort noch nicht zu Ende gehört. (Anm. d. Übers.: Smirnov bedankte sich schon, hatte sich aber zu früh gefreut) Sie bedanken sich zu früh. Nach der Pressekonferenz bedeutet, in diesem oder im nächsten Jahr. Wir haben uns mit Ihnen noch nicht auf einen Termin geeinigt, aber im Prinzip ist es möglich.

Jetzt aber zurück zum Thema Müll. Die Zahlen sind ja bekannt: Wir erzeugen landesweit jährlich 70 Millionen Tonnen Hausmüll. 70 Millionen Tonnen! Können Sie sich das vorstellen? Eine riesige Menge.

Und es gab in unserem Land noch nie eine müllverarbeitende Industrie, wie das Recycling von Hausmüll, das gab es weder in der Sowjetunion, noch im neuen Russland. Wir bauen sie gerade von Null auf. Und hier sind die wichtigsten Grundsatzentscheidungen getroffen worden: Es wurde ein föderaler Betreiber geschaffen, etwas über 200 regionale Betreiber wurden geschaffen und ein Raumordnungssystem wurde verabschiedet, um dieses Problem anzugehen.

Aber was in meinen Augen fehlt, ganz sicher fehlt, ist die direkte Kommunikation mit den Menschen selbst. Man muss ihnen zeigen, was kommt, wie es sich entwickeln wird, wo das Recycling stattfinden wird und wo die Abfälle bis dahin gelagert werden.

Und natürlich müssen wir gegen alle Betrügereien in den Grauzonen und gegen Verbrechen in dem Zusammenhang vorgehen. Hier muss erst einmal die grundlegende Ordnung wieder hergestellt werden. Die Menschen sind natürlich empört über die Erhöhung der Tarife für Müllabfuhr. Früher gab es keine Abgabe für Hausmüll, jetzt erscheint sie auf den Rechnungen und sie wurde schon mehrmals erhöht. Das muss den Menschen erklärt werden.

Um zu erklären, wie diese Zahlen zu Stande kommen, ist es notwendig, dass all dies transparent stattfindet, damit jeder versteht, wofür er bezahlt. In ländlichen Gebieten wurden die Gebühren für Müllabfuhr furchtbar aufgeblasen, obwohl in ländlichen Gebieten der Müll nicht verarbeitet, sondern im nächsten Wald abgeladen wurde. So geht es doch nun wirklich nicht.

Um den Müll irgendwo hinzufahren, muss auch bezahlt werden, das verursacht Kosten. Das muss transparent sein, die Menschen müssen verstehen, wofür sie bezahlen, das ist meiner Meinung nach das Hauptproblem.

Vielleicht ist genau das das Problem in Petersburg und in der Region Leningrad. Warum soll der Müll aus St. Petersburg in die Region Leningrad gefahren werden? Okay, dann fahren wir den Müll eben irgendwo an den Polarkreis, aber dann wird die Gebühr wegen der Transportwege um das zehnfache steigen.

Schließlich sind die Leningrader Region und die Stadt St. Petersburg, früher Leningrad, ein gemeinsames Wirtschaftsgebiet. Und früher, in der Sowjetunion, wurden sie in der Tat von einem Gremium regiert, von der Kommunistischen Partei der Sowjetunion.

Jetzt, wo die Gebiete getrennt sind, haben sie natürlich teilweise unterschiedliche Interessen.

Übrigens arbeiten viele Menschen aus dem Leningrader Gebiet, aber auch aus Moskau, in St. Petersburg, und sie erzeugen auch einen Teil des Mülls dort in der Stadt, das ist der Punkt, und dann wird der Müll dahin gefahren, wo sie wohnen. Der ganze Prozess muss transparent gemacht werden, ich denke, dann kann und sollte sich die Situation verändern.

Aber wir müssen die Branche auch aus Sicht der Bauwirtschaft ausbauen. Die Anlagen sind bereits im Bau. Die Zahl der Recycling-Unternehmen sollte erhöht werden. Und man muss den Menschen erklären, was das für Unternehmen sind, wie sie funktionieren werden, ob sie für die Umwelt Schaden anrichten und ob sie irgendwelche Probleme für die Menschen schaffen werden, die in der Nähe dieser Unternehmen leben. (Anm. d. Übers.: Gegen den Bau der Anlagen gibt es in vielen Regionen Widerstand, weil die Leute befürchten, dass die Luft darunter leidet)

Denn in den großen Weltmetropolen, sagen wir, in Tokio, befinden sich Verarbeitungsbetriebe direkt in der Stadt. Sie rauchen nicht, entschuldigen Sie die Wortwahl, sie stinken nicht, sie stören die Menschen nicht und zerstören die Umwelt nicht. Wenn wir die neuesten Technologien einsetzen, was wir tun werden, dann sollten keine Probleme auftreten, es wird keine Probleme geben.

Es muss einfach alles so umgesetzt werden, wie es vereinbart ist, und dafür brauchen wir gesellschaftliche Kontrolle, dafür brauchen wir zivilgesellschaftliche Organisationen. Ich habe bereits mit der Führung der Allrussischen Einheitsfront gesprochen und ich bitte sie noch einmal, diesem Thema besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Wenn man auf der ganzen Welt dieses Problem lösen kann, werden wir es auch lösen.

Ende der Übersetzung


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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

3 Antworten

    1. Das ist eine landesweit tätige, zivilgesellschaftliche NGO, die in den Regionen den Behörden auf die Finger schaut und Missstände meldet. Putin arbeitet eng mit denen zusammen und sie bringen ihm Informationen, die der Beamtenapparat vom Kreml fernzuhalten versucht.

  1. Recycling und Müllentsorgung in Russland: Was hätte das für ein wirtschaftliches Betätigungsfeld für renommierte deutsche Unternehmen sein können? Aber man zieht es ja hierzulande vor dem Sanktionsregime zu folgen.

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