Drei Präsidenten in 8 Tagen – Was ist in Peru los?

Die Regierungskrise in Peru wird von anderen Meldungen weitgehend überdeckt, aber da Unruhen in südamerikanischen Ländern wie Venezuela, Chile oder Bolivien im letzten Jahr immer Schlagzeilen gemacht haben, finde ich einen Blick nach Peru interessant.

Zugegeben ist Südamerika nicht meine Kernkompetenz, daher war ich auf meiner Suche nach Informationen über die Lage in dem Land froh, eine neutrale Einschätzung zu finden. Die russische Nachrichtenagentur TASS hat ein großes Netzwerk aus Korrespondenten und Experten für alle Regionen der Welt und eine dieser Expertinnen hat einen ausführlichen Bericht über die Lage in Peru geschrieben, den ich für alle Interessierten übersetzt habe.

Beginn der Übersetzung:

Drei Präsidenten in acht Tagen – Warum Peru so oft das Staatsoberhaupt wechselt

In Peru hat der Mitte-Rechts-Kandidat Francisco Sagasti das Präsidentenamt übernommen. Stunden vor der Amtseinführung versprach der erfahrene 76-jährige Politiker, der wegen seiner äußerlichen Ähnlichkeit mit Cervantes‘ Charakter „Don Quijote“ genannt wird, Vertreter einer Vielzahl politischer Kräfte in seine Regierung einzuladen. Auf diese Weise hofft er, der schlimmen politischen Krise ein Ende zu setzen und das von Protesten erschütterte Land zu beruhigen.

Sagasti, ein konsequenter Vertreter gemäßigter Ansichten, wurde zu einem Kompromisskandidaten, dessen Ernennung ins höchste Staatsamt sowohl die Führer der größten peruanischen Parteien als auch die breiten Öffentlichkeit zustimmt. Allerdings traut sich niemand vorherzusagen, wie lange dieser Zustand andauern wird. Der Vorgänger des amtierenden peruanischen Staatschefs war weniger als einer Woche im Amt. So wurde das südamerikanische Land unter Berücksichtigung aller Verfahrenspausen in den acht Tagen vom 9. bis zum 17. November von drei verschiedenen Präsidenten geführt.

Zwei Amtsenthebungen und eine Reihe von Rücktritten

Politische Instabilität ist in Peru bereits zur Tradition geworden. In den letzten fünf Jahren vor Sagastis Amtsantritt hatte das Land vier Präsidenten. Nur einer von ihnen hat sein Amt wegen des regulären Endes der Amtszeit verlassen. 2018 entließ das Parlament den damaligen Präsidenten Pedro Pablo Kuczynski und seitdem haben Machtwechsel in Peru nur noch unter außergewöhnlichen Umständen stattgefunden. Diese Situation war in erster Linie der permanenten Konfrontation zwischen dem legislativen und dem exekutiven Zweig des Staates geschuldet, während das Staatsoberhaupt keine Mehrheit unter den Abgeordneten hatte.

Nach Kuczynskis Amtsenthebung übernahm Martín Vizcarra, der zuvor Vizepräsident war, gemäß Verfassung die Präsidentschaft. Etwas mehr als zwei Jahre vergingen, und die gleiche Geschichte, die seinem Vorgänger widerfuhr, wiederholte sich mit ihm. Anfang November 2020 stimmte ein dem Präsidenten feindlich gesinntes Parlament dafür, Vizcarra wegen seiner „moralischen Unfähigkeit“ das Land zu führen, vom Posten des Staatsoberhauptes zu entfernen. Der Grund für das Amtsenthebungsverfahren waren Korruptionsvorwürfe: Angeblich hat er vor einigen Jahren, während er Gouverneur des Departements Mokegua war, beim Abschluss von Verträgen über den Bau von zwei Infrastruktureinrichtungen ein Bestechungsgeld in Höhe von 2,3 Millionen peruanischen Nuevo Sol (über 630.000 US-Dollar) erhalten.

Vizcarra war ein populärer Präsident und die Anschuldigungen gegen ihn haben viele Peruaner nicht überzeugt. Die Bürger des Landes hatten auch Zweifel an den wahren Motiven der Initiatoren des Amtsenthebungsverfahrens, da in den letzten Monaten viele der Abgeordneten, die das Staatsoberhaupt abgesetzt hatten, selbst in Korruptionsprozesse verwickelt wurden. Es begannen tägliche Proteste im Land, die in Zusammenstößen mit der Polizei eskalierten.

Ein weiteres Ärgernis war die Identität des Mannes, der nach Vizcarras Abgang Präsident wurde. Gemäß der Verfassung gingen die Aufgaben des Staatsoberhauptes an den Präsidenten des Parlaments, Manuel Merino, über, einen wohlhabenden, aber ungebildeten Vertreter der Agrarwirtschaft, der sich bei seinen Ernennungen ins Kabinett ausschließlich von persönlicher Loyalität und persönlichen Sympathien ihm gegenüber leiten ließ. Ihm ist es nicht gelungen, politische Flexibilität zu demonstrieren, um die unzufriedenen Mitbürger zu besänftigen.

Der Point-of-no-Return für die Merino-Regierung war der Tod von zwei Demonstranten während des gewaltsamen Vorgehens der Polizei gegen eine Demonstration. Die Empörung im Land erreichte ein solches Ausmaß, dass 13 der 18 Minister der neuen Regierung sich für einen Rücktritt entschieden. Die Abgeordneten forderten Merino unter Androhung eines weiteren Amtsenthebungsverfahrens auf, seinen Posten zu verlassen. Dieser Forderung schlossen sich Vertreter von Lokalregierungen an, die dem Präsidenten den Gehorsam verweigerten. Am 15. November kündigte Merino unter öffentlichem Druck seinen Rücktritt an und rief die Peruaner „zu Frieden und Einheit“ auf. Darüber hinaus erklärten der Interimspräsident des Parlaments, Luis Valdez, und seine Stellvertreter ebenfalls ihre Rücktritte.

Präsident für ein halbes Jahr

Nach Vizcarras Amtsenthebung und Merinos Rücktritt entstand in Peru ein Machtvakuum. Am Wochenende gelang es dem Parlament nicht, den Vertreter der linken Partei „Breite Front“, Rocio Silva Santisteban, zum Präsidenten zu ernennen, dessen Kandidatur zuvor von den Führern der größten politischen Kräfte des Landes beschlossen worden war. 18 Stimmen fehlten für seine Ernennung. Diese Situation wurde vom venezolanischen Präsidenten Nicolas Maduro, den frühere peruanische Regierungen wiederholt wegen Verletzung der Menschenrechte und der Grundsätze der Demokratie kritisiert hatten, ziemlich deftig kommentiert. Er schlug vor, seinen Hauptgegner, den Oppositionsführer Juan Guaido, der sich Anfang 2019 zum venezolanischen Staatschef erklärt hatte, zum Staatschef Perus zu machen.

„Es scheint, dass niemand dort die Aufgaben des Präsidenten übernehmen will. Wir können ihnen Guaido schicken, soll er sich doch zum Präsidenten Perus erklären. Wie gefällt Euch das? So wird sein Traum vom Einzug in den Präsidentenpalast endlich wahr, denn hier hat er keine Chance“, sagte Maduro. Er fügte jedoch sofort hinzu, dass das ein Scherz war.

Einen Tag nach Maduros beleidigenden Äußerungen und noch schärferer Kritik aus der Gesellschaft fand das peruanische Parlament einen Kompromiss und wählte Sagasti zum neuen Staatsoberhaupt. Diese Entscheidung kam bei der peruanischen Gesellschaft gut an. „Sagasti hat zwei wichtige Eigenschaften. Erstens wurde ihm nie Korruption oder dergleichen vorgeworfen. Und zweitens ist er Mitglied der Mitte-Rechts-Partei Violet, deren Fraktion die einzige ist, die geschlossen gegen die Amtsenthebung von Vizcarra gestimmt hat. Das ist positiv: Der Präsident hat nichts mit dem, was passiert ist oder mit Korruption zu tun“, sagte Farid Kahhat, Dozent an der Diplomatischen Akademie Perus und Politikwissenschaftler gegenüber TASS.

Sagasti wird für kurze Zeit, etwas mehr als sechs Monate, das höchste öffentliche Amt bekleiden. In Peru sollen bereits im April 2021 reguläre Präsidentschaftswahlen und im Juli die Machtübergabe vom derzeitigen Staatschef an den gewählten Staatschef stattfinden. Sagasti wird im April unter keinen Umständen für das Amt des Staatsoberhauptes kandidieren können, weil in Peru die Wiederwahl für eine zweite Amtszeit in Folge untersagt ist.

Mit anderen Worten, der Wahlkampf wird das Staatsoberhaupt nicht davon ablenken, die Ausbreitung der Pandemie zu stoppen und das Land zum Wirtschaftswachstum zurückzuführen.

Das erwarten jetzt fast alle seine Mitbürger von Sagasti. Einschließlich derjenigen, die in den letzten Tagen auf den Straßen der peruanischen Städte protestiert haben, um den Rücktritt von Merino zu erreichen, und damit den neuen Präsidenten an die Macht gebracht haben.

Eine Fortsetzung des „Lateinamerikanischen Frühlings“?

Viele Beobachter sind daran gewöhnt, die politischen Konfrontationen in Lateinamerika durch das Prisma der Kämpfe zwischen Rechts und Links zu sehen. Im Falle der politischen Krise in Peru stand dieses Thema aber nicht einmal in der zweiten Reihe, sondern sehr viel weiter hinten. Trotz der Tatsache, dass Merino, mit dem das Volk unzufrieden war, konservativere Ansichten vertritt als Sagasti, der ihn ersetzt, konnten nur rechtsextreme Konspirologen in den aktuellen Demonstrationen einen ideologischen Hintergrund erkennen.

Dennoch ist die Situation in Peru schwer zu analysieren, ohne die Protestwelle zu berücksichtigen, die Ende 2019 über eine Reihe benachbarter Staaten hinweggefegt ist. Tausende von Kundgebungen in Ecuador, Bolivien und Chile, die unterschiedliche Gründe hatten, offenbarten trotzdem die angestaute öffentliche Unzufriedenheit in diesen Ländern, deren Ausbruch einige Experten als „lateinamerikanischen Frühling“ bezeichnet haben (Oktober und November sind auf der Südhalbkugel die Frühlingsmonate).

Ein Jahr später führten die Auswirkungen der Pandemie und der Wirtschaftskrise zu verstärkten Protesten in Peru. „Es ist schwer zu glauben, dass die Wirtschaft und die Gesundheitssituation aufgrund von Corona keine psychologischen Faktoren waren, die die Unzufriedenheit verschärft haben. Peru ist eines der Länder, die am stärksten von der ersten Welle der Pandemie betroffen waren, wenn man die Zahl der Todesfälle auf hunderttausend Einwohner als Maßstab nimmt. Hier wurden härteste Quarantänebeschränkungen und Ausgangssperren verhängt. Aber die Regierung hat keine Mittel bereitgestellt, die es Menschen mit niedrigem Einkommen ermöglichen würden, zu Hause zu bleiben“, sagte Kahhat.

Oscar Vidarte Arevalo, Dozent an der Päpstlichen Katholischen Universität Peru, glaubt wiederum, dass die Situation in dem südamerikanischen Land zwei Dimensionen hat. „Man kann sie im Hinblick auf das analysieren, was in Peru mit seinen nationalen Besonderheiten geschieht: schwache staatliche Institutionen, eine mittelmäßige Entwicklung der Demokratie und der vierjährige Konflikt zwischen Exekutive und Legislative. Man kann das Thema auch in einem regionalen Kontext betrachten, vor allem im Zusammenhang mit den Geschehnissen in den Andenländern. Wir sehen eine erhebliche Instabilität in diesen Republiken, eine Schwächung des Staates aufgrund der Wirtschaftskrise, der Gesundheitskrise sowie Kritik der Bevölkerung an der Regierung“, sagte er gegenüber der TASS.

„Peru war wahrscheinlich das einzige Land in der Andenregion, das letztes Jahr nicht in diesen Sog gezogen worden ist. Bei uns kam das etwas später, aber jetzt ist es da. Es gibt Kritik an den staatlichen Institutionen und sehr scharfe Kritik sowohl am politischen als auch am wirtschaftlichen System. Wie zum Beispiel in Chile beginnt man in Peru, eine neue Verfassung zu fordern“, erklärte der Experte.

Im Rennen führt ein Fußballer

Bei der Präsidentschaftswahl in fünf Monaten scheint es in Peru einen wachsenden Wunsch nach neuen Gesichtern anstatt Systempolitikern zu geben, die nicht mit einflussreichen traditionellen Parteien verbunden sind. Jüngsten Meinungsumfragen zufolge führt ein eher unerwarteter Kandidat im Wahlkampf. Es handelt sich um den ehemaligen Nationalspieler George Forsyth, der auch für den peruanischen Verein Alliance Lima und den italienischen Atalanta gespielt hat. Laut Ipsos sind 19 Prozent seiner Landsleute bereit, in der ersten Runde der Wahlen für den 38-jährigen Ex-Torhüter zu stimmen, das ist fast dreimal mehr als jeder andere Anwärter auf den Spitzenposten aufweisen kann.

Auf dem Höhepunkt der aktuellen politischen Krise gehörte Forsyth zu denen, die das Parlament kritisiert und Vizcarras Amtsenthebung als „verschleierten Staatsstreich“ bezeichnet haben. Gleichzeitig forderte er seine Mitbürger auf, wegen der Gefahr, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, nicht an Demonstrationen teilzunehmen. Es ist möglich, dass diese pragmatische Position den Umfragewerten des Ex-Fußballers schaden wird – zu viele Peruaner vereint in diesen Tagen ein Gefühl der bürgerlichen Identität und Solidarität mit den Demonstranten. Nach ersten negativen Reaktionen musste Forsyth seine Meinung schnell anpassen und erklären, dass die Menschen in der aktuellen Situation allen Grund zum Protest hätten.

Ende der Übersetzung

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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