Wahlen in Russland: Vorläufige Ergebnisse und eine Einschätzung

Ich wurde bereits gefragt, wie die Wahlen in Russland ausgegangen sind und wie ich das Ergebnis einschätze. Das ist keine einfache Frage, wie wir gleich sehen werden.

Um zu verstehen, wo die Schwierigkeit bei einer allgemeinen Einschätzung dieser Wahlen ist, muss man erst einmal verstehen, wer alles am Sonntag zur Wahl stand. In Russland finden Wahlen einmal im Jahr statt. Wenn im Laufe des Jahres jemand aus dem Amt scheidet, wird sein Posten kommissarisch vergeben und der Nachfolger muss sich später zur Wahl stellen. Neben den regulär anstehenden Wahlen, stehen also auch solche freigewordenen Plätze zur Wahl.

In Russland standen am Sonntag 13 Regionalparlamente, 16 Gouverneure und 22 Stadtparlamente zur Wahl und auch noch einige freigewordene Plätze in der Duma. Insgesamt waren 47.608 Wahlämter zu besetzen, um die sich mehr als 118.000 Kandidaten beworben haben.

Russland ist ein föderaler Staat, so wie Deutschland auch. Die „Bundesländer“ heißen dort „Oblast“ oder „Region“.

Um die Wahl einzuordnen, muss man aber den Unterschied zum deutschen Wahlsystem kennen. Die Parlamente der Oblaste (in Deutschland wären es die Landtage) werden nicht nach Parteilisten gewählt, sondern es werden Direktkandidaten gewählt, die natürlich zum Teil von Parteien kommen und von ihnen unterstützt werden, aber es gibt auch unabhängige Kandidaten. Die Gouverneure (in Deutschland wären es die Ministerpräsidenten der Länder) werden hingegen direkt vom Volk gewählt und nicht vom Parlament.

Vor allem bei den Wahlen zum Gouverneur spielen daher „bundespolitische“ Themen keine so große Rolle, wie in Deutschland bei Landtagswahlen. Die Leute haben in dem Gouverneur jemanden, den sie direkt und persönlich für Erfolge und Misserfolge verantwortlich machen können. Wenn Schulen oder Lehrer fehlen, die Infrastruktur schlecht ist und nicht verbessert wird, wenn es zu wenig Kindergartenplätze gibt, dann sehen sie die Verantwortung beim Gouverneur, im Guten, wie im Schlechten. Und da diese Themen die Menschen direkt betreffen, sind die Wahlentscheidungen bei den Gouverneurswahlen viel abhängiger von regionalen Themen, als von „bundespolitischen“ Themen.

Und es gibt auch einen Amtsbonus, wie in Deutschland den „Kanzlerbonus“. Überall auf der Welt wählt ein Teil der Menschen automatisch den Amtsinhaber, frei nach dem Motto „da weiß ich, was ich habe“. Und wenn in Russland im Laufe des Jahres ein Gouverneur – warum auch immer – aus dem Amt scheidet, ernennt der Kreml einen kommissarischen Gouverneur, der sich dann im nächsten September zu Wahl stellen muss. Und der hat mit dem Amtsbonus natürlich einen Vorteil und wenn er in den Monaten zuvor einen halbwegs guten Job gemacht hat, wird er in der Regel auch gewählt.

So kann der Kreml durchaus einen gewissen Einfluss nehmen. Aber das bedeutet nicht, dass alle Gouverneure der „Kreml-Partei“ Einiges Russland angehören. Der Kreml hat ein großes Interesse daran, dass die Leute im Land zufrieden sind und wenn ein geeigneter Kandidat von einer anderen Partei kommt, wird er zum kommissarischen Gouverneur ernannt, Hauptsache, den Menschen in der Region geht es gut und sie sind zufrieden. Unruhen und Proteste findet keine Regierung der Welt gut, auch der Kreml nicht.

Und so werden viele Gouverneure von anderen Parteien gestellt und die Gouverneurswahlen haben kaum eine Aussagekraft über die Zufriedenheit mit der Politik der russischen Regierung. Übrigens haben bei den Gouverneurswahlen – soweit ich es bisher überschauen kann – die Amtsinhaber alle mehr oder weniger deutlich gewonnen.

Anders ist es mit den Regionalparlamenten. Auch wenn die Kandidaten direkt gewählt werden, schauen die Leute schon, von welcher Partei sie kommen. Aber es ist denkbar schwierig, die Wahlen zu 13 Regionalparlamenten und 22 Stadtparlamente in einem Artikel zusammenzufassen. Insgesamt kann man nach bisherigem Stand sagen, dass die Regierungspartei Einiges Russland stärkste Partei geblieben ist und dass die Kommunisten ihren zweiten Platz in der politischen Landschaft wieder sicher bestätigt haben. Es gab also keine großen Überraschungen und auch Protestwahlen haben keine sichtbare Rolle gespielt. Im großen und ganzen haben die Kandidaten der „etablierten“ Parteien gewonnen.

Aber in einigen Regionen wurde die Regierungspartei Einiges Russland auch abgestraft und kam kaum über zehn Prozent.

In Moskau, das in den letzten Wochen Schlagzeilen gemacht hat, gingen nach jetzigem Stand 25 der 45 Sitze im Stadtparlament an Kandidaten von Einiges Russland. Die Kommunisten bekamen 13 Sitze und die pro-westliche und wirtschaftsliberale Partei Jabloko bekam vier Sitze. Einen davon bekam übrigens der zunächst abgelehnte Kandidat Mitrochin, der gegen die Entscheidung der Wahlkommission, seine Kandidatur abzulehnen, erfolgreich Einspruch erhoben hat. Die Partei Gerechtes Russland bekam drei Sitze.

Was nach einem Wahlsieg für Einiges Russland in Moskau klingt, ist in Wahrheit eine Klatsche, denn sie haben in Moskau 13 Sitze an die anderen Parteien verloren. Das ist aber nicht überraschend, die Großstädte gelten nicht als Hochburgen der Regierungspartei.

Aber die regionalen Unterschiede bei den Wahlergebnissen sind groß, ähnlich wie auch in Deutschland die Bundesländer oft sehr unterschiedlich wählen, was eine generelle Einordnung der Wahl schwierig macht.

Da die deutschen Medien gerne den Ausschluss von Kandidaten als „undemokratisch“ bezeichnet haben, sei auf eine Meldung des MDR hingewiesen. Dort wurde Ende August berichtet, dass zur Landtagswahl in Thüringen zehn Kandidaten und eine ganze Partei nicht zugelassen wurden:

„Zehn Bewerber wurden nicht zugelassen, weil Unterlagen fehlten. (…) Nicht dabei sind die Freien Wähler. Die Partei hatte ihre Landesliste nicht fristgerecht beim Landeswahlleiter eingereicht. Damit kann die Partei nicht mit Zweitstimme gewählt werden. (…) Landeswahlleiter Günter Krombholz hatte MDR THÜRINGEN vor der Sitzung gesagt, über das Thema Freie Wähler werde nicht weiter gesprochen. Wer nicht fristgemäß abgegeben habe, sei automatisch raus.“

Regeln über die Einreichung der nötigen Unterlagen für eine Kandidatur sind also kein russisches Phänomen, aber die Medien in Deutschland zeichnen ein anderes Bild. In Russland sind einige Kandidaten wegen fehlerhafter Unterlagen nicht zugelassen worden, aber sie hatten wenigstens noch ein Einspruchsrecht und das Beispiel von Mitrochin, der das Recht als einziger Kandidat in Moskau genutzt hat, zeigt, dass es auch funktioniert.

In Deutschland sind die Regeln strenger, da wurde eine ganze Partei (die Freien Wähler) wegen fehlender Unterlagen gar nicht erst zur Wahl zugelassen und sie hat kein Recht, das anzufechten.

Nun noch etwas zu Unregelmäßigkeiten bei Wahlen. In Russland werden alle gemeldeten Unregelmäßigkeiten veröffentlicht und verfolgt. In allen Wahllokalen besteht Kameraüberwachung, die Bilder werden auch live ins Internet übertragen, jeder kann also jedes Wahllokal beobachten. Darüber hinaus waren über 10.000 Wahlbeobachter im Einsatz, sowohl Bürgerrechtsgruppen, als auch Parteien schicken ganze Armeen von Beobachtern los. Hinzu kommen noch Beobachter ausländischer Organisationen, wie der OSZE. Bisher sind jedoch keine nennenswerten Unregelmäßigkeiten bekannt geworden, obwohl bislang 3.654 Beschwerden dazu eingegangen sind und elf Strafverfahren eröffnet wurden. Jedoch hatten diese nach jetzigem Stand keinen Einfluss auf die Wahlergebnisse.

Letztes Jahr war das anders. Da hat, nachdem es zu Unregelmäßigkeiten gekommen war, die Chefin der Wahlkommission, Ella Pamfilowa, die Wahlsiege von Kandidaten der Regierungspartei anuliert und neu wählen lassen.

Von der OSZE liegt noch kein Statement vor, wenn es kommt, werde ich es als Nachtrag in diesem Artikel veröffentlichen.

Bleibt noch die Wahlbeteiligung. Die ist in Russland bei solchen Wahlen generell niedrig und schwankt auch sehr stark. In einigen Regionen lag sie bei kaum über 20 Prozent, in anderen jedoch weit höher. Russlandweit lag sie bei etwas über 41 Prozent, was im Vergleich zum letzten Jahr ein Anstieg um 3,5 Prozent ist. Diese großen Unterschiede liegen auch daran, dass die Wahlbeteiligung bei Wahlen von Gouverneuren höher ist, als zum Beispiel bei Stadtparlamenten. In Moskau, das angeblich so heftig protestiert hat, lag die Wahlbeteiligung bei der Wahl zum Stadtparlament bei nur 21,77 Prozent.

Nachtrag: Besonders dreist ist mal wieder die Desinformation über Russland bei der Russland-Korrespondentin des Spiegel, Christina Hebel. Auf Twitter veröffentlichte sie einen Tweet, der zeigt, wie ein Mann im St. Petersburger Stadtteil Puschkin drei Wahlzettel in eine Urne einwirft. Das soll suggerieren, in Russland würde bei der Wahl betrogen.

Was Frau Hebel verschweigt ist, dass das im. St. Petersburger Stadtteil Puschkin an dem Tag Regional-, Kommunal- und Gouverneurswahlen stattgefunden haben, was die drei Wahlzettel erklärt. Aber Frau Hebel ist in Moskau ja nicht für wahrheitsgemäße Berichterstattung über Russland zuständig, sondern für Desinformation. Und so hat sie das auch gleich in einem Artikel über die Wahl eingebaut, der vor Unwahrheiten und Suggerierungen nur so trieft.

Besonders traurig ist dieser Tweet von Frau Hebel, weil es im russischen Internet längst Videos gibt, die tatsächlich anscheinend Fälle zeigen, bei denen durch Einwurf mehrerer Wahlzettel die Wahl verfälscht werden sollte. Sie hätte wenigstens über echte Verdachtsfälle schreiben sollen, anstatt diesen unbegründeten Fall aus Puschkin zu retweeten. Die Fälle gehören zu den über 3.000 Fällen, die die Leiterin der Wahlkommission bekannt gegeben hat und die nun untersucht werden. Aber ich werde dem Spiegel die Arbeit nicht abnehmen und diese Videos daher nicht verlinken. Soll Frau Hebel doch selbst danach suchen…

Mich persönlich verwundern solche Fälle, denn bekanntermaßen sind alle Wahllokale videoüberwacht. Bei jeder Wahl gibt es in Russland, Fälle wo so etwas versucht wird und die Leute fliegen auch jedes Mal auf. Wie erwähnt wurden vor einem Jahr sogar ganze Wahlen deswegen anulliert und wiederholt.

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

2 Antworten

  1. Ich habe diesen absurden Artikel im Spiegel heute auch überflogen, ebenso wie andere Beiträge aus dem „Qualitätsjournalismus“ dazu und einer ist dümmlicher und verlogener als der andere! Diese Schmierfinken verfügen über nicht ein Quentchen Berufsehre, denn sie wissen doch ganz genau, was sie da für einen Unsinn schreiben!

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