Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Ist Navalny 2014 zu Recht verurteilt worden?

Navalny wurde 2014 wegen Betrug und Geldwäsche zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der Europäische hat das Urteil von 2014 kritisiert, aber was genau steht in dem europäischen Urteil?

Da man immer wieder lesen kann, dass Navalny 2014 zu Unrecht verurteilt wurde und dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das festgestellt hat, sollte man das Urteil des Gerichtshofs lesen. In der Tat hat der Gerichtshof an dem Urteil einiges zu kritisieren, aber in den wichtigsten Punkten wurde Navalnys Klage nicht stattgegeben.

In seinen Eingaben an das Gericht hat Navalny ausführlich auf seine politische Tätigkeit hingewiesen und peinlich genau seine Aufrufe zu Demonstrationen aufgelistet. Das hat mit dem Fall, für den er verurteilt wurde, jedoch nichts zu tun. Sein Ziel war offensichtlich: Er wollte erreichen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Urteil als politische Verfolgung brandmarkt. Das jedoch hat der Gerichtshof nicht getan.

Die Vorwürfe gegen Navalny

Navalny wurde von der russischen Staatsanwaltschaft vorgeworfen, dass er zusammen mit seinem Bruder die russische Tochter der französischen Firma Yves Rocher betrogen hat. Die Brüder hatten eine Firma für logistische Dienstleistungen gegründet, während Navalnys Bruder an entscheidender Stelle bei der russischen Post arbeitete und hat Yves Rocher seine Firma als Anbieter für Transporte angeboten, die dann aber von der russischen Post durchgeführt wurden. Die Navalnys haben für die Vermittlung der Dienstleistungen Geld berechnet, die Yves Rocher auch direkt bei der Post hätte bekommen können.

Yves Rocher hat dann Anzeige erstattet. Später wurde behauptet, es sei kein finanzieller Schaden entstanden. Nach Angaben der russischen Staatsanwaltschaft hingegen haben die Brüder ca. 1,4 Millionen Euro von Yves Rocher erhalten und davon ca. 800.000 Euro in ihre eigenen Taschen gesteckt, zum Teil mit Hilfe von Geldwäsche und fiktiven Geschäften.

Ob Yves Rocher aufgrund von politischem Druck in der Heimat später behauptet hat, es wäre kein Schaden entstanden, nachdem die Firma vorher selbst Anzeige wegen Betruges erstattet hat, ist Spekulation. Genauso spekulativ ist es zu behaupten, die russische Staatsanwaltschaft habe sich den Fall ausgedacht. Die Wahrheit erfahren wir wohl nie.

Die Navalny-Brüder wurden dann zu jeweils dreieinhalb Haft verurteilt, Alexej Navalny auf Bewährung, sein Bruder ohne Bewährung.

Die Klage in Europa

Die Navalny-Brüder sind gegen das Urteil vorgegangen und haben beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt. Aus der ausführlichen Auflistung der politischen Aktivitäten Navalnys kann man ersehen, dass er erreichen wollte, sein Urteil als politische Verfolgung einzustufen.

Konkret hat Navalny Verstöße gegen die Artikel 6, 7 und 18 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten geltend gemacht.

Artikel 6 der Konvention garantiert jedem ein faires Verfahren, Artikel 7 besagt, dass man nur für Vergehen angeklagt werden kann, die zum Zeitpunkt ihrer Durchführung unter Strafe standen und Artikel 18 regelt die Einschränkung von Rechten, in diesem Fall ging es um die Rechtmäßigkeit von Untersuchungshaft und Hausarrest, die während des Verfahrens gegen die Brüder galten.

Das Urteil

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht hat ein aus sieben Punkten bestehendes Urteil gefällt. Im ersten Punkt wurde die Klage wegen Artikel 18 für unzulässig erklärt. An der Verhängung von Hausarrest und Untersuchungshaft gegen die Navalnys hatte der Gerichtshof also nichts auszusetzen.

Im zweiten Punkt wurde die Klage wegen Verstößen gegen die Artikel 6 und 7 für zulässig erklärt, jedoch in allen anderen Klagepunkten für unzulässig erklärt. Es ging dem Gerichtshof also nur um die Frage, ob es ein faires Verfahren war und ob das russische Recht korrekt angewandt wurde.

Im dritten Punkt hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Verstoß gegen Artikel 6 Punkt 1 vorliegt, dass die Navalnys also kein faires Verfahren hatten. Der Gerichtshof war der Meinung, dass das russische Strafrecht gegen sie viel zu hart ausgelegt wurde.

Im vierten Punkt hat das Gericht entschieden, dass keine anderen Vorschriften unter Artikel 6 verletzt wurden, außer dem eben genannten Artikel 6 Punkt 1.

Im fünften Punkt hat der Gerichtshof entschieden, dass auch gegen Artikel 7 verstoßen wurde. Nach Meinung des Gerichtshofs wurden die Navalnys also für etwas bestraft, was zum Zeitpunkt der Tat gar nicht unter Strafe stand.

Im sechsten Punkt ging es um die Entschädigungen für die Navalny-Brüder. Das Gericht den Brüdern je 10.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen, ist aber bei den Entschädigungen für Alexej Navalny unter dem geblieben, was der gefordert hat. Er wollte etwas über 70.000 Euro erstattet bekommen, der Gerichtshof hat ihm jedoch nur 45.000 zugesprochen.

In Punkt 7 des Urteils wurden alle weiteren Forderungen der Navalny-Brüder abgewiesen.

Man kann also festhalten, dass das für Navalny sicher kein Sieg auf ganzer Linie war. Seine Verurteilung wurde nicht als politisch motiviert anerkannt, ihm wurde nur ein Teil der von ihm geforderten Entschädigungen zugesprochen und das Gericht hat ihm nicht in allen Punkten Recht gegeben.

Ganz objektiv kann man das Urteil, das in Russland gegen Navalny gesprochen wurde, als umstritten bezeichnen. Die russische Regierung hat den Brüdern die ihnen zugesprochenen Entschädigungen ausgezahlt. Das Oberste Gericht Russlands hat das Urteil aber nicht aufgehoben, sondern zur Revision an die Gerichte zurückgegeben, die dann später entschieden haben, dass sich am Strafmaß nichts ändert. Damit ist Russland den Auflagen des Europäischen Gerichtshofs nachgekommen.

Navalny hat gegen die Bestätigung seiner Verurteilung nicht vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt, was er ja hätte tun können.

Warum muss Navalny jetzt ins Gefängnis?

Deutsche „Qualitätsmedien“ wie der Spiegel suggerieren mit ihren Formulierungen, dass die Aufhebung der Bewährung ungerechtfertigt war. Das klingt zum Beispiel so:

„Am Ende folgt die Richterin, wie in Russland üblich, ganz den Vorschlägen der Staatsanwaltschaft. Von der 2014 verhängten Freiheitsstrafe von 3,5 Jahren werden allerdings jene zehn Monate abgezogen, die Nawalny damals schon in Hausarrest verbracht hat. Dass das zugrunde liegende Urteil vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vernichtend beurteilt wurde, spielt für die Richterin gar keine Rolle. Aber auch das ist erwartbar.“

Niemand kann bestreiten, dass Navalny gegen die Bewährungsauflagen verstoßen hat. Er sollte sich zweimal monatlich an festgelegten Tagen bei der Strafvollzugsbehörde melden, das hat er in den Jahren immer wieder ignoriert oder sich an anderen Tagen gemeldet. Und nachdem die Charité im The Lancet veröffentlicht hat, er sei ab dem 12. Oktober vollständig genesen gewesen, hätte er nach Hause fliegen und sich bei der Polizei melden müssen.

Viele deutsche Medien und Politiker verbreiten hingegen die Lüge, er sie verurteilt worden, weil er sich nicht bei der Polizei gemeldet habe, während er im Koma lag. Das ist unwahr, wie aus der Pressemeldung über seinen Haftbefehl von Ende Dezember eindeutig hervorgeht.

Hinzu kommt, dass es Navalny auch verboten war, zu nicht genehmigten Demos aufzurufen, was er aber regelmäßig getan hat. Die Staatsanwältin hat in der Verhandlung akribisch 60 Verstöße gegen die Bewährungsauflagen aufgezählt, die Navalny auch gar nicht bestritten hat. Er hat sich stattdessen wieder als politisch Verfolgten und den Prozess als politisch motivierten Prozess hingestellt und auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verwiesen, obwohl der keine politische Verfolgung erkennen konnte. Das war Effekthascherei, denn wer hat schon das Urteil gelesen und weiß, was da tatsächlich entschieden wurde?

Das Gericht hat daher auch die zuständige Behörde scharf gerügt, weil sie den fortgesetzten Verstößen Navalnys gegen seine Bewährungsauflagen jahrelang untätig zugeschaut hat. Nach russischem Recht hätte ihm die Bewährung schon viel früher gestrichen werden müssen. Und auch in Deutschland dürfte man seine Bewährung verlieren, wenn man so oft gegen die Bewährungsauflagen verstößt.

Man kann zu der Verurteilung Navalnys stehen wie man will, man kann sie nicht anerkennen, das ändert aber an einer Tatsache nichts: Es gab die Verurteilung und es gab Bewährungsauflagen. Wenn ich verurteilt wäre und das Urteil ungerecht fände, dann würde ich mich trotzdem an die Bewährungsauflagen halten, denn eines würde ich nicht wollen: Meine Strafe im Gefängnis absitzen.

Navalny hingegen hat das Gegenteil getan. Er hat gegen die Auflagen verstoßen und auf Aufforderungen der Behörden, er solle sich endlich wieder bei ihnen melden, mitteilen lassen, die Behörde könne sich zum Teufel scheren. Er hat es drauf angelegt, das kann man kaum bestreiten und er hat ein perfektes Timing gewählt und es medial perfekt inszeniert, die Details finden Sie hier.

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

7 Antworten

  1. Herr Röper, kann es sein, dass sie den Artikel etwas unkonzentriert verfasst haben?

    Direkt oben:
    „Der Europäische hat das Urteil von 2014 kritisiert, aber was genau steht in dem europäischen Urteil?“

    Oder dieser recht holprige Satz:

    „Die Brüder hatten eine Firma für logistische Dienstleistungen gegründet, während Navalnys Bruder an entscheidender Stelle bei der russischen Post arbeitete und hat Yves Rocher seine Firma als Anbieter für Transporte angeboten, die dann aber von der russischen Post durchgeführt wurden. “

    Oder:
    „Die Navalny-Brüder wurden dann zu jeweils dreieinhalb Haft verurteilt, Alexej Navalny auf Bewährung, sein Bruder ohne Bewährung. “

    Sie hauen die Artikel hier allerdings auch mit einer derart hohen Taktung raus, dass ich mich manchmal schon frage, ob das noch gesund ist! 😉

  2. Bruder Oleg nicht seinem Arbeitgeber, der russischen Post geschadet, weil er die Transporte über eben diese Firma abwickeln wollte und damit der Post Aufträge als Konkurrent wegnahm?
    Die Einschätzung des EuGH, das Urteil wäre zu hart ausgefallen, ist ohnehin nur eine Einschätzung westlich geprägter Richter, die auch mal zu hinterfragen wäre!

      1. Es ist deshalb auch keine Lüge von Yves Rocher, wenn sie sagen dass kein Schaden entstanden ist. In ihrer Kalkulation war der Preis wohl in Ordnung. Ich kann bei der Sache auch nicht wirklich einen Betrug sehen, schließlich ist es allein meine Sache, wie ich die verkaufte Dienstleistung erbringe. Sonst wäre ich ja mein ganzes Berufsleben über ein Betrüger gewesen, weil ich immer billiger eingekauft als verkauft habe. 🤔

      2. Ich habe auch mal gelesen, daß es damals nicht unüblich war, sich für größere Aufträge schmieren zu lassen. So muß man die Aussage von Yves Rocher verstehen, daß „kein Schaden entstanden wäre“. Denn direkt bei der Post hätte das am Ende das Gleiche gekostet – halt inklusive Schmiergeldzahlungen.

        Der Betrug lag also offenkundig darin, daß Oleg, der ja für die Post arbeitete, die Beförderungsleistungen zurückhielt, während die Abwicklung über seine eigene Firma problemlos funktionierte. Somit zwang er Yves Rocher, die zusätzlichen „Gebühren“ an die Firma der Nawalnys zu bezahlen, und das ist definitiv Betrug! Und – wenn die Post ein Staatsunternehmen ist – Korruption. Ja, damit kennen sich die Nawalnys definitiv aus…. 😉

  3. Man muß übrigens auch unterscheiden zwischen einem politisch motivierten Prozeß und einem politischen Prozeß!

    Politische Prozesse waren etwa die mehreren zehntausend Prozesse, die es in der Bundesrepublik Deutschland in den 50er bis 70er Jahren gegen Kommunisten gab, und die in mehreren tausend Fällen zu schweren Strafen und sogar mehrjährigen Haftstrafen führten. Die Angeklagten hatten keine Straftaten begangen, außer „Kommunist“ zu sein.

    Ein politisch motivierter Prozeß war dagegen der in Russland gegen Michail Chodorkowski. Dieser hatte sich Vergehen schuldig gemacht, die auch einige andere Oligarchen begangen hatten, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die Motivation lag offenkundig darin, an Chodorkowsi ein Exempel zu statuieren, da er sich offen in die Politik einmischte. Die Taten an sich waren jedoch eindeutig belegt und standen zum Zeitpunkt der Taten unter Strafe. Rechtlich gibt es also an den Verfahren nichts zu deuteln – trotz politischer Motivation.

  4. Dieser Artikel isch scho so alt, dass wohl niemand mehr diesen Kommentar liest…ausser vielleicht Röper :)…

    Sie schreiben:
    „Yves Rocher hat dann Anzeige erstattet. “ und „Ob Yves Rocher aufgrund von politischem Druck in der Heimat später behauptet hat, es wäre kein Schaden entstanden, nachdem die Firma vorher selbst Anzeige wegen Betruges erstattet hat, ist Spekulation. “

    Roche behauptet aber:
    „Die Firma Yves Rocher Vostok hat zu keinem Zeitpunkt Anzeige gegen die Nawalny-Brüder erstattet oder ein gerichtliches Verfahren irgendeiner Art angestrengt.“ und „Unsere Filiale tat nichts anderes, als die Fragen der örtlichen Behörden zu beantworten“.

    https://newsroom.yves-rocher.com/de/alexei_nawalny.html
    (Der ganze Text ist übrigens sehr lesenswert).

    Hat überhaupt noch irgendjemand in dieser Sach den Durchblick?

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