Weißrussland: Während die EU Sanktionen ausarbeitet, führt Lukaschenko Gespräche mit der Opposition

Westliche Medien und Politiker fordern offiziell vom weißrussischen Präsidenten einen Dialog mit der Opposition, ansonsten müsste es Sanktionen geben. Der Dialog hat begonnen, Sanktionen werden trotzdem vorbereitet. Worüber hat Lukaschenko mit der Opposition gesprochen?

Lukaschenko ist ein autoritärer Herrscher, das sagt er auch selbst von sich. Der Grund ist, dass er zu Beginn seiner Regierungszeit hart gegen die Mafia und andere kriminelle Organisationen durchgreifen musste und danach hat er die angehäuften Vollmachten nie wieder abgegeben.

Weißrussland steht heute nicht schlecht da, es gibt keine bittere Armut, keine Oligarchen, keine verpatzten Privatisierungen, Straßen und Infrastruktur sind in einem sehr guten Zustand, die Städte sind gepflegt und selbst an Autobahnen sind die Rasenflächen so ordentlich gestutzt, dass sie fast wie Parks aussehen. Es ist tatsächlich beeindruckend und unerwartet, was man als Reisender in Weißrussland sehen kann. Wenn Sie sich für die wirtschaftliche Situation in Weißrussland interessieren, finden Sie hier weitere Informationen.

Für Lukaschenkos Beliebtheit gibt es daher reichlich Gründe: Niemand muss wirklich Not leiden, die Städte sind sauber, die Kriminalität ist gering, Bildung und Gesundheitsversorgung sind gratis. Aber es gibt auch viele – vor allem junge – Menschen, die nach 26 Jahren Lukaschenko ein anderes Gesicht an der Macht sehen wollen, die den autoritären Stil von Lukaschenko ablehnen.

Am Wochenende hat Lukaschenko etwas getan, was bis vor kurzem undenkbar war: Er hat die wichtigsten Oppositionellen im Gefängnis besucht und sie in die Diskussion über die von ihm angekündigte Verfassungsreform eingebunden. Über vier Stunden hat er hinter verschlossenen Türen mit ihnen diskutiert. Die Diskussion soll offen und heftig gewesen sein. Lukaschenko hat also genau das getan, was der Westen und die Opposition von ihm fordern, er hat den Dialog mit denen gesucht, die ihn stürzen wollen.

Ganz nebenbei sollte man sich fragen, ob ein Präsident Macron bereit wäre, sich mit verhafteten Führern der Gelbwesten zu treffen und nach einer gemeinsamen Lösung der Probleme in Frankreich zu suchen. Oder ob ein spanischer Regierungschef bereit wäre, sich mit verhafteten katalonischen Politikern im Gefängnis zu treffen, um eine Lösung für den Streit zu suchen. Die Liste ließe sich fortsetzen, ich kenne keinen Fall, in dem ein westlicher Regierungschef sich mit seinen für ihre politischen Ansichten verhafteten Gegnern im Gefängnis zum Dialog getroffen hat.

Nun müsste es im Westen eigentlich positive Berichte darüber geben, dass Lukaschenko diesen Schritt gemacht hat, aber positive Berichte haben wir nicht gesehen. Der Grund ist einfach: Im Westen versteht man unter Dialog nicht, eine Diskussion zu beginnen und gemeinsam eine Lösung zu suchen, sondern man versteht darunter, dass Lukaschenko abtreten soll.

Lukaschenko hat bereits angekündigt, dass er nach der Verfassungsreform bereit ist, von der Macht zu lassen. Aber er will einen geordneten Übergang, wenn er abgewählt wird, und keinen revolutionären, wie ihn die Ukraine mit allen bekannten Folgen erlebt hat.

Und Lukaschenko ist bereit, diejenigen in den Dialog einzubinden, die seine kompromisslosesten Gegner sind. Es geht Lukaschenko um die Einheit seines Landes und der Gesellschaft, um gemeinsame Lösungen, nicht um eine Spaltung des Landes und der Gesellschaft. Man kann über ihn denken, was man will, aber dass die Einheit von Weißrussland immer sein wichtigstes Ziel war, können selbst seine Gegner kaum bestreiten.

Da im Westen über das Treffen von Lukaschenko mit den Oppositionellen kaum berichtet wurde – und wenn doch, dann sehr verkürzt -, will ich hier einen Bericht des russischen Fernsehens über das Treffen und seine Folgen übersetzen. Danach kann sich jeder fragen, ob es in so einer Situation hilfreich ist, mit Druck von außen und mit Sanktionen Öl ins Feuer zu gießen, oder ob es nicht sinnvoller wäre, die Gespräche ohne Druck stattfinden zu lassen und dann die Ergebnisse zu bewerten.

Beginn der Übersetzung:

Alexander Lukaschenko ist bereit, Befugnisse abzugeben. Das sagte der weißrussische Präsident bei einem Treffen zum Thema Steuern. Welche genau, wurde nicht gesagt. Doch laut politischen Analysten ist die Umverteilung der Macht einer der Schlüsselpunkte der künftigen Verfassungsreform. Der weißrussische Staatschef diskutierte am Wochenende mit Vertretern der Opposition, die er im Minsker Gefängnis getroffen hat.

Aus Minsk berichtet unsere Korrespondentin.

Streng genommen war das Thema nicht auf der Tagesordnung: Bei einem Treffen mit dem ersten stellvertretenden Ministerpräsidenten und den zuständigen Ministern war geplant, dem Präsident von Weißrusland einen Bericht über die Entwicklung des nationalen Steuersystems zu geben. Aber Alexander Lukaschenko sprach über das System der staatlichen Verwaltung, also die Verfassungsreform, die die Umverteilung der Macht im Land beinhaltet.

„Da in letzter Zeit viel über die Umverteilung von Befugnissen gesprochen wurde, nun, offenbar scheinen manche mehr Befugnisse zu wollen, und im Grunde ist es auch richtig, dass die Regierung gestärkt werden sollte, auch andere Strukturen und Behörden sollten gestärkt werden. Kürzlich erhielt ich eine Notiz. Darin wird vorgeschlagen, 71 Befugnisse vom Präsidenten auf andere Regierungsebenen zu übertragen“, sagte Alexander Lukaschenko, Präsident von Weißrussland.

Von welchen Befugnissen sich der weißrussische Präsident zu trennen bereit ist und an wen er sie übertragen will, ist laut Alexander Lukaschenko „ein anderes Thema“. Aber es ist offensichtlich, dass die Arbeit an der Verfassungsreform bereits begonnen hat, auch wenn Minsk sie noch nicht offiziell eingeleitet hat. Und die Umverteilung der Macht scheint ihr wichtigster Inhalt zu werden.

„In der Verfassungsreform, die in den letzten Monaten diskutiert wird, wird es um die Umverteilung der Befugnisse des Präsidenten auf lokale Gebietskörperschaften, auf die Regionen, auf die Regierung und auf das Parlament gehen. Ich schließe nicht einmal die Möglichkeit aus, dass das künftige Parlament zukünftig den Präsidenten wählen kann, diese Möglichkeit wird auch diskutiert. Es gibt auch eine andere Möglichkeit, bei der eine weißrussische Volksversammlung geschaffen wird und bei der sie Befugnisse bis hin zur Wahl des Präsidenten des Landes erhalten kann, wie zum Beispiel in China, wo die Nationale Volksversammlung den Staatsführer wählt“, sagte Dmitri Bolkunets, ein Politikwissenschaftler. (Anm. d. Übers.: Wer jetzt bei der Erwähnung Chinas, das als undemokratisches Land angesehen wird, zusammenzuckt, der sei daran erinnert, dass auch in Deutschland eine Volksversammlung den Bundespräsidenten wählt. Nur dass sie in Deutschland „Bundesversammlung“ genannt wird. Der Politologe hätte also anstatt China auch die Bundesrepublik Deutschland als Beispiel für ein Land anführen können, das seine Präsidenten über eine – wie auch immer zusammengesetzte – Volksversammlung wählen lässt)

Dass der Präsident von Weißrussland bereit ist, mit allen, auch mit politischen Gegnern, über die Verfassungsänderungen im Land zu diskutieren, wurde am vergangenen Samstag deutlich, als Alexander Lukaschenko zu einem Treffen mit den Haft verbliebenen Oppositionsvertretern in die Haftanstalt des weißrussischen KGB gefahren ist. Für die war dieser Besuch laut dem TV-Sender „Belarus 1“ eine völlige Überraschung.

„Das Land lebt unter dem Motto: „Gib uns einen Dialog.“ Ich habe darüber nachgedacht, dass die radikalsten Vorschläge – so wie die Vorwürfe Ihrer Anhänger – in allen Fragen immer wieder nur auf die Verfassung fixiert sind. Die Hälfte von Ihnen sind, soweit ich weiß, Juristen. Und sie verstehen sehr gut, dass man eine Verfassung nicht auf der Straße schreiben kann. Ich schaue umfassender auf das Thema. Wir haben versucht, nicht nur Ihre Unterstützer, sondern die ganze Gesellschaft davon zu überzeugen, dass das Problem umfassender betrachtet werden sollte“, sagte Alexander Lukaschenko bei dem Treffen.

Was genau bei diesem Treffen diskutiert wurde, das etwa viereinhalb Stunden dauerte, ist fast nicht bekannt: Wie das weißrussische Staatsfernsehen mitteilte, wurde Vertraulichkeit über die Details vereinbart. Und das war eine gemeinsame Entscheidung der Gesprächsteilnehmer. Unter ihnen waren der ehemalige Präsidentschaftskandidat Viktor Babariko, sein Sohn Eduard und Lilia Vlasova, Mitglied des Präsidiums des Koordinierungsrates der Opposition.

Einige Zeitungen schrieben, dass unter den Anwesenden angeblich sogar Sergej Tichanovsky war, dessen Frau Swetlana gerade mit politischen Appellen durch Europa tourt. Auf den veröffentlichten Aufnahmen war er jedoch nicht zu sehen.

„Der Präsident ist bereit über die Verfassungsreform zu reden. Warum? Weil er über die Fragen des Status hinweg gegangen ist und mit jenen Leuten spricht, die trotz allem einen politischen Teil der Gesellschaft repräsentieren. Und weiter: Wir sollten uns die Zusammensetzung der Gesprächsteilnehmer ansehen und vor allem, wenn sie Teil des Systems sind, die nächsten Schritte genau verfolgen. Es ist offensichtlich, dass die Regierung irgendeinen Plan hat“, sagte Vadim Gigin, Sekretär der Union der weißrussischen Journalisten und Doktor der Geschichte.

Und die nächsten Schritte ließen nicht lange auf sich warten. Nach dem Treffen mit dem Präsidenten verging etwas mehr als ein Tag und zwei der Teilnehmer wurden aus der Haft entlassen. Der Geschäftsmann Dmitri Rabzewich und der Politologe Juri Woskresenski, der bereits öffentlich gesagt hat, dass gemäß den getroffenen Vereinbarungen alternative Vorschläge zur Änderung der weißrussischen Verfassung vorbereitet werden.

„Der Dialog selbst, der Besuch des Präsidenten selbst, ist wahrscheinlich eine eine Atombombe für die öffentliche Meinung. Das heißt, indem er im Untersuchungsgefängnis erschien, zeigte er, dass der Mann mutig, stark und bereit ist, Schläge einzustecken. Sie wissen wahrscheinlich, dass es bei dem Treffen keine Zensur gegeben hat und es waren keine Außenstehenden bei dem Treffen dabei. Und es war eine sehr heiße und sehr offene Diskussion“, sagte Juri Woskresenski, aus der Haft entlassener Politikwissenschaftler und Koordinator des Stabs der Opposition, der an dem Gespräch teilgenommen hat.

Aber egal wie offen und scharf es auch gewesen sein mag, die Hauptsache ist, wie die Teilnehmer sagen, dass der Dialog stattgefunden hat. Er war direkt und offen – und es war offenbar nicht der letzte. Um Alexander Lukaschenko zu zitieren: „Wartet ab: Es wird noch interessanter.“

Ende der Übersetzung

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Eine Antwort

  1. Liebe Brüder und Schwestern, ich möchte in diesem Zusammenhang auf eine spektakuläre Einlassung des Außenministers der RF hinweisen:

    „Я согласен с теми политологами, [которые] как бы угадали вызревающее у нас ощущение: нам надо перестать рассматривать наших западных коллег, и в том числе Евросоюз, в качестве источника оценок нашего поведения, которым мы начинаем следовать и как бы мерить себя тем самым аршином. Мне кажется, нам нужно перестать оглядываться на них“
    (https://tass.ru/politika/9707147)

    Die richtige Übersetzung überlasse ich dem Autor, aber wenn der „Automat“ mir hier keinen Unsinn vermittelt hat, möchte ich meinen:
    Endlich… endlich haben sie es begriffen!

    Dahinter steht ein fast 200jähriges Problem, vor dem bereits das russische Kaiserreich nach den napoleonischen Kriegen stand, und das die russischen Liberalen nie verstanden haben, das u.a. zu diesem hirnlosen Attentat auf Alexander II. führte.

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