Gorbatschow veröffentlicht einen wichtigen und intelligenten Appell gegen ein neues Wettrüsten

Der Spiegel berichtet von einem Gastbeitrag, den Gorbatschow in der russischen Zeitung „Vedomosti“ über den Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag geschrieben hat. Der Spiegel redet sogar davon, dass Gorbatschow „deutliche Worte“ findet. Nur verschweigt der Spiegel diese deutlichen Worte, die Gorbatschow geschrieben hat und zitiert nur sehr wenige Halbsätze.

In seinem Artikel bleibt der Spiegel bei seiner neuen Sprachregelung und verschweigt weitgehend, dass die USA diesen wichtigen Abrüstungsvertrag einseitig gekündigt haben und schreibt zur Kündigung des INF-Vertrages: „Schließlich setzten beide Seiten den Vertrag aus – sie werfen sich gegenseitig Verstöße vor.“ Die Wahrheit ist aber, dass die USA den Vertrag einseitig kündigen und das auch noch in einer Art und Weise, die im Vertrag gar nicht vorgesehen ist. Aber der Spiegel kritisiert die USA nicht, er bleibt den USA treu, egal gegen wie viele Verträge sie verstoßen oder wie oft sie das Völkerrecht brechen.

Und auch Gorbatschows Kritik kommt im Spiegel nicht wirklich vor. Ich habe daher den Gastbeitrag von Gorbatschow, der unter der Überschrift „Im atomaren Wettlauf gibt es keine Sieger“ in der russischen „Vedomosti“ veröffentlicht wurde, übersetzt:

Beginn der Übersetzung:

Die Zeitung Wedomosti hat mich gebeten, mich zur Situation im Zusammenhang mit dem Vertrag über das Verbot von Kurz- und Mittelstreckenraketen (INF) zu äußern. Tatsächlich beunruhigt das Schicksal dieses Vertrags Politiker und Menschen auf allen Kontinenten. Ich mache mir auch Sorgen, nicht nur, weil ich im Dezember 1987 den Vertrag mit US-Präsident Ronald Reagan unterzeichnet habe. In den Geschehnissen sehe ich eine weitere Manifestation gefährlicher destruktiver Tendenzen in der Weltpolitik.

Die Idee, die für uns auf dem Weg zum Vertrag die wichtigste Leitlinie war, wurde in einer gemeinsamen Erklärung der Staats-und Regierungschefs der UdSSR und der Vereinigten Staaten zum Ausdruck gebracht, die bei unserem ersten Treffen in Genf angenommen wurde: „Ein Atomkrieg darf nicht zugelassen werden, es kann dabei keine Sieger geben“.

Der Vertrag war der erste Schritt, dem weitere folgten: der Vertrag über die Reduzierung strategischer Atomwaffen (START) und die gegenseitigen Schritte zur Beseitigung eines Großteils der taktischen Atomwaffen. Unsere Staaten haben ihre Militärdoktrinen mit dem Ziel überarbeitet, die Abhängigkeit von Atomwaffen zu verringern. Im Vergleich zum Höhepunkt des Kalten Krieges hat sich die Zahl der Atomwaffen in Russland und den USA um mehr als 80 Prozent verringert.

Der damals eingeleitete Prozess betraf nicht nur Atomwaffen. Das Übereinkommen über die Beseitigung chemischer Waffen wurde unterzeichnet, und die Länder Ost-und Westeuropas einigten sich darauf, ihre Streitkräfte drastisch zu reduzieren. Das war die „Friedensdividende“, die alle und vor allem die Europäer als Folge des Ende des Kalten Krieges erhalten hatten.

In all den Jahren hat der INF-Vertrag der Sicherheit unserer Länder gedient und die Möglichkeit der Stationierung von „Waffen für den nuklearen Enthauptungsschlag“ in der Nähe unserer Grenzen ausgeschlossen. Ich muss hier jedoch auch sagen, dass hochrangige russische Beamte ihn manchmal ungerechter Kritiken unterworfen haben, angeblich hätten wir diese Raketen nicht vernichten dürfen, sie hätten für uns noch mal nützlich sein können. Darauf habe ich entschieden geantwortet. Aber in letzter Zeit hat Russland eine klare Position für die Erhaltung des Vertrags eingenommen. Ich hoffe, dass dies ein tieferes Verständnis für die Bedeutung Vertrages und generell für die Fragen der strategischen Stabilität widerspiegelt.

Was in den Jahren, seit der Kalte Krieg beendet ist, erreicht wurde, ist in hohem Maße gefährdet. Die Entscheidung der USA, sich aus der INF-Vertrag zurückzuziehen, droht, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Und es war nicht der erste Schritt. Die Vereinigten Staaten weigerten sich, den Atomteststop-Vertrag zu ratifizieren. Als Folge einer einseitigen Entscheidung der USA im Jahr 2002 haben sie den Vertrag über die Begrenzung von Systemen zur Raketenabwehr (ABM) gekündigt. Von den drei Säulen der globalen strategischen Sicherheit – ABM, INF und START – ist nur noch der NEW-START-Vertrag übrig, der von den Präsidenten Medwedew und Obama im Jahr 2010 unterzeichnet wurde. Aber auch sein Schicksal ist ungewiss. Nach Aussagen von Vertretern der amerikanischen Regierung zu urteilen, kann auch er bald „in die Geschichte eingehen“.

Was ist passiert? Welche Bedrohung zwingt Amerika zur Zerstörung des Systems zur Begrenzung von Nuklearwaffen, das der Welt seit Jahrzehnten dient? Die Kündigung des INF-Verrages sollte gemäß Vertrag eine „Erklärung über die außergewöhnlichen Umstände enthalten, die nach Ansicht der kündigenden Partei ihre höchsten Interessen bedrohen“. Das heißt, der Staat, der einen so ernsten Schritt unternimmt, sollte der Weltgemeinschaft erklären, was ihn dazu bringt, das Gebäude der internationalen Sicherheit einzureißen.

Wo ist diese Bedrohung für die „höchsten Interessen“ der US-Sicherheit? Ein Land, dessen Militärausgaben die Ausgaben aller möglichen Rivalen um ein vielfaches übersteigen? Haben die Vereinigten Staaten gegenüber der Weltgemeinschaft, der Öffentlichkeit und dem UN-Sicherheitsrat, der geschaffen wurde, um solche, die Welt bedrohenden Probleme zu diskutieren und zu lösen, eine solche Erklärung abgegeben? Nein, das ist nicht geschehen. Stattdessen gibt es Anschuldigungen gegen Russland wegen angeblicher Verstöße, die selbst für erfahrene Spezialisten nur schwer zu verstehen sind. Und die Diskussion über diese Behauptungen erfolgte im Stile von Ultimaten.

Um ihre Position zu untermauern, beziehen sich die Vereinigten Staaten auch auf das Vorhandensein von Mittelstreckenraketen in anderen Ländern, insbesondere in China, Iran und Nordkorea. Aber das ist nicht überzeugend. Die Vereinigten Staaten und Russland besitzen immer noch mehr als 90 Prozent der weltweiten Atomwaffen. In diesem Sinne sind unsere beiden Länder tatsächlich noch „Supermächte“. Die Atomwaffenarsenale anderer Länder sind 10 bis 15 Mal kleiner. Wenn der Prozess der Reduzierung von Atomwaffen fortgesetzt würde, müssten sich natürlich irgendwann andere Länder, darunter Großbritannien, Frankreich und China, dem INf-Vertrag anschließen. Das war unser Verständnis zu dem Zeitpunkt, als wir den Prozess der nuklearen Abrüstung in Gang setzten, und diese Länder haben wiederholt das entsprechende politische Interesse bekräftigt. Aber es ist schwierig, von ihnen Zurückhaltung zu verlangen, wenn eine der Supermächten die Selbstbeschränkung aufhebt und ihr Atomwaffenarsenal ausbauen will.

Wir können nicht umhin, zu dem Schluss zu kommen, dass hinter der Entscheidung der USA, sich aus dem Vertrag zurückzuziehen, nicht die Gründe stehen, auf die sich amerikanische Führer berufen, sondern ein ganz anderer Grund: Der Wunsch der Vereinigten Staaten, sich von allen Beschränkungen im Bereich der Rüstung zu befreien, um eine absolute militärische Überlegenheit zu erlangen. „Wir haben viel mehr Geld als jedes andere Land“ sagte Präsident Trump „und wir werden unsere Rüstung aufbauen, bis sie zur Vernunft kommen“. Man muss davon ausgehen, dass sie der Welt ihren Willen zu diktieren wollen, welche Gründe gibt sonst?

Aber das ist ein illusorisches Ziel, eine unerfüllbare Hoffnung. Die Hegemonie eines Landes ist in der modernen Welt unmöglich. Das Ergebnis der aktuellen destruktiven Wende wird ganz anders aussehen: Die Destabilisierung der globalen strategischen Situation, ein neues Wettrüsten, eine zunehmend chaotische und unberechenbare Weltpolitik. Die Sicherheit aller Länder, einschließlich der USA, wird darunter leiden. Das ist die natürliche Logik aller unkontrollierbaren Prozesse.

Der US-Präsident sagte, die USA hoffen, einen neuen, „guten“ Vertrag abzuschließen. Was für einen Vertrag? Einen Vertrag über den Ausbau der Rüstung? Ich denke, dass niemand sich von diesem Versprechen in die Irre führen lassen sollte, wie auch von der Erklärung von US-Außenminister Pompeo, dass die Vereinigten Staaten „keine Pläne haben, sofort neue Raketen zu stationieren“. Das bedeutet nur, dass die Vereinigten Staaten diese Raketen noch nicht besitzen. Und diese Zusicherungen überzeugten die Europäer eindeutig nicht. Sie sind alarmiert und man kann sie verstehen. Alle erinnern sich noch an die „Raketenkrise“ der frühen 1980er Jahre, als Hunderte Raketen auf unserem Kontinent stationiert waren: sowjetische SS-20 und amerikanische „Pershings“. Und jeder weiß, dass eine neue Runde des Raketenwettrüstens noch gefährlicher sein wird.

Ich begrüße die Bemühungen der europäischen Länder, den INF-Vertrag zu retten. Die EU forderte die USA auf, „die Folgen eines Austritts aus dem Vertrag für die eigene Sicherheit, die Sicherheit ihrer Verbündeten und der Welt zu berücksichtigen“. Bundesaußenminister Heiko Maas, der davor warnte, dass „die Kündigung des INF-Vertrages viele negative Folgen haben wird“, reiste nach Moskau und Washington und versuchte, eine Lösung für das Problem zu finden. Es ist schade, dass dieser Versuch keine Ergebnisse gebracht hat, aber es ist notwendig, die Anstrengungen fortzusetzen – zu viel steht auf dem Spiel.

Diejenigen, die den Vertrag beerdigen wollen, sagen, dass sich die Welt seit seinem Abschluss stark verändert hat und der Vertrag einfach überholt ist. Das erste ist sicherlich wahr, aber das zweite ist zutiefst falsch. Die Veränderungen, die sich in der Welt vollzogen haben, erfordern nicht die Ablehnung von Abkommen, die nach dem Ende des Kalten Krieges die Grundlage für die internationale Sicherheit geschaffen haben, sondern eine weitere Bewegung hin zum Endziel der Beseitigung von Atomwaffen. Das sollte im Mittelpunkt unserer Bemühungen stehen.

Ich möchte mich an die Amerikaner wenden, insbesondere an die Mitglieder der Kongresses, an Republikaner und Demokraten. Ich bedauere, dass die aktuelle innenpolitische Lage in den Vereinigten Staaten in den letzten Jahren dazu geführt hat, dass der Dialog zwischen unseren Ländern zu fast allen Themen, einschließlich den Atomwaffen, beendet wurde. Es ist an der Zeit, den Streit zwischen den amerikanischen Parteien zu überwinden und ernsthafte Gespräche zu beginnen. Ich bin sicher, dass Russland dazu bereit sein wird.

Wir brauchen neue Ideen, die dazu beitragen würden, die Beziehungen zwischen Russland und Amerika wieder in Bewegung zu bringen. Hierbei spielen die Experten eine wichtige Rolle. Kürzlich haben der ehemalige US-Außenminister George Shultz und ich in einem Artikel, der in der „Russkaya Gazeta“ und in der „Washington Post“ veröffentlicht wurde, dazu aufgefordert, ein nichtstaatliches Forum russischer und amerikanischer Experten zu schaffen, um über die Veränderungen in der internationalen Sicherheit zu diskutieren und Lösungsvorschläge für die Regierungen unserer Länder zu entwickeln.

Das Wichtigste, was ich fordern möchte, ist ein ernsthaftes Umdenken bei den Politikern. Die Militarisierung des Denkens führte zur Militarisierung des Verhaltens der Staaten, zu militärischen Einsätzen in Jugoslawien, Irak, Libyen und anderen Ländern. Die Folgen werden noch sehr lange spürbar sein.

Der Schlüssel zur Lösung von Sicherheitsproblemen liegt nicht in Waffen, sondern in der Politik. Die beunruhigenden Ereignisse der vergangenen Wochen lassen keine wohlwollende Reaktion erwarten. Aber sie sollten auch nicht zu Panik führen. Es ist notwendig, die geschaffene Situation zu analysieren und vor allem zu handeln, um zu verhindern, dass die Welt in ein Wettrüsten, in eine Konfrontation, in Feindschaft abgleitet. Komme, was wolle, ich glaube, dass wir das schaffen können.

Ender der Übersetzung

Wenn es Sie interessiert, wie die russische Sicht auf die aktuellen Probleme der Weltpolitik ist, dann empfehle ich Ihnen, sich die Beschreibung zu meinem Buch anzusehen, die in dem Link unter dem Text zu finden ist. Ich habe dort Putin selbst in ausführlichen Zitaten zu Wort kommen lassen, sodass der Leser sich selbst ein Bild von dem machen kann, was Putin tatsächlich will. Ich bin sicher, sehr vieles davon wird für Sie neu und überraschend sein.

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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