Corona oder nicht: Viele Russen fliegen weiterhin in den Urlaub

Wer glaubt, dass die Russen sich selbst den ganzen Tag mit Eigenlob übergießen, der liegt falsch. Am Sonntag hat ein Kommentator seinen Landsleuten in einer Deutlichkeit die Leviten gelesen, wie man es nur selten in einem Land erlebt.

Die Russen sind ein liebenswertes Volk, darum lebe ich seit über 20 Jahren in Russland. Sie sind emotional, offen, gastfreundlich, lustig, gesellig und… ein bisschen verrückt. Das kann die ganze Welt beobachten, wenn verrückte Videos über die Dummheiten oder auch den Fahrstil der Russen in sozialen Netzwerken viral gehen. Die Russen gehen bei minus 20 Grad im Fluss zum Eisbaden und machen viele andere – aus Sicht der meisten Nicht-Russen – mehr oder wenige verrückte Dummheiten.

Die Russen sind – auch wenn sie das nie zugeben würden – unverbesserliche Optimisten, die immer der Meinung sind, „mir passiert schon nichts“ und dann fröhlich manches Risiko eingehen. Was in Videos auf sozialen Netzwerken unterhaltsam ist, kann im richtigen Leben und in Zeiten einer Pandemie lebensgefährlich sein.

Während im Rest der Welt die Menschen ihre Urlaubsreisen verfallen lassen, lassen es sich viele Russen nicht nehmen, auch jetzt noch ins Ausland in den Urlaub zu fliegen. Das war dem Moderator der russischen Sendung „Nachrichten der Woche“ einen sehr bissigen Kommentar an die Adresse seiner Landsleute wert, den ich übersetzt habe, da er denen, die Russland nicht kennen, einen seltenen Blick in die russische Seele erlaubt.

Beginn der Übersetzung:

Ende 2004, am 26. Dezember 2004, erschütterte ein massives Erdbeben den Indischen Ozean. Dabei bewegten sich die tektonischen Platten, die etwa 50 Millionen Jahre still da gelegen hatten, auf einer Länge von anderthalb tausend Kilometern gleich um 15 Meter. In der Folge stieg eine riesige Tsunami-Welle auf. Eine Welle von mehr als 15 Meter Höhe traf die Küsten und nahm alles mit ins Meer: Autos, Gebäude, Bäume und natürlich Menschen. Es wird angenommen, dass dabei bis zu 300.000 Menschen getötet wurden. Die genaue Zahl ist unbekannt. Die Menschen – Einheimische und Urlauber – wurden einfach davon gespült. Diejenigen, die verletzt wurden, fanden, sie hätten noch Glück gehabt.

Aber selbst da flogen unsere Leute – die Russen sind wahrscheinlich die mutigsten oder eher die verrücktesten Urlauber der Welt – am Morgen nach dem Tsunami nach Thailand, auf die Ferieninsel Phuket, die wie kein anderer Ort der Welt unter dem Tsunami gelitten hatte. Ist das unsere Kultur oder ist es Kulturlosigkeit?

Und jetzt wieder. Die Coronavirus-Pandemie wütet in der Welt. Viele tausend Menschen wurden getötet. Hunderte von infizierten Russen bringen die Infektion nach Russland. Sie werden hier behandelt. Sie infizieren andere und setzen sie einem tödlichen Risiko aus. Ist das in Ordnung?! Warum handeln wir so? Immerhin appellierte die Chefin der russischen Verbraucherschutzorganisation, Anna Popova, im Februar mit einer klaren Bitte an alle Russen: „Um sich als geschützt zu betrachten, ist es notwendig, geplante Auslandsreisen so weit wie möglich zu reduzieren. Heute ist eine Zeit, in der man die Russische Föderation besser nicht verlassen sollte.“

Das war im Februar. Die Bitte wurde auch vom Außenministerium unterstützt. Aber jetzt wird das Außenministerium mit Anfragen nach dem Motto „helft uns, rettet uns!“ überschwemmt: Holt uns aus Marokko ab, wo wir Urlaub gemacht haben, aus Peru, wo wir uns erholen, und so weiter. Darüber hinaus wird das Außenministerium mit Forderungen überschwemmt, Länder, wohin unsere Leute immer noch in den Urlaub fahren, für Russen zu schließen. Der Grund ist, dass – solange Reisen erlaubt sind – Tickets nicht kostenfrei zurückgegeben werden können. Frei nach dem Motto: Wenn Ihr die Reise nicht verbietet, fliegen wir trotz Coronavirus, schließlich haben wir ja dafür bezahlt.

Hören Sie, jetzt leiden viele, viele Millionen Menschen auf der ganzen Welt unter der Pandemie und viele gehen gerade bankrott. Für einen Russen, zum Beispiel einen Kleinunternehmer, ist das Coronavirus auch nicht gerade eine gute Nachricht. Und unsere Leute, die im Ausland entspannen wollen, weil sie das Ticket ja schon gekauft haben, glauben, dass das moralisch zulässig ist in Bezug auf Ärzte und Krankenschwestern, die sie danach behandeln müssen. Moralisch zulässig gegenüber ihren Nachbarn und Freunden, die sie ebenfalls gefährden können, gegenüber ihren Kollegen, die an ihrer Stelle arbeiten müssen, während sie zu Hause unter Quarantäne gestellt werden. Ist das auch eine Frage der Kultur, oder was?

Es ist jetzt wichtig, dass jeder die Realität der Gefahr erkennt und wir müssen alle gemeinsam handeln. Und überhaupt: Warum sollte man sich irgendwo weit weg von zu Hause wiederfinden wollen, denn in jedem Land haben die Fremden in einer Krise sicherlich keine Priorität bei der Hilfe. Das liegt in der menschlichen Natur. Und es ist eine Frage der Kultur, ob man die Fähigkeit hat, all dies zu verstehen.

Nehmen wir nur die Geschichte mit Montenegro. Die Regierung dieses malerischen Landes weigerte sich, ihre Bürger aus Russland zu holen und beschloss stattdessen, eine große Gruppe von Russen dort als Geiseln zu nehmen. Sie wollten sie nicht mit dem Flugzeug nach Russland fliegen lassen, solange Russland nicht die Montenegriner aus Russland nach Montenegro gebracht hätte. Die offizielle Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, konnte sich nur mit Mühe beherrschen: „Das sollte eine Lektion für alle sein, denn in einem für die ganze Welt schwierigen Moment verhält sich das Land unverantwortlich. Es verhält sich nicht, wie – verzeihen Sie – wie ein Staat, sondern wie… wie… eine Art Struktur. Das sollte ein Beispiel dafür sein, wie man nicht handeln darf.“

Und sie waren doch gewarnt worden, dass sie die Heimat nicht verlassen sollten. Und vor uns liegt der Frühling. Das ist wie bei Tschernomyrdin (Anm. d. Übers.: Premierminister in Russland in den 1990er Jahren): „So was ist ja noch nie passiert, aber nun schon wieder.“ Oder nehmen wir unsere Eisfischer in der Nähe von Petersburg oder in Chabarowsk oder auf Sachalin, die auf Eisschollen gehen, um unter der Frühlingssonne zu angeln. Auch sie werden gewarnt, man sagt ihnen, geht nicht hinaus, das Eis kann ins Meer treiben. Aber sie stehen auf dünnem Eis in ihren Stiefeln und sind so mutig. Und dann, wenn die Eisscholle abbricht, sind sie sofort im Notfall-Modus. Nach dem Motto: „Wie jetzt? So ein Ärger, wie konnte das passieren?!“ Dann kommen Hubschrauber und TV-Kameras zu ihnen. Und das ganze Land bangt um sie und fühlt mit ihnen. Sie sind abgetrieben, haben einen Tag lang nichts gegessen und werden dann mit dem Helikopter nach Hause geflogen. „Das sind Helden“. Das ist sie, die Stärke unserer Kultur. Dabei ist es in Wahrheit eine Schande! Und mit dem Coronavirus ist es noch schlimmer. Schließlich kommen sie infiziert nach Hause. Es ist Zeit, dass wir unseren Stil ändern.

Ende der Übersetzung

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

8 Antworten

  1. Hier soll es nicht um einen Virus gehen. Hier soll es um Geld gehen, sogar um sehr viel Geld. Überall reden Leute, sie wollen nicht nur Toilettenpapier kaufen, sondern sich auch etwas Geld zu Hause hinlegen. Ich kann das gar nicht glauben.

  2. Selbstreflektion ist eine gute Sache…Medienleute pauschalisieren gerne….
    Ich war Jahrzehnte aus beruflichen Gründen diesbezüglich viel unterwegs, habe aber immer relativ wenig der – egal welcher Nation – berüchtigten Touris getroffen, die hier in den Vordergrund gerückt werden.
    Die Sache hat ja immer mehrere Betrachtungsstandpunkte.
    Nehmen wir mal DE als Bezugspunkt. Wenn hier das auswärtige Amt nicht eindeutig eine Reisewarnung ausspricht – egal ob Krankheit oder Terror – kann der gemeine Touri auch nur auf eigene Kosten stornieren, verliert sein Geld und ist sauer oder er reist und findet oftmals Vorort andere Verhältnisse vor als in den MSM erzählt – so der IST-Zustand bei bisherigen „Katastrophen“.
    Im Übrigen versucht die dt. Regierung zur Zeit auch noch 200.000 Deutsche aus dem Ausland wieder nach Hause zu holen…..weiß nicht ob die Zahl der Russen höher ist… ich würde hier die Füße still halten und die „Nachricht“ tatsächlich nur so betrachten, dass dt. Medien für soviel Selbstkritik der Mut oder die Intelligenz fehlt… die typische dt. Selbstüberschätzung sagt aus, dass Deutsche & Deutschland immer viel besser als alle anderen sind, alles viel besser weiß und kann…. aber letztendlich ziemliche Nulpen sind.

  3. Der Russlandsprecher im Beitrag vom 22. 3. „Coronavirus in Russland: Aktuelle Lage und welche Maßnahmen die russische Regierung ergreift“, ärgert mich noch immer. Er versteht schlicht nichts von der EU. Die Grenzen wurden nicht aus nationalistischen Gründen geschlossen, sondern um die Übersicht über die Ausbreitung des Corona zu behalten. Für Grenzgänger die zur Arbeit gehen sind sie passierbar. Auch die Hilfsbereitschaft unter den Ländern ist gegeben. Mir gefiel zudem der spöttische Ton nicht. Vor kurzem wurde im TV das Gedränge in einer russischen U-Bahn-Station gezeigt, nein so gescheit ist das alles nicht.

    1. Wie kann ein Land die „Übersicht“ behalten wenn es trotz geschlossener Grenzen weitere unkontrollierte Einreisende gibt? Flugzeuge, die aus – auch besonders – von Virus betroffenen Länder kommen, dürfen landen – die Passagiere werden NICHT bei Einreise überhaupt auch nur angehend untersucht, in Quarantäne gesteckt oder überhaupt notiert…
      Welche Hilfsbereitschaft unter EU-Ländern meinen Sie? Da kann sich kein Land selber helfen – siehe flächendeckend den schon vor Jahren abgebauten „Gesundheitssektor“, in DE wurden rd. 20% der KH geschlossen und Intensivbetten reduziert….
      In Moskau geht man noch arbeiten – solange man hier in DE das auch noch tat, waren die ÖPNV – Mittel genau so voll….
      P.S. Die EU war schon immer die Verlängerung des 2.WK – nur mit anderen Mitteln und DE wollten da der Oberkasper sein…. ;o))

      1. Das Wichtigste; Deutschland ist nicht die EU, es ist ein Land von vielen.
        Die Schweiz zB. nimmt schwer Krake aus dem Elsas auf. Jedes Land macht es ein wenig anders. Und ich behaupte gut. Viele Menschen kritisieren nun die Regierungen, sie hätten dies und das tun sollen, sie hätten zu spät reagiert. Aber hätten sie früh reagiert wäre es auch nicht recht gewesen. Die Wirtschaft die Wirtschaft, oder meine Freiheit meine Rechte… Das ist das Los der Politik, sie wird immer kritisiert. Mein geäusserter Unmut ist auf den russischen Sprecher bezogen nicht auf das was Russland oder ein anderes Land tut. Die Bürger egal wo sollten aber ein wenig Verantwortung haben und zumindest die Weisungen befolgen.

        1. Ihr „Unmut“ liegt eventuell an Ihnen? Ich fand den Sprecher nicht „spöttisch“…
          DE ist ein Land der EU – man wollte doch so gerne die Vereinigten Staaten von Europa – ist ’ne schwache Kür wenn man ständig hin und her schwankt weil nichts passt…

  4. Die Menschen sind so. Was soll mir schon passieren? In Russland nennt man das Russisch Roulette. Das kann man auf viele Lebensbereiche anwenden. In Deutschland könnte man sagen, wenn man aus dem 20. Stock eines Hochhauses springt und an der ersten Etage der Schwerkraft folgend vorbeifliegt: 19 Stockwerke ist alles gut gegangen, was soll denn jetzt noch schief gehen? So sind wir…

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