Russisches Fernsehen: „Putin hat die unipolare Welt zerstört“

In der russischen Sendung „Nachrichten der Woche“ gab es am Wochenende einen sehr interessanten Beitrag über Putin und das kommende Ende seiner Amtszeit.

In Russland wird die Diskussion über das Ende von Putins Amtszeit ganz anders geführt, als in den westlichen Medien. Und auch die über das, was Putin in den 20 Jahren seiner Herrschaft erreicht hat und was nach Putin kommen kann, wird ganz anders gesprochen. Daher habe ich diesen Beitrag des russischen Fernsehens übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Natürlich diskutiert das Land weiterhin über die vom Präsidenten vorgeschlagenen Verfassungsänderungen. Die Arbeit daran geht voran, aber ohne Eile, sondern systematisch. Ich möchte Sie daran erinnern, dass im neuen politischen System Russlands ein Teil der Befugnisse des Staatsoberhauptes der Staatsduma und dem Föderationsrat übertragen wird, außerdem wird der Präsident das höchste Amt des Landes für nicht mehr als zwei Amtszeiten inne haben können, ohne wenn und aber.

Wladimir Putin wird bei Fragestunden mit verschiedenen Gruppen in verschiedenen Städten Russlands derweil vorgeschlagen, seine Befugnisse im Gegenteil sogar auszuweiten. Aber er antwortet immer mit „Nein“, einmal, ein weiteres Mal „Nein“ und dann wieder „Nein“. Menschen, die solche Forderungen stellen, sind natürlich demokratisch und modern, aber das ist so ein Fall, bei dem Theorie und Praxis manchmal in Widerspruch geraten. Emotional fordern sie Putin auf, seine Befugnisse auszuweiten und rational erklärt Putin ihnen, dass dies nicht geschehen wird. Aber wenn man es andererseits rational betrachtet und die Errungenschaften und Risiken abwägt, dann wird klar, wie viel Unbekanntes vor uns liegt. Sogar erschreckend Unbekanntes.

Wir haben hier schon darüber gesprochen, wie Putin das Land aufgebaut und ihm sein inneres Gleichgewicht zurückgegeben hat. Jetzt geht es um sein Verhältnis zu seinen ausländischen Kollegen und wie sich ihre Haltung gegenüber Russland verändert hat.

Wir haben die 90er Jahre schon irgendwie vergessen und auch, wie wir uns manchmal für den Führer des Landes geschämt haben. Und es ist nicht sehr angenehm, sich daran zu erinnern. Solche Momente möchte man vergessen. Aber dennoch, denken wir einmal zurück. Kürzlich sind die Memoiren von Boris Jelzins Pressesprecher Pawel Woschanow erschienen. Pawel und ich kannten uns und ich habe erlebt, wie schwierig es für ihn manchmal war.

September 1989. Jelzin war zu dieser Zeit bereits ein sehr bekannter und schillernder Politiker, ein charismatischer Oppositioneller. Nach dem Amt des ersten Sekretärs des Regionalkomitees von Swerdlowsk kandidierte er für das Politbüro des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Dann wurde er zum Abgeordneten der UdSSR gewählt. Er war sehr ehrgeizig, beliebt und hatte eine große Zukunft vor sich.

Die Amerikaner sahen ihn als zukünftigen Führer und haben ihn zu einer Art Besichtigungstour eingeladen, auf eine Tour durch die Staaten, und er wurde in einem kleinen Privatflugzeug herumgeflogen. Boris Jelzin stimmte mit Freude zu, zumal er bis dahin noch nie in den Vereinigten Staaten gewesen war.

Amerika empfing Jelzin auf höchstem Niveau. Sogar im Weißen Haus wurde er von Präsident Bush Senior empfangen und er traf mit Senatoren, mit Brzeziński und Vertretern lokaler Regierungen im ganzen Land zusammen.

„Von New York nach Baltimore dauert der Flug nicht mehr als eine Stunde, so dass die Flasche eilig geleert wurde, ohne lange Pausen für Trinksprüche und Gespräche. Nach der Landung sieht man, dass der kleine Flughafen in Dunkelheit getaucht ist, nur in der Nähe eines kleinen Gebäudesleuchten ein paar Laternen. In unsere Richtung kommt eine ziemlich große Gruppe aus etwa zehn Leuten zur Begrüßung. Mit dabei eine lächelnde Frau mit einem großen Blumenstrauß in den Händen. Was als nächstes geschieht, sprengt die Grenzen der Vernunft. Von der Leiter kommend, dreht sich Jelzin plötzlich um und tritt zur Seite, irgendwo hinter das Flugzeug. Wahrscheinlich scheint es ihm, dass man im Schatten nicht sehen kann, wie er am Fahrwerk des Flugzeuges sein kleines Geschäft erledigt. Aber es ist nicht nur zu sehen, sondern sogar zu hören. Danach läuft das Rinnsal unter dem Flugzeug in Richtung des Delegation“, erinnert sich Pawel Woschanow in seinem Buch. Dann wurde es noch schlimmer. Aber lassen wir die weiteren beschämenden Details am Flughafen weg.

Und am nächsten Morgen stieg er betrunken auf das Podium der Johns Hopkins University, um einen Vortrag zu halten.

„Die Reise war für zwei Wochen geplant. Natürlich konnte ich nicht in den USA sein, ohne nach Baltimore und an seine Universität zu kommen. Sie haben sehr gute historische Traditionen. Größtenteils werden hier Humanisten ausgebildet, aber die Universität ist sehr breit aufgestellt. Ihre Experten wissen mehr über unser Land, als ich. Daher konnte ich nicht anders, als hierher zu Ihnen zu kommen“, sagte Jelzin damals. Danach erklärte unsere Delegation, dass sein Auftreten auf Müdigkeit und Beruhigungsmitteln zurückzuführen war. (Anm. d. Übers.: Jelzin hat bei seinem Auftritt so gelallt, dass man es auch ohne Russischkenntnisse bemerken musste)

Kurz gesagt, sich an diese Reise zu erinnern ist bitter. Trunkenheit und naive Freude im Supermarkt. Für die Washington Post schrieb Paul Hendricksen eine Kolumne unter dem Titel „Der betrunkene Bär umarmt den Kapitalismus“. So eine Vergangenheit will man irgendwie vergessen. Und sie wurde vergessen. Als Jelzin betrunken seine Unterschrift unter den Zusammenbruch der UdSSR gesetzt hat, hat er an die Krim im Rausch nicht einmal gedacht.

Während Jelzins Zeit haben wir den Japanern fast die Inseln gegeben, er hatte es bereits versprochen. Wir haben die Ukraine und alle Partner in der GUS im Stich gelassen. Auch alle ehemaligen Verbündeten, einschließlich Osteuropa und Kuba. Russland hatte kein Konzept der „nationalen Interessen“. Die Armee verfiel. Die Flotte und die Luftfahrt auch. Bildungs- und Gesundheitssystem sind zusammengebrochen. Es gibt nichts, was nicht zusammengebrochen ist. Unterdessen applaudierte der Westen Russland und träumte davon, es als leichte Beute filetieren zu können. Es wurden bereits die Claims abgesteckt, wer was bekommen sollte.

Das waren die Karten, die Putin auf der Hand hatte, als er ins Amt kam. Und was ist jetzt? Russland hat keine Territorien verloren, im Gegenteil ist die Krim nach Hause zurückgekehrt. Die gut ausgerüsteten Streitkräfte garantieren zuverlässig die Sicherheit des Landes und verhindern an fernen Grenzen geopolitische Bedrohungen.

Russland unterhält zuverlässigere Beziehungen zu China, als je zuvor und die Beziehungen zu Indien sind vertrauensvoll. Russische Initiativen bewegen den Nahen Osten. Und – das ist in der heutigen Welt einzigartig – wir haben vertrauensvolle Kontakte zu so unterschiedlichen Ländern wie der Türkei und Syrien, dem Iran und Israel, Saudi-Arabien und Katar.

In den USA wird Russland als innenpolitisches Schreckgespenst benutzt, aber trotzdem hält Russland das globale nukleare Gleichgewicht aufrecht und knickt nicht unter irgendwelchen Sanktionen ein.

Merkel hat Moskau schon 15 Mal besucht und Macron sieht die Zukunft Frankreichs und Europas nicht ohne Russland, was er auch offen sagt. Mit Polen gibt es eine Debatte über den Zweiten Weltkrieg, aber die dokumentierte historische und moralische Überlegenheit ist auf unserer Seite. Japan hat unsere Inseln nicht erhalten. Die Beziehungen zu Kuba wurden wiederhergestellt. Auch in Lateinamerika ist unsere Position stark. Der Staatsstreich in Venezuela ist nicht zustande gekommen. Die Beziehungen zu Afrika haben ein neues Niveau erreicht, wie der Russland-Afrika-Gipfel im vergangenen Jahr in Sotschi gezeigt hat. Zuverlässige Zusammenarbeit gibt es auch im OVKS. Die Integration innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion ist intensiv. Die Koordinierung innerhalb der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit ist ebenfalls sehr wichtig. Übrigens hat Putin der Ukraine unter Selensky eine neue Chance gegeben. Am wichtigsten bleiben die Beziehungen zu Belarus. Man kann gar nicht alles auflisten.

Und es ist klar, dass das alles das große Verdienst Putins als Politiker auf dem internationalen Parkett ist. Oder war das selbstverständlich? Nein. Es reichte, dass Russland sich in der Zeit, als Putin Ministerpräsident war, einmal bei einer wichtigen Abstimmung im UN-Sicherheitsrates über Libyen enthalten hat und Libyen wurde sofort bombardiert und Gaddafi wurde getötet. Das Land gibt es nicht mehr. Das war eine wichtige Lektion.

Und wenn wir über Stil sprechen, wird der immer durch die eigene Positionierung vorbestimmt. Und hier ist bei Putin alles klar und unzweideutig. Hier ist ein Ausschnitt aus einem Interview mit der deutschen Bild-Zeitung vor drei Jahren: „Sie haben mich gefragt: Sind Sie ein bescheidener Diener oder ein Freund? Die Beziehungen zwischen Staaten sind ein wenig anders aufgebaut, als die Beziehungen zwischen Menschen. Ich bin kein Freund, keine Braut und ein Bräutigam, ich bin der Präsident der Russischen Föderation. 146 Millionen Menschen leben hier, diese Menschen haben ihre eigenen Interessen und ich habe die Pflicht, für sie einzutreten. Wir sind bereit, das nicht durch Konfrontation zu tun, wir sind bereit, Kompromisse zu suchen, aber natürlich auf der Grundlage des Völkerrechts, das für alle gleichermaßen gilt.“

Und jetzt Achtung, wir kommen zu folgender Frage: Wenn Putin beharrlich „Nein“ als Antwort auf Forderungen nach einer Ausweitung seiner Befugnisse sagt, was bedeutet das für uns? Stellen wir es uns einfach mal vor. Ja, jetzt erinnern wir uns aus irgendeinem Grund daran, wie Putin angesichts der gut orchestrierten Kühle den G20-Gipfel in Australien vorzeitig verlassen und das Protokoll ignoriert hat und schnell zum Flughafen gefahren ist. Dort schüttelte er Polizisten der Motorradeskorte noch freundlich die Hand, er ins Flugzeug einstieg und nach Russland flog.

RAW: Putin shakes hands with Aussie motorcycle cops before boarding for G20 exit

Aber in jeder Geste Putins auf der internationalen Bühne und in jedem Wort zeigt sich die Würde und Stärke der moralischen Überlegenheit Russlands. Und die Macht der Wahrheit. Wie kann man sich nicht an die Rede auf der Sicherheitskonferenz in München 2007 erinnern? Dort schlug Putin vor, die globale Sicherheit durch das Völkerrecht als moralische Basis der Menschheit zu gewährleisten und war überzeugt, dass jeder andere Ansatz nicht nur unmoralisch ist, sondern auch nicht funktionieren wird.

„Ich denke, dass das unipolare Modell in der modernen Welt nicht nur inakzeptabel, sondern auch unrealistisch ist. Und zwar weil eine einzelne Führungsmacht in der heutigen Welt – es geht um die heutige Welt – weder ausreichend militärisch-politische, noch ausreichend wirtschaftliche Möglichkeiten dafür hat. Aber noch wichtiger ist, dass das Modell selbst nicht funktioniert, da es nicht die moralische Grundlage der modernen Zivilisation ist und auch nicht sein kann“, sagte der russische Präsident damals.

Und so ist es ja auch gekommen. Das unipolare Modell ist zusammengebrochen. Die USA haben das verstanden. Sie haben es zumindest deshalb verstanden, weil Amerika jetzt niemanden mehr angreifen kann, um seine Stärke und seinen eigenen Status zu bestätigen. Überall, von Nordkorea bis Syrien, von Venezuela bis zum Iran, ist eine amerikanische Militärintervention so riskant und der militärische Sieg ist so unsicher, dass sie Angst haben, es zu riskieren. Deshalb sind sie nun zu Sanktionen übergegangen, die sie gegen die halbe Welt verhängen. Aber auch sie funktionieren nicht mehr.

Kürzlich wurden neue US-Sanktionen gegen drei russische Rüstungsunternehmen bekannt. Aber das ändert ja nichts. Außerdem wurden neue Sanktionen gegen die Türkei, Nordkorea und den Iran verhängt. Aber auch ändert nichts. Das Modell einer einzigen, dominanten Macht funktioniert nicht mehr. Putin hat es zerstört.

Ende der Übersetzung


Wenn Sie sich dafür interessieren, wie Russland auf die Fragen der internationalen Politik blickt, dann sollten Sie sich die Beschreibung meines Buches ansehen, in dem ich Putin direkt und ungekürzt in langen Zitaten zu Wort kommen lasse. Dort ist auch die komplette Rede von 2007 übersetzt zu lesen und in der Tat liest sie sich heute fast wie eine Prophezeiung.

In meinem neuen Buch „Das Ukraine Kartell – Das Doppelspiel um einen Krieg und die Millionen-Geschäfte der Familie des US-Präsidenten Biden“ enthülle ich sachlich und neutral, basierend auf Hunderten von Quellen, bisher verschwiegene Fakten und Beweise über die millionenschweren Geschäfte der Familie des US-Präsidenten Joe Biden in der Ukraine. Angesichts der aktuellen Ereignisse stellt sich die Frage: Ist eine kleine Gruppe gieriger Geschäftemacher möglicherweise bereit, uns für ihren persönlichen Profit an den Rand eines Dritten Weltkriegs zu bringen?

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

2 Antworten

  1. Danke für den Artikel!
    Der Videolink funktioniert leider nicht, auch nich wenn ich aus dem httpv ein https oder http mache.
    httpv://www.youtube.com/watch?v=bybisJUJ\u002d\u002d8

    Ich gestehe, mir kommt immer wieder der Neid hoch wenn ich von Putin und den vielen Erfolgen lese die er seiner Bevölkerung beschert hat.

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