Warum misstraut Mehrheit der Deutschen dem politischen System? Umfrage gibt Antworten

Der Spiegel hat von einer repräsentativen Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung berichtet und natürlich mal wieder weggelassen, was ihm nicht in den Kram passt. Daher habe ich mir diese Umfrage mal genauer angeschaut.

Die Überschrift des Spiegel-Artikels lautete „Umfrage in Deutschland – Nur jeder Zweite ist mit der Demokratie zufrieden“ und schon das war ein etwas irreführender Titel. Korrekter wäre gewesen „Knappe Mehrheit in Deutschland mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden„, denn tatsächlich sind 46,6% damit zufrieden, 53,4% aber nicht. Und es ging ja nicht darum, ob die Deutschen Demokratie wollen oder nicht, sondern um die Frage, ob die Deutschen mit dem Funktionieren der deutschen Demokratie zufrieden sind. Und das ist ein feiner, aber sehr wichtiger Unterschied.

Die Umfrage hat nämlich ergeben, dass die Deutschen Demokratie wollen, nur sie haben in der Mehrheit den Glauben an die Demokratie verloren, wie sie derzeit in Deutschland umgesetzt wird. Und das zeigt die Umfrage mehr als deutlich, wie wir uns nun im Detail anschauen wollen.

Die Deutschen blicken mit großem Pessismus in die Zukunft, denn auf die Frage „Wird es künftigen Generationen in Deutschland besser gehen?“ antworteten 21,6% wesentlich schlechter und 44,7% etwas schlechter, das bedeutet, dass genau zwei Drittel der Deutschen pessimistisch in die Zukunft blicken. Darüber findet sich im Spiegel-Artikel aber kein Wort.

Und die Umfrage zeigt auch indirekt auf, wie sehr Deutschland auseinanderdriftet. Während die Oberschicht zu 57,5% mehr oder weniger zufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie ist, ist es bei der Mittelschicht fast ausgeglichen. Dort sind 54,1% damit zufrieden, aber die Unterschicht ist abgehängt und hat offenbar keinerlei Vertrauen mehr in dieses heutige politische System, denn in der Unterschicht sind 70,1% mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland unzufrieden.

Ganz offensichtlich ist die Sozialpolitik der letzten Jahre komplett gescheitert, anders kann man diese Zahlen nicht interpretieren und über zwei Drittel Unzufriedene im ärmsten Teil der Bevölkerung ist ein Wert, der einem Angst machen sollte. Damit steht Deutschland nicht gut da und das Mantra vom „reichen Deutschland“ scheinen viele nur noch als Hohn zu empfinden, wie man aus den Zahlen interpretieren kann.

Der Spiegel reitet in seinem kurzen Artikel aber nur auf der Demokratiezufriedenheit herum und seziert diese Zahlen lediglich nach Parteienpräferenz. Die soziale Komponente und die soziale Spaltung der Gesellschaft, die die Umfrage deutlich aufzeigt, verheimlicht der Spiegel komplett.

Wenig überraschend ist, dass die Anhänger der etablierten Parteien mit der Demokratie in Deutschland zu ungefähr 60% zufrieden sind, während die Anhänger der Linken nur zu 33,7% und die Anhänger der AfD sogar nur zu 7,2% mit der Demokratie in ihrer jetzigen Form mehr oder weniger zufrieden sind.

Und man sieht auch, wo die Menschen in Deutschland die Lösung sehen. Bei der Frage nach alternativen Regierungsmodellen wollten 42,2%, dass die Bürger in regelmäßigen Volksentscheiden die wesentlichen Entscheidungen über Gesetze treffen. Für gewählte Abgeordnete als Entscheidungsträger sprachen sich 40,1% aus. Die Menschen sind also keineswegs – ich wiederhole es – mit der Demokratie an sich unzufrieden, sondern vor allem damit, wie sie in Deutschland umgesetzt wird. Die Menschen wollen an mehr Entscheidungen demokratisch beteiligt werden. Das zeigt sich auch daran, dass nur 16,2% dafür sind, dass „neutrale Experten oder Verfassungsgerichte“ über die Gesetze entscheiden und eine „einzelne Führungspersönlichkeit mit umfassender Entscheidungsmacht“ wollen nur 1,3% der Deutschen.

Über all das – mit Ausnahme der sozialen Frage – hat der Spiegel auch berichtet. Nun kommen wir zu dem zu dem, was er weggelassen hat. Und das ist eine Menge.

Es ging als nächstes in der Umfrage um das Vertrauen zu verschiedenen Institutionen und Organisationen. Und wenig überraschend war die Unzufriedenheit mit den Medien groß, 64,9% misstrauen den Medien in Deutschland mehr oder weniger stark. Das fand sich im Spiegel nicht. Schlechter kamen nur wenige weg, unter anderem die Parteien, denen misstrauen 77,5% der Deutschen. Das ist eine deutliche Klatsche sowohl für die etablierten Medien und auch für das deutsche Parteiensystem der repräsentativen Demokratie.

Natürlich will ich nicht verschweigen, dass Sie hier aufhören sollten zu lesen, denn am wenigsten Vertrauen haben die Deutschen in Blogger, denen misstrauen 91,6%.

Sie sind noch da? Okay, dann machen wir weitet mit der Umfrage.

Ein weiteres Armutszeugnis für die heutigen Politiker ist, dass nur eine Minderheit von 43% der Meinung ist, die Politiker hätten „das Beste für unser Land im Sinn„. Die Menschen halten also die Politiker noch nicht einmal wirklich für unfähig, sondern sie glauben nicht, dass die Politiker sich überhaupt um das Land und die Menschen sorgen. Noch deutlicher wird das bei der Frage, ob die Politiker sich „um die Sorgen von Menschen wie mir kümmern„. Nur ein Viertel (25,5%) ist dieser Meinung, aber ganze 74,5% sind der Meinung, dass die Politiker sich nicht um sie und ihre Sorgen kümmern. Revolutionen sind in anderen Ländern schon bei besseren Umfragewerten ausgebrochen, man muss objektiv feststellen, dass es in Deutschland offensichtlich unter der Oberfläche kocht.

Und wenig überraschend ist auch, wie die Deutschen auf diese Fragen nach Höhe des Einkommens antworten. Dass die Politiker sich kümmern, meinen immerhin 37,4% der Oberschicht, aber nur 16,5% der Unterschicht. Und dass die Politiker das Beste für das Land wollen, meinen 52,8% der Oberschicht, aber nur 30,1% der Unterschicht.

Und dieses Ergebnis war zu erwarten. Während die Politiker in der Tagesschau immer beklagen, die Schere zwischen Arm und Reich ginge in Deutschland immer weiter auseinander, haben sie dieses Problem in Wirklichkeit selbst geschaffen. Alle Gesetze der letzten 20 Jahre haben genau diese Entwicklung befördert, denn während der Oberschicht die Steuersätze gesenkt wurden, wurden bei der Unterschicht Sozialleistungen und Renten gekürzt und im Gesundheitssystem Eigenbeteiligungen der Patienten eingeführt. Da ist es verständlich, dass die Oberschicht eine deutlich bessere Meinung über die Politiker egal welcher Partei hat, denn egal welche der etablierten Parteien in den letzten 20 Jahren regiert hat (und es waren ja alle mal am Ruder), sie haben in dieser Frage alle die gleiche Politik gemacht.

Während und Medien und Politik uns aber immer noch erzählen, dass Deutschland ein reiches Land sei, kritisiert die UNO bereits die soziale Lage in Deutschland. In ihrem letzten UNO-Jahresbericht zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, hat die UNO Kinderarmut, Niedriglöhne, Lehrermangel, Pflegenotstand und so weiter im Detail angeprangert. Nur die deutschen Medien haben darüber mit keinem Wort berichtet, die Legende vom „reichen Deutschland“ soll ja keine Risse bekommen.

Und auch die Probleme der „parlamentarischen Parteiendemokratie„, wie die Studie es selbst nennt, bestätigen all das. Als größtes Problem wird genannt, dass ärmere Menschen sich seltener an Wahlen beteiligen, als reichere. 75,5% geben das an und es bestätigt, was vorher gesagt wurde: Die Armen haben jedes Vertrauen in diese „parlamentarische Parteiendemokratie“ verloren, denn egal wer in den letzten 20 Jahren regiert hat, für sie wurde die Lage immer schlechter. Es hilft ja auch nichts mehr, die „linken“ oder „sozialen“ Parteien zu wählen. Den Anstoß zu der Misere haben ja ausgerechnet sie sozialen Kahlschläge der rot-grünen Koalition unter Schröder und Fischer eingeleitet. Davon hat sich die SPD nie wieder erholt und vermutlich wird sie demnächst darum kämpfen müssen, bundesweit überhaupt noch zehn Prozent zu erreichen.

Und die ehemaligen SPD-Wähler, die „kleinen Leute“ also, haben niemanden mehr, den sie noch wählen können, denn die Linke ist vielen vor allem im Westen noch immer suspekt. Und so gehen sie eben entweder nicht mehr zur Wahl oder machen ihr Kreuz aus Protest bei der AfD, obwohl deren Parteiprogramm auch nicht gerade vor sozialen Komponenten strotzt. Und viele lassen sich von den Medien einlullen und halten die Grünen für eine linke oder soziale Partei, dabei hat sie inzwischen weitgehend die Positionen der FDP übernommen und ist eine Partei der Besserverdiener geworden, die mit ihrem Kreuz ihr „soziales und grünes Gewissen“ beruhigen wollen. Außerdem gehen bei den Grünen die Dinge, die sie in der Tagesschau erzählen und das, wofür sie dann abstimmen, weit auseinander. Aber die Medien lassen es der Partei durchgehen.

Auch bei der nächsten Frage zeigt sich, dass die Deutschen keineswegs die Demokratie satt haben, sondern im Gegenteil mehr Demokratie wollen. 83,5% wollen, dass der Bundestag durch Volksinitiativen dazu aufgefordert werden kann, sich mit bestimmten Themen zu befassen. 64,% befürworten das Schweizer System der direkten Demokratie, in dem die Bürger Entscheidungen des Bundestages durch Volksentscheide ändern können.

Das Hauptproblem der deutschen „parlamentarischen Parteiendemokratie“ ist ja, dass man vor der Wahl nicht weiß, wer am Ende mit wem eine Koalition eingeht und welche Themen dann tatsächlich umgesetzt werden. Man gibt also bei der Wahl seine Stimme ab und weiß eigentlich gar nicht, was man danach bekommt. 63,9% der Deutschen wollen daher bei der Wahl auch gleich entscheiden können, wer mit wem danach die Regierung bildet.

Danach kommt die Umfrage wieder zur wirtschaftlichen Entwicklung und auch hier findet sich eine große Diskrepanz zu dem, was wir in den Medien lesen und was die Menschen empfinden. Während die Medien vom „reichen Deutschland“ berichten und uns ständig damit glücklich machen wollen, dass die Wirtschaft wächst, kommt davon bei den Menschen nichts an. 65,4% sind der Meinung, dass die Menschen von der „guten wirtschaftlichen Entwicklung nicht profitiert“ haben.

Dass all diese Dinge am Ende Gesellschaft spalten, kann nicht überraschen. Und so beklagen 75,9% der Deutschen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt zurückgegangen ist. Dieser Punkt ist auch überhaupt nicht strittig, in allen Bevölkerungsgruppen, nach denen die Umfrage differenziert hat, beklagen das zwischen 67% und 85%. Noch vor wenigen Jahren wurde in Deutschland von einer „Solidargemeinschaft“ unserer Gesellschaft gesprochen. Diese Zahlen zeigen, dass das inzwischen sicher nicht mehr zutrifft. Der Sozialstaat, der der Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken sollte, hat inzwischen auf ganzer Linie versagt.

Und wenn man sich die Gründe für diese Entwicklung anschaut, kann man das als Gesellschaftskritik ansehen. Der von Medien und Politik propagierte „Individualismus“ führt dazu, dass die Menschen ihre eigenen Bedürfnisse über die Bedürfnisse der Gemeinschaft stellen, er führt zu Egoismus. Unglaubliche 90,4% der Deutschen sehen in der Tatsache, dass „Egoismus mehr gilt, als Solidarität“ den Grund für den „schwindenden Zusammenhalt der Gesellschaft.

Ein weiteres Problem ist die „Ghettobildung“, so will ich es mal nennen. Dadurch, dass der Preis für Wohnraum sich inzwischen so entwickelt hat, dass die verschiedenen Einkommensschichten auch geografisch getrennt leben, bleiben die „Schichten“ unter sich. Die Umfrage stellt fest, dass 66,4% als Grund für den „schwindenden Zusammenhalt“ der Gesellschaft angeben, dass die „Schichten“ nur noch „wenig zusammenkommen„.

Und obwohl Medien und Politik uns die Globalisierung mit aller Macht als etwas ganz tolles verkaufen wollen, sehen 57,2% der Menschen in der Globalisierung einen Grund für den „schwindenden Zusammenhalt“ der Gesellschaft. Und 49,3% sehen den Grund in den „zu vielen Zuwanderern„. Bemerkenswert hierbei ist, dass ausgerechnet Menschen mit Migrationshintergrund dieser These mit 60,1% weit mehr zustimmen, als Menschen ohne Migrationshintergrund.

Allerdings ist die Zuwanderung ein wichtiges Thema, denn bei der Frage nach der Wahrnehmung sozialer Konflikte steht der Konflikt zwischen den Unterstützern und den Gegnern der Zuwanderung mit weitem Abstand mit 90,3% auf dem ersten Platz. Auf Platz zwei folgt mit 72% der Konflikt zwischen Arm und Reich, was wieder all meine Ausführungen über die Spaltung in Deutschland bestätigt. Der Konflikt zwischen Ost- und Westdeutschen zum Beispiel liegt mit 38,2% nur auf Platz vier.

Man sieht, dass die Umfrage ein sehr trauriges Bild der Lage in Deutschland zeichnet. Aber im Spiegel war die Umfrage der Redaktion nur sechs kurze Absätze wert, in denen der Leser de facto keinerlei Informationen bekommen hat. Außer der Tatsache, dass weniger als 50% der Deutschen mit der Demokratie in Deutschland zufrieden sind, hat der Spiegel-Leser nichts erfahren. Kein Wort über die Gründe und Details.

Was der Spiegel auch verschwiegen hat, steht am Ende der Umfrage im letzten Kapitel:

“ Unsere Umfrage hat ergeben, dass im Frühjahr 2019 nur noch eine Minderheit von 46,6 Prozent der wahlberechtigten Staatsbürger_innen mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland zufrieden war. Dies ist ein deutlicher Rückgang gegenüber dem Durchschnittswert von etwa 60 Prozent, den die Demokratiezufriedenheit nach der deutschen Einheit (im Zeitraum 1991 bis 2017) erreichte. „

Die Tendenz ist also erschreckend und das obwohl die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre gut war. Das bestätigt wieder die These, dass die Hurra-Meldungen aus Politik und Medien über das „reiche Deutschland“ und die „wirtschaftlichen Erfolge“ der letzten Jahre nichts mit der Lebensrealität der Menschen im Lande zu tun haben.

Ich muss ganz ehrlich sagen, dass mich das ein wenig an die letzten Jahre der DDR erinnert. Dort haben die Medien auch nur die Parolen über „Erfolge“ verkündet, heute sind das die Parolen vom „reichen Deutschland“ und dem „Wirtschaftswachstum“. Über die Probleme wurde in der DDR nicht berichtet und auch der Spiegel hat hier in einem sehr kurzen Artikel über eine interessante Umfrage die wirklichen Probleme, die die Umfrage aufzeigt, also die Spaltung der Gesellschaft und die Frustration und Perspektivlosigkeit der „kleinen Leute“, nicht einmal erwähnt.

Aus vielen Gesprächen mit „Ossis“, die die Wende bewusst miterlebt haben, weiß ich, dass viele von denen sich inzwischen an damals erinnert fühlen und dass die „Berichterstattung“ der „Qualitätsmedien“ sie stark an „Aktuelle Kamera“ und „Schwarzen Kanal“ erinnert.

Artikel, wie dieser im Spiegel, unterscheiden sich tatsächlich nicht mehr davon. Ende der 1980er Jahre bemerkten 70-80% der DDR-Bürger im Alltag, dass die Nachrichten nicht mehr zum täglichen Erleben passten. Die gleiche Tendenz sehen wir heute auch in Deutschland. Ob Politik und Medien wohl etwas ändern? Oder braucht es wieder Montagsdemonstrationen, wie 1989 in Leipzig, damit sich etwas ändert?

Hoffnung habe ich aber ehrlich gesagt nicht, denn das Beispiel der Gelbwesten hat gezeigt, dass die westlichen Demokratien solche Demonstrationen mit einer Kombination aus langem Atem, verschärftem Demonstrationsrecht und massiver Polizeigewalt aussitzen.

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

10 Antworten

  1. „Hoffnung habe ich aber ehrlich gesagt nicht, denn das Beispiel der Gelbwesten hat gezeigt, dass die westlichen Demokratien solche Demonstrationen mit einer Kombination aus langem Atem, verschärftem Demonstrationsrecht und massiver Polizeigewalt aussitzen.“
    Du hast etwas übersehen: Die Stille vor dem Sturm.
    In einer Hinsicht hat Marx mit seinem dialektischen Hokuspokus Recht: „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“ Es steckt etwas in der menschlichen Natur, was auf einmal zum Umschalten führt: von Angst auf Rebellion. Beispiel Trump.
    Die Geschichte ist voll von Rebelionen – hat schon Platon festgestellt. Das Problem ist was anderes. Was danach? Der Kommunismus hat versagt, was nicht bedeutet, der Kapitalismus war gut. Nein. Aber der Kapitalismus wird nur dann verschwinden, wenn eine bessere Idee für die Organisation der Gesellschaft („soziale Ordnung“) entdeckt wird.
    Mein Standpunkt: Denken wir über was Neues. Die Massen werden irgendwann (ohne uns!!!) rebellieren. Und dann sollte man für sie was im „Angebot“ haben: eine neue gute Theorie. Sonst war alles umsonst.
    Das mit dem dialektischen Hokuspokus von Marx, man soll einfach TUN, die Theorie kommt dann alleine, hat sich diskreditiert – war in der Tat ein Unsinn.
    Keynes hatte Recht:
    „Ich bin überzeugt, dass die Macht erworbener Rechte im Vergleich zum allmählichen Durchdringen von Ideen übertrieben ist. Diese wirken aber nicht immer sofort … Aber früher oder später sind es Ideen, und nicht erworbene Rechte, von denen die Gefahr kommt, sei es zum Guten oder zum Bösen.“

    1. Zugabe (und dann bin ich weg)
      „Es gibt nur zwei Mächte in der Welt: das Schwert und den Geist. Auf die Dauer wird das Schwert immer durch den Geist besiegt.“
      Napoleon Bonaparte
      Auch noch sagte er:
      „Mit dem Schwert lässt sich vieles tun, man kann aber nicht auf ihm ruhig sitzen.“

    2. Für den Anfang geht es ohne Marx, Engels, Lenin und Keynes.
      Viel würde sich schon mit einer echten unabhängigen Justiz (Weisungsrecht des Justizministers abschaffen) und einer eng ausgelegten Immunität im Dienstverhältnis ändern.
      Zu diesem Dienstverhältnis zähle ich auch Parlament und Regierungsriege.

      Stärkung des Parlaments durch ein Verbot von Koalitionen. Das Regieren wird dann echte Fleißarbeit, „Zum Wohle des Volkes“ steht ganz oben.
      Das Parlament muss wieder ein Abbild der gesellschaftlicher Realität werden. Kein zwischen parken von Beamten.
      Die Ministerien gehören in die Hände von Fachleuten. Das erspart uns Mrd.-Gräber wie S21 oder Flughafen, Bundesbahn oder Bundeswehr.

      Kurz gesagt muss das Volk die Zügel straffer ziehen und nicht umgekehrt!

      Noch etwas zu deiner These bezüglich des Kommunismus. Er ist ein Traum von einer Gesellschaft für die die jetzigen Gesellschaften nicht bereit sind denn um den Kommunismus überhaupt andenken zu können muss sich der Mensch an sich schon grundlegend ändern und die Macht des Kapitals muss gebrochen werden. Deshalb ist es eben ein Traum.

      Die Vorstufe ist der Sozialismus, der in unterschiedlicher Prägung bereits vorhanden ist. Wirklich beurteilen lässt er sich nicht weil er sich nie frei entfalten konnte. Viele äußere Einflüsse Forschung-Entwicklungs -und Wirtschaftsembargos verzerren das Bild.
      Ich bin der festen Überzeugung das ein gemeinsames Ziel viele Dinge ebenso voranbringen können.
      Ein Nebeneffekt wäre der Produktionsrückgang weil nicht mehr auf Halde produziert werden muss. Nur Eigenbedarf plus Tauschware (int. Handel) für Waren die man nicht selbst hat oder herstellen will/kann.
      Das würde sich auch positiv auf die Personalbedarfsentwicklung auswirken. Soweit die Theorie:)
      Größtes Problem entsteht wohl durch Machtverschiebung beim Kapital. Also das Kapital muss dienen und nicht wie jetzt.

      Und genau hier beim Nachdenken über Sozialismus/Kommunismus sehe ich auch das Spannungsfeld Ost/West.
      Der Irrglaube des Westens – 16 Mio DDR Bürger die gemäß West Propaganda Blase notleidend, unterdrückt, eingesperrt und bespitzelt wurden, müssten nun wo sie Demokratie und Rechtsstaat erleben können, dankbar sein und jede Demütigung, jeden Betrug, jede Ungerechtigkeit klaglos hinnehmen. Genau das tun die Arbeitsscheuen, Ungebildeten, Unflexiblen, Abgehängten und Nazis nicht.
      Die Arbeitsscheuen sind zum größten Teil die fleißigen Gestalter der DDR gewesen und nun genau so wohlverdiente Rentner wie die im Westen. Die Ungebildeten sind die Opfer von 30 Jahren experimenteller Bildungspolitik und der Streichung im Sozialbereich. Die Unflexiblen betrachten ihre Heimat als Basis für Wohlbefinden und sozialer Verantwortung für die Vorgängergeneration. Die Abgehängten sind entsorgtes Humankapital für die eine Gesellschaft Antworten finden muss und nicht H4. Die Nazis, die es sicher gibt, fühlen sich in Ost und West wohl. Das neuerdings gesellschaftlicher Widerspruch gleich Nazi bedeutet betrachte ich als Erziehungsmethode der angeblichen Demokraten.
      Vieles im damaligen Osten darf zu recht kritisiert werden aber Kritik ist etwas anderes als Verachtung, Beschimpfung u.a.

      Wer de Wählerwillen missachtet muss sich über die Folgen nicht wundern. Wer sich vom Volk entfernt muss es auch nicht mehr abholen. Wer glaubt, das ein Meinungsdiktat gesellschaftliche Probleme löst
      benimmt sich nicht wie ein Demokrat sondern wie ein Diktator. Wer all das hinnimmt ist dann eben das Lamm das widerstandslos zur Schlachtbank geführt wird. Und als Lämmer sehe ich die Menschen im Osten nicht.
      Das Ergebnis der Ignoranz gegen das Volk welches man regieren wollte sieht man eben in den Umfragen.

  2. „Die Umfrage hat nämlich ergeben, dass die Deutschen Demokratie wollen, nur sie haben in der Mehrheit den Glauben an die Demokratie verloren, wie sie derzeit in Deutschland umgesetzt wird.“

    Du erinnerst dich – das war nicht nur in der DDR so -, dass auch damals allgemeine Meinung war: Der Kommunismus ist gut, er ist nur nicht richtig umgesetzt. Natürlich hatten die Menschen keinen blassen Schimmer darüber, was sie mit der „richtigen Umsetzung“ gemeint haben. Auch haben die Menschen geglaubt, dass der Kommunismus „das Ende der Geschichte“ wäre. Exakt so denkt heute die „Masse“ über die Demokratie. Es war immer so mit „dem Ende der Geschichte“: Bei den feudalen Fürsten – und ihrem Volk -, römischen Machthabern – und ihrem Volk -, ägyptischen Pharaonen – und ihrem Volk, das die Pyramiden baute -, … Warum das Unsinn sein muss?

    Als vor einem Jahrhundert die Revolution in der Physik stattgefunden hat, kein „alter“ Physiker wollte an sie glauben. Die Newtonsche Mechanik sollte „das Ende der Geschichte“ sein. Das mathematische System der Bewegungsgesetze von Newton, das partikel–mechanische Modell der Natur, schien die große Weltformel zu sein, die das Mysterium enträtselt, wie Gott die Welt erschuf. Deshalb ist es leicht verständlich, warum Alexander Pope drei Jahre nach Newtons Tod die Inschrift für sein eigenes Grab in Westminster Abbey erdachte: „Natur, Naturgesetze im Dunkeln sah man nicht, Gott sprach: Es werde Newton! Und es ward Licht.“ Auch der französische Mathematiker und Gelehrte Joseph–Louis Lagrange bemerkte damals in Bezug auf Newton pathetisch: „Er ist der Glücklichste, das System der Welt kann man nur einmal erfinden.“

    Oder das:
    Als der sechzehnjährige Abiturient Max Planck im Jahre 1874 darüber nachdachte, was er studieren solle, erbat er sich, der Physik zuneigend, den Rat einer Autorität auf diesem Gebiet. Die Empfehlung, die ihm vom Physik-Ordinarius Philipp von Jolly zuteil wurde, ließ diesen später in die Geschichte eingehen, denn er riet Planck von seinem Wunschfach ab mit der Begründung, hier sei schon fast alles erforscht, es müssten nur noch einige unbedeutende Lücken geschlossen werden. Nun wäre aus Max Planck auch ohne die Physik etwas geworden, denn er war vielseitig begabt. Der junge Klavier- und Orgelspieler erwog damals ernsthaft, Berufsmusiker zu werden. Der ihm erteilte Rat aber zeigt, wie leicht wir in der Wissenschaft dazu neigen, uns auf die Verwaltung von Wissen zu beschränken, gemütlich gewordene Positionen zu verteidigen und die wissenschaftliche Neugier einzuschläfern. Sicher, exzellente Wissenschaft braucht gute Ausstattung und Geld. Oft hindern uns jedoch weniger mangelnde finanzielle Ressourcen als vielmehr intellektuelle Bequemlichkeit, Dogmatismus und fehlende Vorstellungskraft daran, in innovative Gebiete und zu wissenschaftlicher Exzellenz vorzustoßen.

  3. „Oder braucht es wieder Montagsdemonstrationen, wie 1989 in Leipzig, damit sich etwas ändert?“
    Die gibt es schon. Jeden Montag in Dresden. Nur leider wurden sie mit der Nazi-Keule kleingeschlagen und obwohl jeder sich die Liveübertragungen ansehen kann, bleibt dieses erdachte Schreckgespenst bestehen.

    Zum Thema Koalitionsbildung: Wäre es nicht viel sinnvoller einfach soviele Parteien in den Bundestag zu setzen, bis mindestens 75% der Wählerstimmen in die Regierung eingebracht sind? Geordnet nach Wahlergebnis natürlich.

  4. Ich sehe in Deutschland eher eine Oligarchie. Horst Seehofer hat mal Folgendes gesagt. „Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt und diejenigen, die gewählt werden, haben nichts zu entscheiden.“. Das war erstaunlich ehrlich.
    Und was machen unsere Politiker? Sie benützen Begriffe wie: Strukturreformen, Reformwille, Bürokratieabbau, Deregulierung, Stabilitätspakt, Austerität, Euro-Rettungsschirm, freier Markt, schlanker Staat, Liberalisierung, Harmonisierung, marktkonforme Demokratie, Sozialneid, Leistungsträger etc. etc, Diese verstellen doch nur die freie Sicht auf die Wahrheit. Das genau ist aber so gewollt. Das ist lügen.

    1. Zu der Oligarchie gehört untrennbar Das was du selbst im 2. Absatz aufzählst. All das Gerede vom schlanken Staat, der sich zurückziehen soll und dem Markt die Regulierung überlassen soll ist nur die Umschreibung von „kümmere dich mit den Krümeln die wir dir hinwerfen um Die, die der Markt ausspuckt.“
      Ein Staat der so ausgeschlachtet wird kann seiner Aufgabe nicht mehr nachkommen geschweige einen Rahnen schaffen der der Macht des Kapital Grenzen setzt. Deshalb schrieb ich auch das der Mensch sich zu aller erst ändern muss, „vom ich zum wir“.

      1. „Vom ich zum wir“, genau darin besteht doch das Problem. Wurde etwa nicht der Individualismus, manchmal spricht man auch von der individuellen Selbstbestimmung, geradezu gepredigt?
        Nicht dass ich etwas gegen die Selbstbestimmung hätte. Ich begrüße sie geradezu wenn man sich als Individuum aus vorgefertigten traditionellen oder manchmal auch allzu engen familiären oder religiösen Strukturen lösen möchte. Doch sehe ich auch, daß der Spin in den letzten zwanzig Jahren vollkommen verdreht wurde. Irgendwie ist es gelungen einer eher säkularen Gesellschaft das katholische Schuldprinzip wieder aufzudrücken. Frei nach dem Motto: Du hast nicht genug Einkommen; ja irgendwie bist Du wohl selber schuld. Der Blick auf die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse wurde vollkommen verstellt und maßgeblich daran beteiligt sind natürlich die Medien, die diesem Mißstand eigentlich hätten nachgehen sollen anstatt ihm auch noch das Wort zu reden. Ich sehe nur gerade nicht wie dieser Zustand zu ändern wäre.
        Auch auf die Gefahr hin als Putin-Versteher zu gelten: Der gute Mann hat einmal geäußert, dass es den Medien (gemeint waren hier die westlichen Medien) gelungen sei Weiß für Schwarz und Schwarz für Weiß auszugeben. Ich bin einverstanden; so ist es gelaufen. Aber wie kommen wir aus dieser Nummer wieder raus? Ich sehe ja daß freie Medien unablässig die Verhältnisse kritisieren aber sie haben nun mal nicht die Macht. Also wie kann es gelingen der Mehrheit in diesem Land die offenkundig nicht zufrieden ist (gelinde gesagt) zur Macht zu verhelfen? Glaubt hier noch jemand dass Wahlen etwas ändern würden? Ich bin ratlos.

  5. Komme vom Artikel über LibMod der Marieluise Beck zu diesem Artikel, der an Aktualität nichts eingebüßt hat und auch sonst nichts vermissen lässt.
    Danke auch hierfür.

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