Rentenreform in Russland – Wie stehen die Russen dazu?

In den Medien wurde immer mal wieder über die Rentenreform in Russland berichtet, die sogar Putins Popularität, die vier Jahre lang bei über 80% gelegen hat, nun auf knapp über 60% gedrückt hat. Die Rentenreform ist tatsächlich ein großes Thema in Russland und selbst bei denen, die verstehen, dass es dazu kaum eine Alternative gibt, trotzdem unbeliebt. Das Rentenalter wurde in Russland seit Gründung der Sowjetunion nicht erhöht, also seit fast 100 Jahren. Daran nun zu rütteln, schafft Unruhe.
 
In der Tat ist es aber auch so, dass die Renten seit dem Zerfall der Sowjetunion vor knapp 30 Jahren ein schmerzliches Thema sind, weil sie viel zu niedrig sind. Während in den 1990er Jahren der Westen den ewig betrunkenen Jelzin als Garanten der neuen russischen Demokratie feierte und sich billige Förderrechte für russisches Öl und Gas sicherte, verarmte die Bevölkerung. 1999 galten 150 Dollar schon als gutes Gehalt, die Renten lagen weit niedriger.
 
Immerhin konnten die Menschen damals ihre Wohnungen privatisieren, was bedeutete, dass man die Wohnung, in der man wohnte, für einen „Appel und ein Ei“ zur Eigentumswohnung machen konnte. Daher musste damals immerhin fast niemand Miete zahlen. Das gilt auch heute noch. Zwar herrscht als Erbe der Sowjetunion immer noch ein Wohnungsmangel und es werden überall Wohnhäuser, ja ganze Stadtteile, neu gebaut. Aber auch diese Wohnungen sind Eigentumswohnungen.
 
Wohnungsbaugesellschaften, die wie in Deutschland tausende Wohnungen besitzen und vermieten, sind in Russland unbekannt. Wohneigentum ist den Russen sehr wichtig und ich kenne viele junge Menschen von Mitte zwanzig, die bereits in ihrer eigenen Wohnung leben, auch wenn diese natürlich finanziert ist. Aber wer es vermeiden kann, der wohnt nicht zur Miete, sondern kauft sich schon in jungen Jahren die erste eigene Wohnung.
 
Unter Putin sind Renten und Gehälter stark gewachsen, waren 1999 150 Dollar ein gutes Gehalt, sind es heute schon 1.000 Dollar und mehr, die als gutes Gehalt angesehen werden. Dass die Renten und Gehälter in Dollar oder Euro heute niedriger sind, als vor vier Jahren, liegt übrigens daran, dass der Rubel Ende 2014 durch Währungsspekulationen unter Druck geraten ist. Das ist also ein Effekt von Wechselkursschwankungen.
 
Wenn man mietfrei wohnt, Benzin nur 50 Cent kostet und eine Fahrt mit der U-Bahn 60 Cent, dann kann man von 1.000 Dollar gut leben. Auch die Renten sind gestiegen, heute liegen sie bei 180-190 Euro pro Monat. Immer noch viel zu wenig, aber Rentner haben auch noch andere Vorteile wie ermäßigte Tarife für den Nahverkehr oder auch auf Theaterkarten und vieles mehr. Damit sind die Renten immer noch viel zu klein, aber zur Vollständigkeit gehört, auch diese Dinge zu erwähnen.
 
Und natürlich hat Russland das gleiche Problem, wie alle anderen Flächenländer der Erde. Wer mal in New York oder Los Angeles war und anschließend im mittleren Westen der USA, der glaubt kaum, noch im gleichen Land zu sein. Es ist nun einmal so, dass sich der Reichtum in den großen Städten ballt und auf dem Land eher ärmliche Verhältnisse herrschen. Auch in Russland ist das so. Das macht Angaben zu durchschnittlichen Löhnen oder Lebenshaltungskosten schwierig.
 
Das Rentensystem in Russland ist wie in Deutschland als Umlage organisiert. Und da in Russland die Lebenserwartung in den Jahren unter Putin gestiegen ist, musste irgendwann etwas getan werden. Die Lebenserwartung von Männern stieg von 60 auf 66 Jahre, bei den Frauen 72 auf 77 Jahre. Und durch weitere Verbesserungen im Gesundheitssystem will Russland in zehn Jahren den Anschluss an westliche Länder finden und ebenfalls auf eine durchschnittliche Lebenserwartung von 80 Jahren kommen.
 
Dann kann man natürlich nicht wie heute Frauen mit 55 und Männer mit 60 in Rente gehen lassen. Dies ist auch eine Besonderheit in Russland: den Frauen wird ihre Doppelbelastung von Beruf und Familie mit einem früheren Renteneintritt ausgeglichen. Nach der Reform sollte das Rentenalter auf 65 Jahre für Männer und 63 Jahre für Frauen angehoben werden, wobei Putin aufgrund der Unpopularität der Reform nun das Rentenalter für Frauen jetzt nur noch auf 60 Jahre anheben will. Wie in Deutschland auch soll dies schrittweise stattfinden, jedes Jahr ein Jahr Erhöhung des Renteneintrittsalters.
 
Gleichzeitig soll mit dieser Erhöhung des Rentenalters auch die Rente erhöht werden. Es ist geplant, die Renten von heute durchschnittlich 190 Euro auf 270 Euro zu erhöhen. Das ist zwar immer noch nicht viel, bedeutet aber trotzdem eine Erhöhung um fast 50%.
Die Reform war so unpopulär, dass Putin etwas tat, was sehr selten ist. Er hielt eine außerplanmäßige Fernsehansprache an die Nation zu dem Thema und erklärte 30 Minuten lang, warum die Reform unumgänglich ist. Er ging auch auf alle Alternativen ein, die im Gespräch sind. So wurde gefordert, die Einnahmen aus Öl und Gas zur Quersubventionierung der Renten heranzuziehen, aber Putin zeigte auf, dass die dabei verfügbaren Summen gerade einmal die Ausgaben der Renten für zwei Monate abdecken und vor allem, dass es noch weniger wäre, wenn der Ölpreis mal wieder fällt. Und das Schicksal der Rentner den Preisschwankungen der Rohölmärkte anzuvertrauen, so Putin, sei keine Option. Auch andere Möglichkeiten, wie den Verkauf der Immobilien des staatlichen Rentenfonds erwähnte er, denn diese Immobilien in bester Lage sind natürlich ebenfalls ein Gesprächsthema in Russland. Aber erstens würde auch diese einmalige Einnahme innerhalb von ein bis zwei Monaten „verdampfen“ und zweitens müsste der Rentenfond dann zur Miete arbeiten, was auch wiederum Kosten zu Lasten der Renten bedeutet.
 
Und so ging Putin alle Möglichkeiten durch, man fragt sich allerdings, wie viele Russen diese Ansprache tatsächlich angeschaut haben.
 
Die Medien in Deutschland weisen bei diesem Thema gerne darauf hin, dass es in Russland „keine gesellschaftliche Diskussion“ zu dem Thema Rentenreform gegeben habe, was ein großer Unterschied zu Deutschland sei. Und ich frage mich, ob es denn in Deutschland eine solche „gesellschaftliche Diskussion“ gegeben hat, als das Rentenalter bei gleichzeitiger Senkung der Renten auf 67 Jahre erhöht wurde. Ich jedenfalls habe davon nichts mitbekommen.
 
Die Entscheidung dazu wurde hinter verschlossenen Türen von der Rürup-Kommission ausgebrütet und dann vorgestellt und vom Bundestag beschlossen. Natürlich gab es reichlich Protest gegen diese Reform, vielleicht meint die deutsche Presse das mit „gesellschaftliche Diskussion“. Aber geändert hat der Protest in Deutschland nichts an der Reform.
 
Da ist Russland anscheinend einen Schritt weiter: Putin hat auf die Proteste reagiert und einige Änderungen eingefordert. Das Rentenalter für Frauen statt auf 63 nun auf 60 Jahre zu erhöhen, wurde schon erwähnt. Außerdem soll es nun spezielle Gesetze geben, die älteren Arbeitnehmern besseren Kündigungsschutz geben und auch die Einstellung älterer Mitarbeiter soll gefördert werden. Und man soll nach einer bestimmten Anzahl von Berufsjahren abschlagsfrei in Rente gehen können, auch wenn man das Rentenalter noch nicht erreicht hat. Und noch einige andere Abmilderungen hat Putin angekündigt.
 
Es bleibt abzuwarten, ob der Widerstand gegen diese sehr unpopuläre Reform anhält.

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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