TASS-Interview: Putin im O-Ton über das Verhältnis zu Ukraine

Der russische Präsident Putin hat der TASS ein über dreistündiges Interview gegeben, aus dem ich in den nächsten Tagen Passagen übersetzen werde.

Demnächst jährt sich Putins erste Wahl zum russischen Präsidenten zum 20. Mal. Aus diesem Anlass hat Putin der TASS ein langes Interview gegeben, das den Titel „20 Fragen an Wladimir Putin“ trägt. Es sind mehr als 20 Fragen, es betrifft 20 Themen und es wird nun täglich ein neuer Teil des Interviews mit einem neuen Thema veröffentlicht.

Das erste Thema war die Regierungsumbildung, die es gerade in Russland gegeben hat. Den Teil habe ich nicht übersetzt, da es dort um viele innenpolitische Akteure ging, die in Deutschland unbekannt sind. Der Erkenntnisgewinn für den deutschen Leser wäre ausgesprochen gering gewesen.

Im zweiten Teil ging es um die Ukraine. Den Teil fand ich interessant und habe ihn daher fast komplett übersetzt. Lediglich einen kurzen Teil über die von Poroschenko betriebene Kirchenspaltung habe ich weggelassen, weil das Thema in Deutschland kaum bekannt ist und die Ausführungen daher eher Verwirrung als Erkenntnisgewinn gebracht hätten.

Beginn der Übersetzung:

Vandenko: Gibt es eine Chance, dass Sie mit Selensky einigen?

Wladimir Putin: Über was?

Vandenko: Über Frieden und Freundschaft.

Wladimir Putin: Die Hoffnung stirbt zuletzt, es gibt Hoffnung. Aber leider kam er aus Paris zurück und begann darüber zu sprechen, die Minsker Vereinbarungen neu zu verhandeln. Das wirft Fragen auf. Nichtsdestotrotz konnten wir uns auf den Austausch von Gefangenen einigen, wir konnten uns beim Gas einigen.

Vandenko: Ist die Tatsache, dass wir nicht mehr mit der Ukraine befreundet sind, ein Verlust für uns?

Wladimir Putin: Ja. Natürlich. Aber ich habe schon oft gesagt: Ich glaube, dass wir ein Volk sind.

Vandenko: Den Ukrainern gefällt das gar nicht.

Wladimir Putin: Ich weiß nicht, ob es ihnen gefällt oder nicht, aber wenn man sich die Realitäten anschaut, ist es so. Sehen Sie, bis zum 11., 12., 13. Jahrhundert gab es keine Unterschiede in der Sprache. Das kam erst als Folge der Poloisierung, als ein Teil der Ukrainer, die unter der Herrschaft des polnischen Staates lebten, irgendwann – ich glaube im 16. Jahrhundert – kamen die ersten sprachlichen Unterschiede auf. „Ukrainer“ wurden Menschen genannt, die an der Grenze lebten … (Anm. d. Übers.: „U Kraija“ bedeutet übersetzt „an der Grenze“ oder „am Rand“. Das Wort „Ukraine“ – also „an der Grenze“ oder „am Rand“ – kommt daher, dass das Gebiet einst das „Grenzland“ des russischen Reiches war.)

„Ukrainer“ wurden alle Menschen genannt, die an den Grenzen des russischen Staates lebten. „Ukrainer“ waren in Pskow, „Ukrainer“ wurden diejenigen genannt, die im Süden die Krim gegen den Khan verteidigt haben. Im Ural wurden die Menschen „Ukrainer“ genannt. „Ukrainer“ gab es überall, rund um das russische Reich, wir waren von „Ukrainern“ umgeben. Es gab keine Sprachunterschiede. Mehr noch: damals, bis zum 14. und 15. Jahrhundert, wurden alle Ostslawen, die im Moskauer Staat und in Polen lebten, Russen genannt. Es gab keine Trennung oder Unterschiede. Erst viel später kamen die ersten sprachlichen Unterschiede …

Vandenko: So war es in der Geschichte, aber jetzt geht es um heute.

Wladimir Putin: Wenn wir über heute und morgen sprechen, müssen wir die Geschichte kennen, wir müssen wissen, wer wir sind, woher wir kommen, was uns verbindet.

Vandenko: Im Moment trennt uns viel.

Wladimir Putin: Vieles trennt uns. Aber wir dürfen nicht vergessen, was uns eint. Wir dürfen nicht das zerstören, was uns verbindet. (Anm. d. Übers.: Hier habe ich den Teil bei der Übersetzung ausgelassen, bei dem es um die Kirchenspaltung unter Poroschenko geht. Nach dem Exkurs fährt Putin mit dem angefangenen Thema fort)

Als Folge der Tatsache, dass die Menschen an der Grenze zur katholischen Welt in Europa lebten, begann ein Teil der Menschen, einen gewissen Grad an Unabhängigkeit vom russischen Staat zu empfinden. Wie soll man damit umgehen? Ich habe es immer wieder gesagt: Respektvoll.

Aber wir sollten dabei unsere Gemeinsamkeiten nicht vergessen.

Außerdem verschafft uns die Zusammenarbeit in der heutigen Welt einen enormen Wettbewerbsvorteil. Umgekehrt macht uns die Trennung schwächer. Vor allem der österreichische Geheimdienst begann im Vorfeld des Ersten Weltkriegs die ukrainische Karte auszuspielen. Warum? Es war das alte Prinzip von „Teile und Herrsche“. Das ist absolut verständlich. Aber wenn das den Menschen, einem großen Teil der Bevölkerung in der Ukraine, ein Gefühl des nationalen Selbstbewusstseins gegeben hat, muss man das mit Respekt zu behandeln.

Aber deshalb darf man die Realitäten nicht vergessen, man darf nicht vergessen, wer wir sind und woher wir kommen. Übrigens haben die Gründerväter des ukrainischen Nationalismus nie gesagt, dass man sich mit Russland zerstreiten soll. So seltsam es auch erscheinen mag, in ihren grundlegenden Werken des 19. Jahrhunderts haben sie geschrieben, dass die Ukraine a) multinational ist und ein Bundesstaat sein sollte und b) unbedingt gute Beziehungen zu Russland aufbauen sollte.

Die derzeitigen Nationalisten scheinen das vergessen zu haben. Ich werde Ihnen sagen, warum sie das vergessen haben. Wissen Sie warum? Für sie ist es nicht das Wichtigste, sich um die Interessen des ukrainischen Volkes zu kümmern. War es im Interesse des ukrainischen Volkes, dass sie als Folge des Bruchs mit Russland die Raketenwissenschaft, den Schiffbau, die Luftfahrtindustrie, den Triebwerks- und Motorenbau verloren haben, dass das Land de facto deindustrialisiert wurde? War das in ihrem Interesse?

Die Weltbank fordert ein Ende der Subventionen für Gas und Strom. Was ist daran gut? Oder dass sie gezwungen werden, die Karpaten abzuholzen. Bald werden die Karpaten komplett ohne Wald sein. Warum wird das getan, wenn man bei einer Bündelung unserer Anstrengungen unsere Wettbewerbsvorteile hätten erhöhen können? Warum wollten sie das verlieren? Warum mussten Sie alles wegwerfen, wofür?

Weil diejenigen, die die Ukraine geführt haben oder die in der Ukraine an die Macht gekommen sind, persönliche Interessen verfolgten. Worum geht es dabei? Nicht um Geld, dass sie beim Ausplündern des ukrainischen Volkes verdienen konnten, sondern es geht darum, das zu sichern, was sie schon geraubt haben. Das ist die größte Herausforderung.

Wo ist die Kohle? Entschuldigen Sie den Ausdruck.

Wo liegt denn das Geld? Bei ausländischen Banken. Was müssen Sie also tun? Sie müssen denen, bei denen das Geld liegt, zeigen, dass sie ihnen dienen. Daher ist ihr einziger Antrieb heute die Russophobie. Weil jemand die Ukraine und Russland spalten will. Weil sie denken, dass das die wichtigste Aufgabe ist. Denn jede Vereinigung Russlands und der Ukraine, die Vereinigung unserer Fähigkeiten, würde einen globalen Konkurrenten erschaffen. In Europa und in der Welt. Das will niemand. Deshalb tun sie alles, um uns spalten.

Ende der Übersetzung


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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

6 Antworten

  1. Lieber Herr Röper,

    mal wieder vielen lieben Dank für diese und Ihre noch folgenden Übersetzungen.

    Ich möchte Ihnen nicht zusätzliche Arbeit machen, aber die orthodoxe Kirche und der Vatikan gehören zur Geopolitik dazu. Nicht umsonst hätte (war es Hillary oder Kollege Obomba?) die Christen als „Ostergläubige“ bezeichnet und würde permanent versucht werden auch diese Gemeinschaft zu zerstören. Wie bei Mausfeld Arbeiter und Angestellte.

    Bitte denken Sie darüber nach, vielleicht schreiben Sie ja auch einmal über den Vatikan oder die orthodoxe Kirche. Ich würde mich sehr freuen und vermutlich auch viele andere Leser.

    Ansonsten: Putin zeigt mal wieder seinen scharfen Verstand und fasst genau in die Wunde.

  2. Vielen Dank Herr Röper, für die Übersetzung.
    Da ich immer neugierig bin, gehe ich dann auch mal an die Quelle.
    Das Interview gibt es ja auf Russisch und in Englisch
    http://en.kremlin.ru/events/president/news/62835

    Schau ich mir Ihre Übersetzung an, die russische und die englische, dann gibt es teilweise (für mich!) Unterschiede

    z.B.
    russischer Text
    „Больше того, где-то до этого же времени, до XIV–XV века, даже тех людей, восточных славян, которые проживали на территории Речи Посполитой – и в Московском государстве, и в Польше, – называли русскими. Не делили. И только гораздо позднее начались первые языковые различия.“

    englischer Text
    „Moreover, around the same time, before the 14th and 15th centuries, even those people, the east Slavs, who lived in the territory of the Polish-Lithuanian Commonwealth – both in Muscovy and in Poland – were called Russians. The first language differences appeared much later…“

    Ihre Übersetzung
    „Mehr noch: damals, bis zum 14. und 15. Jahrhundert, wurden alle Ostslawen, die im Moskauer Staat und in Polen lebten, Russen genannt. Es gab keine Trennung oder Unterschiede. Erst viel später kamen die ersten sprachlichen Unterschiede …“

    Woher kommen diese „inhaltlichen“ Unterschiede?

    1. Wo sehen Sie INHALTLICHE Unterschiede?
      Ich hatte Zeitdruck und habe nicht nach dem historisch korrekten Namen für das polnisch-litauische Reich des Mittelalters gesucht und es vereinfacht als „Polen“ bezeichnet. Ansonsten sehe ich bei allen drei Übersetzungen aber keine INHALTLICHEN Unterschiede. Helfen Sie mir da mal auf die Sprünge.
      Außer einem: In der englischen Version wurde der Satz „Не делили“, den ich mit „Es gab keine Trennung oder Unterschiede“ übersetzt habe, weggelassen. Wenn das Ihre Frage war, müssen Sie die Übersetzer des Kreml fragen, nicht mich…

      1. Vielen Dank für Ihre Antwort.
        Es ist keine Kritik an Ihrer Übersetzung, es war mir nur beim Lesen aufgefallen!

        Denn es macht (für mich) jedoch einen „inhaltlichen“ Unterschied, ob es sich um das polnisch-litauische Commonwealth handelt (von dem wohl kaum einer je gehört hat, wenn er sich nicht damit befasst) oder um Polen (Polen kennt jeder).
        Dem Satz wird mit (nur) „Polen“ somit das „Volumen“ genommen.
        Denn dass Putin nicht nur von Geschichte gehört hat -wie die meisten Politiker- sondern sie auch detailiert kennt, stellte er somit in einem Satz klar.

        Und dass der Kreml da etwas nicht mit übersetzt hat, ist ebenso schade.

  3. Als ich erfuhr, daß die von der Ukraine betrieben Abspaltung vom Moskauer Patriarchat durch Konstantinopel anerkannt wurde, dachte ich: „Diese elenden Ratten!“
    Ich glaube nämlich auch, daß man die Bedeutung der russisch-orthodoxen Kirche nicht überschätzen kann, jedenfalls nicht unterschätzen sollte.

    Obwohl Polen-Litauen während seiner einstigen Großmächtigkeit kurzzeitig auch mal in Moskau zugange war, haben sie im Osten m.E. auch deshalb im keinen festen Boden unter die Füße bekommen, weil sie immer den Papst im Schlepptau hatten. Das war zwar damals so üblich, aber für eine Ostexpansion in orthodox geprägtes Gebiet eher weniger hilfreich.

    Die Volksgruppen (z.T. sog Kosaken, meist freie Bauern) die sich dann im 16./17. Jh. in diesem Hetmanat territorial um Kiew herum organisierten (das war so etwa Ur- Ukraine), waren über längere Zeit zwischen Polen-Litauen und Rußland „hin und her“ gerissen.
    Als es die Polen dann zu arg trieben, unterstellte sich dieses Hetmanat 1654 quasivertraglich dem russischen Zaren, was den „Ukrainern“ auch nicht uneingeschränkt gut getan hat, da nun verstärkt die Leibeigenschaft Einzug hielt.
    (Dafür überließen die Bolschewiki ihnen große Teile des von Fürst Potjomkin sehr erfolgreich kolonisierten Neurußlands und genau 300 Jahre später Chruschtschow, erklärter maßen als „Jubiläumsgabe“, die Krim.)

    Als „einigendes Band“ dürfte die russische Orthodoxie eine maßgebliche, wenn nicht die entscheidende Rolle gespielt haben, und das ist im Grunde auch heute noch so, wenn man bedenkt, das die orthodoxe Kirche, trotz – besonders in den ersten Jahren – höchst unappetitlicher Repressalien, 70 Jahre Kommunismus überlebt hat, und in jüngerer Zeit eine doch unübersehbare Renaissance erfährt.

    (Ein ähnliches Phänomen sehen wir übrigens auch in der Türkischen Republik.
    Die türkische Revolution unter Mustafa Kemal hat ebenso, wie die russische, die geistig-kulturellen Grundlagen, hier des alten osmanischen Reiches, quasi „hinweg gefegt“, war dabei ebenso erfolgreich (mußte sich allerdings dabei „nur noch“ mit dem Kernland befassen).
    Und wie in der RF oder der Ukraine, feiert der Islam in der Türkei seine staatstragende Wiederauferstehung.)

    Kurz und gut, ich halte diese Kirchenspaltung für einen sehr intelligenten, jedoch ganz hinterhältigen, vor allem widerlichen „Schachzug“.
    Inwieweit man da perspektivisch nachhaltig Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten, jedoch erfahrungsgemäß verlaufen derartige „Übungen“ oft fast wie geplant.

  4. Den Exkurs in die sprachliche Bedeutung des Wortes „Ukraine(r)“ fand ich spannend! Im Deutschen gibt es bekanntlich ein ähnliches Wort. „Anrainer“ für „Nachbar“. Ist das Zufall oder gibt es da einen gemeinsamen Wortursprung?

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