Rückblick: Das russische Fernsehen über die Demos der letzten Wochen und ihre Folgen

Das russische Fernsehen hat in der Sendung „Nachrichten der Woche“ noch mal über die Proteste der vergangenen Wochen berichtet.

In dem Beitrag wurden einerseits die Zahlen über Verfahren und verhängte Strafen zusammengefasst, aber auch in einem bitteren Kommentar aufgezeigt, was die Organisatoren gemacht haben, um jenen zu helfen, die für sie Haftstrafen riskiert haben: Nämlich nichts.

Ich habe den Beitrag des russischen Fernsehens übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Am 8. September ist Wahltag und damit fällt die Entscheidung im Wahlkampf. Aber es gab parallel dazu noch etwas anderes: Straßenproteste in der Hauptstadt wegen der Wahlen zum Moskauer Stadtrat. Der ursprüngliche Grund war die Weigerung der Wahlkommission, eine Reihe von Bewerbern aufgrund der großen Zahl von Fälschungen in den Unterschriftenlisten zur Wahl zuzulassen. Nachdem die Wahlkommission sich gründlich und öffentlich live im Internet übertragen mit jedem Fall befasst hatte, zog das Thema der Nichtzulassung nicht mehr als Grund für Proteste. So verschwand das Thema der Nichtzulassung von der Bildfläche. Dann begannen illegale Aktionen gegen die angebliche Polizeibrutalität, gegen „politische Repressionen“ und zur Unterstützung der Verhafteten.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Einsätze der Polizei untersucht. Danach nannte sie deren Arbeit „hochprofessionell“ und legitim. Gerichte haben sich gewissenhaft mit den während der illegalen Aktionen Festgenommenen befasst, es wurden Zeugen gehört, Umstände geprüft und Videos ausgewertet, sowie Angeklagte und Zeugen gehört.

Strafverfahren wegen Massenunruhen gegen fünf Verdächtige wurden von den Ermittlungsbehörden eingestellt. Dabei handelt es sich um Dmitri Wassiljew, Sergej Abanitschew, Daniil Konon, Waleri Kostenok und Wladislaw Barabanow. Andere hatten weniger Glück. Wegen Gewalt gegen Polizisten haben Gerichte der Hauptstadt Angeklagte zu Freiheitsstrafen zwischen zwei und dreieinhalb Jahren verurteilt. Dabei handelt es sich um Kirill Schchukov, er schlug Polizisten ins Gesicht (im Beitrag werden davon Aufnahmen gezeigt), Jewgeni Kovalenko, er warf einen großen Metallmülleiner auf einen Polizisten (auch das wird im Beitrag gezeigt). Auf schuldig plädierten zwei, die dann einen Deal mit den Ermittlungsbehörden gemacht haben: Ivan Podkopaev, er hat Polizisten Reizgas ins Gesicht gesprüht und Danil Beglets, er zog einen Polizisten an der Hand gewaltsam aus der Polizeikette.

Jetzt stehen Berufungsverfahren an, also die Möglichkeit, gegen die Urteile Berufung einzulegen. Nach dem gleichen Paragrafen, „Gewalt gegen Ordnungshüter“ wird noch gegen Nikita Tschirtsov ermittelt. Die Untersuchungshaft ist bis zum 2. November verhängt. Vier Jahre Gefängnis hat der Programmierer Konstantin Kotov bekommen. Er war wiederholt wegen Verstößen das Versammlungsrecht in Haft genommen worden. Nun hat er ein Strafverfahren mit Verurteilung bekommen.

Die bisher härteste Strafe erhielt der Blogger Max Steklov, im richtigen Leben heißt er Vladislav Sinitsa. Sinitsa wurde zu 5 Jahren Haft verurteilt, weil er dazu aufgerufen hatte, die Kinder von Polizisten zu töten. Einige versuchen nun, seinen Post als harmlosen Scherz darzustellen. Aber stellen Sie sich vor, Sie wären an der Stelle eines Familienvaters, eines Polizisten, der damit eingeschüchtert wird, dass sein Kind nicht von der Schule nach Hause zurückkehren könnte und er stattdessen mit der Post ein Video bekommt, auf dem sein Kind gefoltert und ermordet wird. Das Gericht hat verboten, den Originalbeitrag von Steklov-Sinitsa zu zitieren, aber ich habe ihn sehr nah am Wortlaut nacherzählt. Man bekommt Gänsehaut bei dem Gedanken.

Übrigens hat diese Geschichte sogar unsere Menschenrechtler und politischen Aktivisten gespalten. Der Journalist Nikolai Svanidse zum Beispiel hält das Verhalten von Sinitsa für inakzeptabel und die Strafe für richtig, wenn auch „hart“. Gennadi Gudkow hingegen sieht es anders, auf „Echo Moskau“ schimpfte er gegen die Richter und schreibt: „Wo sind die Aufrufe, wo sind die Absichten, wo ist die Aufstachelung zum Hass oder ein anderes Kennzeichen für Verbrechen?“ (Anm. d. Übers.: Echo Moskau ist ein landesweit zu empfangener, sehr Kreml-kritischer Radiosender)

Gegen einige laufen nach den Protesten in Moskau Verfahren wegen anderer Vergehen: Aidar Gubaidulin, Alexey Minyailo, Samarindin Radjabov und Eduard Malyshevsky. Es ist klar, dass alle genannten Namen bereits in aller Munde und Gegenstand von Streitigkeiten unter Aktivisten sind, aber Gesetz ist Gesetz und die Gerichte werden im Einklang damit entscheiden.

Bedeutet dies, dass es unmöglich ist, zu protestieren? Weit gefehlt. Russland ist Weltmeister in Sachen Meinungsfreiheit, die Verfassung funktioniert und der Präsident sieht die Proteste als Vorteil. So sagte es Putin in Wladiwostok: „Wenn die Menschen ihren Standpunkt zum Ausdruck bringen, auch bei Protesten, das sagte ich schon, dann haben sie das Recht dazu. Und manchmal führt das zu positiven Ergebnissen, wenn sie die Regierung „durchschütteln“, damit sie in die richtige Richtung arbeit, so dass sie die Probleme, mit denen die Menschen konfrontiert sind, effektiver löst. Aber man muss dabei positiv und konstruktiv handeln, nicht geleitet von eigenen, engstirnigen Gruppeninteressen, sondern von den Interessen des ganzen Landes und der Menschen. Und es muss innerhalb der Gesetze geschehen.“

Das heißt, Proteste sind unter zwei Bedingungen nützlich: Mit einer positiven und konstruktiven Haltung, die von den Interessen des Landes und der Menschen geleitet ist und im Rahmen der Gesetze. Wenn aber nichts von beidem gegeben ist, gibt es Probleme. Was Moskau betrifft, so spricht die Geschichte der Wellen der Unzufriedenheit für sich.

Denn wofür wurden die Moskauer Behörden nicht schon alles beschimpft: für den Abriss von Kiosken (Anm. d. Übers.: die Kioske wurden in den „wilden 90er Jahren“ ohne Baugenehmigung ohne Baugenehmigungen in allen russischen Städten aufgestellt), für die Einführung von kostenpflichtigen Parkplätzen (Anm. d. Übers.: Kostenpflichtige Parkplätze gab es früher in Russland nicht und als die Städte dazu übergingen, das wilde Parken zu verbieten und Parkuhren einführten, war der Unmut groß), für die Reparatur von Straßen und Gehwegen bei gleichzeitiger Modernisierung der Infrastruktur (Anm. d. Übers.: Die Straßen waren früher in einem sehr schrecklichen Zustand und bei ihrer Reparatur wurden auch gleich unterirdische Rohre und Leitungen ersetzt, was die Arbeit natürlich verlängert hat, dafür ist Russland aber zum Beispiel in Sachen Internet weit besser aufgestellt, als Deutschland, das ich bei Besuchen in der „alten Heimat“ inzwischen als digitales Entwicklungsland empfinde), für das Renovierungsprogramm mit der Umsiedlung von Menschen aus alten Häusern in neue Häuser (Anm. d. Übers.: Das war ein Programm, bei dem alte Plattenbauten abgerissen wurden und den Eigentümern wurden kostenlos Eigentumswohnungen in modernen Neubauten gegeben. Wogegen damals protestiert wurde, habe ich nie verstanden, denn die neuen Wohnungen waren besser ausgestattet und wertvoller, als die alten Wohnungen), sogar für das Programm zur Stadtbegrünung. Und wie wäre es jetzt, wenn all diese Kritik die Modernisierung der Stadt gestoppt hätte? Wir hätten immer noch speckige Kioske, die Infrastruktur würde langsam zusammenbrechen und die Staus wären wegen der durch wildes Parken blockierten Straßen noch schlimmer und die alten und baufälligen Plattenbauten würden zu Slums verkommen. Wäre das besser? Nicht wirklich. Proteste sind also eine interessante Sache, aber irgendjemand muss ja trotzdem die Arbeit machen.

Wenn wir zu den aktuellen, nicht genehmigten Protesten zurückkehren, so handelt es sich dabei auch noch um gebrochene Schicksale. Wenn junge Menschen bei verbotenen Aktionen die Polizei angreifen, hat das nichts mit Demokratie zu tun. Demokratie wird von den städtischen Behörden praktiziert, die einige Aktionen erlaubt haben und andere nicht. Entscheidend ist die öffentliche Ordnung, damit die Proteste der einen nicht die anderen massiv behindern. Wer sich nur um seine Interessen sorgt, fördert Anarchie. Verurteilungen oder oder auch Bußgelder im Zusammenhang mit Anarchie sind kein Schmuck für eine Biographie, in keinem Land der Welt.

Und was ist das Ergebnis? Nach den Zahlen, die das Moskauer Gericht veröffentlicht hat, gab es nach der ungenehmigten Aktion vom 27. Juli etwa tausend Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten. 480 werden bisher bearbeitet. 376 haben einen Bußgeldbescheid bekommen. 89 bekamen Ordnungshaft. Zwei Personen müssen gemeinnützige Arbeit leisten. 13 Fälle wurden zur Klärung an die Polizei zurückgeschickt. Die alle kommen zu den Strafverfahren, über die wir schon gesprochen haben, noch hinzu. (Anm. d. Übers.: Aber es handelt sich dabei um Ordnungswidrigkeiten, keine Straftaten, diese Betroffenen sind also nicht vorbestraft, auch wenn sie einige Tage Ordnungshaft absitzen mussten)

Und was ist mit den Organisatoren der Proteste? Am Tag der Verkündung der ersten strafrechtlichen Verurteilungen hatten die Nawalny-Brüder Spaß bei einer Party bei einer Ausstellung über Gefängnis-Tattoos, die im Zentrum Moskaus in der Galerie „Art 4“ eröffnet wurde. Das Hauptexponat war ein nackter, grob tätowierter Mann mit einem unglaublichen Bauch. Aber man würde nicht glauben, dass er in Wahrheit eine feministische Frau namens Dana Frieder ist.

Dana Frieder ist auch im Web zu sehen. Er ist ein Transgender-Mann, der alle männlichen Geschlechtsmerkmale beibehalten hat, aber trotzdem darauf besteht, dass er eine Frau ist. Fotografieren lässt er sich aber lieber von der Seite. Einmal wurde er im Streit aus einem Frauenclub geworfen, aber hier ist er die Seele der Party.

Neben den oben Genannten wurden auf der Party am Tag der Verurteilung der Teilnehmer von illegalen Aktionen auch noch gesehen: als DJ ein Veteran der Gruppe „Voina“, Piotr Verzilov, gleich daneben tanzt seine Ex-Frau, Nadeschda Tolokonnikowa (Anm. d. Übers.: eine der berühmten Pussy Riot Mitglieder), die wegen Blasphemie in der Kathedrale von Moskau im Gefängnis gewesen ist. Und hier amüsiert sich in einem roten Kleid Lyubov Sobol. (Anm. d. Übers.: Sie war eine derer, die nicht zur Wahl zugelassen wurden und aus Protest war sie angeblich schon über 20 Tage im Hungerstreik, hat aber optisch nicht abgenommen, sie war immer schlank und daran hat sich nichts geändert. Offensichtlich hat sie aber trotz Hungerstreik genug Kraft, um auf einer Party ausgelassen zu tanzen, wie die von ihr selbst geposteten Videos zeigen)

Es ist klar, dass es eine Flut von bitteren Kommentaren im Internet gibt. „Sie feierten anscheinend, dass Sintsa fünf Jahre, Podkopaev drei Jahre und Beglets zwei Jahre bekommen haben. Und auch den Hausarrest von Schuschukow und ihre großen Siege bei den Wahlen zum Moskauer Stadtrat. Es wundert nicht einmal, dass sie feiern, aber dass sie ihre Tänze ins Internet stellen, das verwundert doch“ schreiben Internetnutzer.

Also, wer sind diese Leute? Die Opposition? Nein. Nirgendwo auf der Welt würde ein solches Publikum als Opposition angesehen werden. Opposition ist etwas anderes. Die Opposition ist eine organisierte politische Kraft, die in der Lage ist, die Macht zu übernehmen und mit ihr die Verantwortung für ihre Anhänger, für ihr gesamtes Volk, für ihr Land. Die Opposition ist eine Kraft, die fähig und entschlossen ist, etwas zu erschaffen. Diese Menschen sind nicht mal in der Lage, für sich selbst und für ihre Unterstützer Verantwortung zu übernehmen und erst recht nicht für das Land und die Menschen. Wer sind sie also? Nun, Demonstranten, Unruhestifter. Die Tradition von Unruhestiftern ist in Russland Jahrhunderte alt. Irgendwie war das immer für einige reizvoll. Und später hat es oft das ganze Land bereut.

Ende der Übersetzung

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

4 Antworten

  1. Thomas, dieser Beitrag ist Spitze!

    „Nachdem die Wahlkommission sich gründlich und öffentlich live im Internet übertragen mit jedem Fall befasst hatte, zog das Thema der Nichtzulassung nicht mehr als Grund für Proteste. So verschwand das Thema der Nichtzulassung von der Bildfläche. Dann begannen illegale Aktionen gegen die angebliche Polizeibrutalität, gegen „politische Repressionen“ und zur Unterstützung der Verhafteten.“

    Alle westlichen „Qualitätsmedien“ entblöden sich nicht, genau diesen Passus zu verschweigen und schwadronieren statt dessen unter Leugnung der Realität davon, dass viele „Oppositionskandidaten“
    nicht zugelassen wurden!
    Und, z.B. die Tagesschau führen sie sich auf wie dreijährige Kinder und freuen sich, dass Putins „CDU“, Mandate zugunsten der Kommunisten verloren haben! Es ist einfach nur noch Absurdistan, was in den westlichen Medien abläuft!

  2. Wenn man das ließt, möchte man meinen, daß Rationalität in Rußland ihr letztes Refugium gefunden hat. Daher kann man sich wohl auch eine ganze Reihe Irrer leisten, ohne relevanten Schaden zu nehmen.

  3. Der Begriff Transgender-Mann bezeichnet eigentlich eine Frau mit Geschlechtsidentitätsstörung, die ihr Geburtsgeschlecht anatomisch durch einschlägige plastisch-chirurgische Operationen und hormonell durch die Einnahme von Östrogenen ihrem männlichen Identitätsgeschlecht angeglichen hat.

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