Putin im O-Ton über die Rolle der Oligarchen im heutigen Russland und über „Staatskapitalismus“

In dem Interview, das Putin der TASS zum 20 Jahrestag seiner ersten Präsidentschaft gegeben hat, ging es auch um die Rolle der Oligarchen im heutigen Russland und um die Frage, ob es in Russland zu viele staatliche Unternehmen gibt.

Vor allem die Frage der staatlichen Unternehmen fand ich interessant, denn Russland wird vom Westen immer wieder vorgeworfen, dass der russische Staat eine zu große Rolle in der Wirtschaft spielt. Im Westen gilt die Privatisierung von staatlichem Eigentum als das Rezept der Wahl, in Russland hingegen nicht. Die Antworten Putin auf die Fragen dazu fand ich interessant, daher habe ich sie übersetzt, so wie ich auch schon andere Teile des Interviews über Russlands Verhältnis zur Ukraine, über Chodorkowski und die Wirtschaftssanktionen übersetzt habe.

Beginn der Übersetzung:

Vandenko: Staatskapitalismus.

Wladimir Putin: Ja.

Vandenko: Warum sind die heutigen Wirtschaftskapitäne besser als die Oligarchen der 90er Jahre? Weil Sie sie kennen und ihnen vertrauen?

Wladimir Putin: Ich kannte jeden, und ich kenne sie. Der Unterschied ist…

Vandenko: …dass Sie damals nicht Präsident waren.

Wladimir Putin: Nun, ich war Regierungschef und wurde im Jahr 2000 Präsident.

Vandenko: Ja.

Wladimir Putin: Ich kannte sie alle.

Vandenko: Und…

Wladimir Putin: … Und ich habe mit allen zusammengearbeitet.

Vandenko: Und…

Wladimir Putin: Nein, es geht nicht darum, jemanden in die Ecke zu drängen, es gibt etwas…

Vandenko: Aber so war es…

Wladimir Putin: Das ist nicht der Punkt. Wissen Sie, worum es ging? Man darf ihnen nicht erlauben, das Land zu regieren oder politische Entscheidungen zu beeinflussen. Es ist klar, dass damals und heute alle nach Wegen suchen, Lobbyismus zu machen und für ihre Interessen zu werben. Der Unterschied zwischen den 2000er Jahren, nun ja, oder zwischen den 90er Jahren und jetzt, besteht darin, dass sie die Entscheidungen des Staates bei innenpolitischen, wirtschaftlichen und sogar außenpolitischen Angelegenheiten direkt beeinflusst haben. Und Sicherheitspolitik ist wichtig. Die Chefs der heutigen Unternehmen genießen ein solches Privileg nicht.

Vandenko: Versuchen sie es denn?

Wladimir Putin: Ja, eigentlich nicht mehr. Sie erkannten, dass es unmöglich ist und mischen sich nicht mehr ein.

Vandenko: Haben Sie es ihnen erklärt?

Wladimir Putin: Sie kämpfen für ihre Interessen, beispielsweise wird jetzt das Thema der Öl- und Gaspreise für die Partner der Eurasischen Wirtschaftsunion diskutiert. Natürlich verteidigen die Firmenchefs ihre Position, das ist klar. Aber sie versuchen nicht, von innen heraus Einfluss zu nehmen, sie erklären nur ihre Position, argumentieren, wollen zeigen, dass sie Recht haben, aber es betrifft einen engen Teil ihrer praktischen Interessen. Nun, das ist nur natürlich.

Vandenko: Und die Tatsache, dass der Staat sich in den letzten Jahren so aktiv in die Wirtschaft einmischt? Dass diese Staatskonzerne, die gerade in den Jahren entstanden sind, als wir im Geld geschwommen sind, in der zweiten Hälfte der Nullerjahre?

Wladimir Putin: Das stimmt so nicht. Ja, es gibt unterschiedliche Berechnungen über den Anteil des Staates an der Wirtschaft. Einige meinen, dass es zu viel Staat in der Wirtschaft gibt, andere glauben, dass es ausgewogen ist. Und verschiedene Berechnungsmethoden bringen unterschiedliche Ergebnisse. (Anm. d. Übers.: Tatsächlich gehen die Schätzungen des Anteils von Staatsunternehmen an der russischen Wirtschaft weit auseinander)

Vandenko: Was denken Sie?

Wladimir Putin: Ich glaube, wir haben insgesamt eine ausgewogene Situation. Nur sieben oder acht unserer Top 20 Unternehmen haben eine staatliche Mehrheit, denke ich. Wenn ich mich hier um ein Unternehmen vertan habe, glaube ich nicht, dass es darauf ankommt. Aber es geht nicht darum, ob sie privat oder staatlich sind. Die Frage ist, wie sie arbeiten. Wenn sie wirklich kompetent arbeiten, mit Gewinn, für den Staat Einkommen generieren, dann stellt sich die Frage, ob die Privatisierung ein Selbstzweck ist, oder nicht? Nehmen wir zum Beispiel Kanada, ich habe mit einem Kollegen aus Kanada gesprochen, sie haben die Eisenbahn genommen und sie privatisiert. Und nun? Die Amerikaner haben sie gekauft. Sie haben es schon hundertmal bereut, sie verkauft zu haben. Man muss hier sehr vorsichtig sein und fundierte Entscheidungen treffen. Nebenbei sind die Unternehmen mit staatlicher Beteiligung die größten Steuerzahler in Russland, sowohl auf Bundesebene, als auch in den Regionen. Rosneft ist die Nummer eins. Dann kommt Gazprom. Dann ist da noch Lukoil. Dann ist da noch Tatneft, die Sberbank.

Vandenko: Aber Lukoil ist eine private Firma.

Wladimir Putin: Ja, darum geht es. Große Unternehmen sind die größten Steuerzahler.

Vandenko: Es gibt allgemein die Annahme, dass der Staat ein ineffizienter Eigentümer ist.

Wladimir Putin: Diese Annahme bedeutet nichts, wenn man sich nicht die konkrete Arbeit eines bestimmten Unternehmens ansieht. Ein allgemeiner Ansatz ist wie die Durchschnittstemperatur im Krankenhaus. (Anm. d. Übers.: „Die Durchschnittstemperatur im Krankenhaus“ ist eine gängige, russische Redewendung. Wenn man die Körpertemperatur in der Leichenhalle misst, also etwa 30 Grad und die Körpertemperatur auf der Infektionsabteilung, also etwa 40 Grad, dann kommt man im Schnitt auf ca. 36 Grad und alle sind gesund. Die Redewendung ist also gegen jede Art von Verallgemeinerungen gerichtet) Wie Sie wissen, wird dieses Argument sehr oft verwendet, wenn die Menschen zu Recht die Frage aufwerfen, warum im Durchschnitt alles gut ist, aber mir speziell und meinem Nachbar geht es schlecht. Der allgemeine Ansatz mag als Technik richtig sein, aber man muss jedes Mal jeden Fall separat anschauen.

Vandenko: Sie finden also nichts falsches an einer Reprivatisierung?

Wladimir Putin: Nein, ich sehe hier nichts Schreckliches, aber Sie wissen, es gibt verschiedene Meinungen…

Vandenko: Aber Yumashev, Ihr Berater, denkt anders.

Wladimir Putin: Nun, dafür ist er Berater, damit er seine Meinung sagt. Es gibt unterschiedliche Ansätze, unterschiedliche Standpunkte. Und der Entscheidungsträger muss jeden Standpunkt anhören, ich versuche, das zu tun. Hier ist ein weiteres Problem: Es gibt Vorwürfe gegen die Zentralbank, dass sie eine Menge von Finanzinstituten übernommen und dafür eine riesige Menge Geld ausgegeben hat, eine Menge Geld an die Aktionäre bezahlt hätte und so weiter. Aber sie zahlte nicht hauptsächlich an die Aktionäre, die Aktionäre haben fast nichts bekommen, sie zahlte den Bürgern das Geld aus, um Schäden durch die Sanktionen gegen Finanzinstitute abzuwehren. (Anm. d. Übers.: Früher gab es in Russland tausende Banken und Versicherungen, die meisten waren kleine, regionale Unternehmen, die finanziell instabil waren. Der Markt wurde vor einigen Jahren mit neuen Vorschriften bereinigt, damit die übrig bleibenden Banken und Versicherungen groß und stabil genug waren. Bei Bankenpleiten haben Menschen in Russland immer wieder Geld verloren. Und so hat die Zentralbank den Mark bereinigt und dabei stellte sich heraus, dass viele dieser kleinen Institute de facto pleite waren und deren Kunden mussten von der Zentralbank entschädigt werden.)

Aber der Punkt ist, am Ende… Ich weiß, dass die Leute jetzt schauen, mancher wird wütend werden und sagen „ich habe Geld verloren“. Aber die Zentralbank hat es getan, damit Millionen nicht geschädigt, sondern geschützt wurden. Damit schwache Finanzinstitute nicht unermesslich viel Geld bei der Bevölkerung einsammeln, wie es Baufirmen mit ihren Kunden getan haben, und dann wie üblich irgendwo in London verschwinden würden. (Anm. d. Übers.: Baufirmen haben in Russland früher Wohngebäude gebaut und die Menschen haben die Wohnungen schon in der Bauphase mit großen Rabatten kaufen können. Oft sind diese Baufirmen dann über Nacht verschwunden und das Geld der Menschen war weg, das Haus aber nur ein Rohbau. Solche Fälle gab es viele und am Ende hat oft der Staat die Bauten fertigstellen müssen. Aber das dauerte oft viele Jahre.) Deshalb war es einmal notwendig, diese Bereinigung durchzuführen, ob es schlecht ist, nun, das ist eine andere Frage. Nun hat die Zentralbank die Vermögenswerte dieser Finanzinstitute übernommen, aber nicht für immer. Sie wird sie nicht für immer behalten, sie werden saniert, konsolidiert und dann wieder auf den Markt gebracht. Das ist der Plan der Zentralbank und die Zentralbankchefin Nabiullina informiert mich regelmäßig über den Stand.

Vandenko: Apropos Gewinn. Wie kämpft Staat gegen die marktüblichen Gehälter von Top-Managern?

Wladimir Putin: Schlecht.

Vandenko: Nun, wenn die…

Wladimir Putin: Das ist schlecht, ich stimme Ihnen zu.

Vandenko: … eine Million pro Tag bekommen! (Anm. d. Übers.: Eine Million Rubel sind etwa 12.500 Euro)

Wladimir Putin: Ja, das stinkt mir, ich sage es Ihnen ehrlich.

Vandenko: Wladimir Wladimirowitsch… (Anm. d. Übers.: In Russland wird Putin nicht mit „Herr Präsident“ oder „Herr Putin“ angesprochen. Die förmliche Anrede in Russland besteht aus Vorname und Vatersname. Putins Vater hieß auch Wladimir, daher ist Putin Wladimir Wladimirowitsch, also Wladimir, Sohn von Wladimir. Das ist in Russland die förmliche Anrede)

Wladimir Putin: Ich werde darauf antworten, es ist nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht. Ich habe bereits mit denen darüber gesprochen. Was ist deren Antwort? Sie stellen auch eine große Anzahl ausländischer Spezialisten ein, sie arbeiten effektiv und sie sind etwas wert auf dem Markt, auf dem internationalen Arbeitsmarkt. Sie sind gezwungen, sie zu nehmen und ihnen das Gehalt zu zahlen, das ihre Dienste, ihre Arbeit auf dem internationalen Arbeitsmarkt kostet.

Wissen Sie, mit wem uns dasselbe passiert ist? Mit Piloten der zivilen Luftfahrt. Da ist jetzt dasselbe passiert. Die Fluggesellschaften mussten Piloten ausländischer Unternehmen, vor allem mit Erfahrung auf Boeing und auf europäische Flugzeugen einstellen. Die Fluggesellschaften waren gezwungen, ihre Löhne auf europäische und amerikanische Standards anzuheben. Jetzt wollten unsere Militärpiloten auf den Stuhl eines Co-Piloten bei Fluggesellschaften wechseln, weil sie bei der Armee weniger verdient haben, als in der zivilen Luftfahrt. Sofort verzerrte das den Arbeitsmarkt, auch beim Verteidigungsministerium. Da ist es genauso.

Ende der Übersetzung


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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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