Ist das schon ein offener Krieg? Viele Tote bei Kämpfen zwischen türkischen und syrischen Truppen

Bei einem Luftangriff sind ca. 30 türkische Soldaten getötet worden und die türkische Armee hat ca. 200 Ziele der syrischen Armee mit Artillerie beschossen. Die Türkei will nun die Nato um Hilfe bitten. Die aktuellen Entwicklungen.

Man muss es immer wieder deutlich zu Anfang sagen: Aus Sicht des Völkerrechts ist die Türkei mit ihren Soldaten illegal in der syrischen Provinz Idlib. Kein Staat darf einfach seine Truppen in ein anderes Land schicken. Hinzu kommt, dass die Türkei in einem Gebiet operiert, dass von einer Terrorgruppe beherrscht wird, die auch von der UNO als solche auf die Liste der internationalen Terrororganisationen gesetzt wurde. Die Türkei ist also illegal in Syrien und arbeitet dort mit Terroristen eines Al-Quaida-Ablegers zusammen.

Es gab im September 2018 das Abkommen von Sotschi, das für die Region eine Waffenruhe beschlossen hat. In dem Abkommen hat sich die Türkei verpflichtet, dafür zu sorgen, dass erstens die Terroristen von den „gemäßigten Rebellen“ (wer immer das sein soll) getrennt werden und dass zweitens die schweren Waffen mindestens 15 Kilometer von der Front zurückgezogen werden. Beides ist nie geschehen, die Terroristen haben im Gegenteil die syrische Armee und auch Wohngebiete in der nahe gelegenen Großstadt Aleppo immer wieder mit Artillerie beschossen.

Daher hat sich die syrische Armee vor einigen Wochen entschlossen, gegen die Terroristen vorzugehen. Dabei kam es auch immer wieder zu Gefechten zwischen syrischem und türkischem Militär. Die Türkei fordert von Syrien, nicht gegen die Terroristen vorzugehen, die sich wiederum immer in die Nähe der türkischen Streitkräfte zurückziehen, wenn sie unter Druck geraten, was natürlich die Türken selbst in Gefahr bringt, beschossen zu werden. Und das ist auch mehrmals geschehen. Andererseits schießt auch die türkische Armee aktiv auf syrische Truppen.

In den letzten 24 Stunden hat sich die Lage massiv verschärft.

Die Terroristen haben einen massiven Angriff gegen syrische Truppen begonnen und die syrische Armee hat ihre Luftwaffe eingesetzt. Dabei wurden mindestens 33 türkische Soldaten getötet und mindestens 36 weitere verletzt. Das ist eine massive Eskalation der Lage und hat zu einem sechsstündigen, nächtlichen Treffen des türkischen Sicherheitsrates geführt, der aber wohl auch keine gangbare Lösung gefunden hat.

Danach haben die türkischen Streitkräfte gemeldet, sie hätten 200 syrische Ziele vernichtet, darunter 23 Panzer und 10 gepanzerte Fahrzeuge. Eine türkische Zeitung hat außerdem gemeldet, ein syrischer Militärkonvoi sei vernichtet worden.

Diese Meldungen können stimmen und wenn das so ist, dann muss man wohl nun von einem offenen Krieg zwischen dem mit Russland verbündeten Syrien und dem Nato-Land Türkei sprechen. Keine sehr schöne Vorstellung. Zu der Reaktion der Nato komme ich später.

Die Meldungen können aber türkische Propaganda sein. Erdogan hat sich nämlich selbst in eine Zwickmühle gebracht. Er inszeniert sich als starker Mann und innenpolitisch könnte es ihm schaden, wenn er nun „den Schwanz einzieht“, also muss er Erfolge melden. Dass man im Krieg die Verluste des Gegners gerne übertreibt und die eigenen Verluste gerne herunterspielt ist ja keine neue Erscheinung.

Es ist also beides möglich: Die türkischen Angaben können stimmen oder auch nicht. Sicher kann man das momentan nicht sagen.

Erdogan ist derzeit in einer fast verzweifelten Lage und die westlichen Medien berichten mit spürbarer Schadenfreude, dass die „Männerfreundschaft zwischen Erdogan und Putin“ wohl gerade in einer Krise steckt. Warum Erdogan vor einigen Jahren die Nähe von Putin gesucht hat, können Sie hier nachlesen.

Der Streit mit Putin ist für Erdogan ein Problem, weniger für Putin. Erdogan hat es sich – obwohl die Türkei Nato-Mitglied ist – mit dem Westen weitgehend verscherzt. Die EU hat Sanktionen wegen eines Streits um Erdgas-Vorkommen bei Zypern Sanktionen gegen die Türkei verhängt und das Verhältnis ist schlecht Hinzu kommt noch der Streit um Flüchtlinge. Und die USA haben wegen des Streits um die S-400 Luftabwehrsysteme Sanktionen gegen die Türkei verhängt.

Die Türkei isoliert sich also gerade komplett, wenn sie sich auch noch ernsthaft mit Russland zerstreitet. Erdogan wird das wissen, denn er hat den von den USA unterstützten Putschversuch von 2016 sicher nicht vergessen. Damals war es Putin, der ihm den Hals gerettet hat und danach rückte Erdogan nahe an Russland heran.

Es ist daher schwer verständlich, warum Erdogan jetzt mit so hohem Einsatz spielt. Russland hat immer klar gemacht, dass es die Präsenz der Al-Qaida in Idlib nur als vorübergehend betrachtet und die Region über kurz oder lang wieder unter syrische Kontrolle bekommen und die Terroristen vertreiben will. Eine Al-Qaida-Hochburg vor den Toren Europas kann eigentlich auch die EU nicht wollen, trotzdem stellt sich die EU seit Jahren gegen die syrischen Versuche, die Al-Qaida in Idlib zu besiegen.

In der letzten Nacht haben die Terroristen auch die syrische Stadt Latakia mit Raketenwerfern beschossen, es soll aber nur Sachschaden gegeben haben.

Erdogan hat indessen in der Türkei verkündet, die syrische Armee nun als „Feind“ zu betrachten. Das lässt auf eine weitere Eskalation schließen. Außerdem hat die Türkei erneut militärisches Gerät in die Provinz Idlib verlegt. Die Rede ist von ca. 20 Militärfahrzeugen, die in die Region verlegt wurden, außerdem sollen auch zwei F-16-Jäger der Türkei aktiv sein. Ein Zusammenstoß in der Luft, bei dem Flugzeuge abgeschossen werden, würde die Lage noch einmal eskalieren.

Die Türkei bemüht sich nun um Unterstützung im eigentlich nicht geliebten Westen. Um Druck auf die EU zu machen, droht die Türkei an, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen. In Idlib sind ca. eine Million Zivilisten, von denen viele vor den Kampfhandlungen fliehen. Die Türkei will sie nicht aufnehmen und droht offen, sie nach Europa ziehen zu lassen. Dadurch soll die EU gezwungen werden, sich auf die Seite der Türkei zu stellen, denn nur durch eindeutige Unterstützung gegen Syrien und Russland könnte die Türkei davon absehen.

Die Türkei will demnach ihre Grenzen zur Region Idlib für 72 Stunden öffnen und den Flüchtlingen auch gleichzeitig die Grenzen in Richtung Europa öffnen. Es handelt sich also – wenn die Meldungen stimmen – nicht um eine abstrakte Drohung für die Zukunft, sondern es geschieht bereits.

Die Nato hält heute ein außerplanmäßiges Treffen ab, um über die Situation zu beraten. Das Treffen wurde aufgrund von Artikel 4 des Nato-Vertrages einberufen. Nach diesem Artikel hat jedes Land das Recht, ein solches Treffen zu beantragen, wenn seiner Meinung nach „die Unversehrtheit des Landes, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit des Landes bedroht ist“.

Die Nato hatte vorher mitgeteilt, das sie in der Situation in Idlib keine Grundlage für die Aktivierung des Artikels 5, also des Bündnisfalls, sehe. Der Grund: Die Vorgänge finden in einem fremden Land statt, der Bündnisfall setzt aber voraus, dass ein Nato-Mitglied im eigenen Land unprovoziert angegriffen wird.

Trotzdem ist die Lage mehr als ernst, eine direkte Konfrontation zwischen Russland und dem Nato-Mitglied Türkei kann unberechenbare Folgen haben.

Die USA sehen in der Situation nun die Chance, die Türkei doch noch vom Kauf der russischen S-400 abzubringen. Der Nato-Botschafter der USA sagte vor Journalisten:

„Wir haben unser Bestes gegeben, unserem Verbündeten zu erklären, dass wir mit ihnen im Bündnis bleiben wollen, dass sie kein russisches Raketenabwehrsystem im Herzen ihres Landes haben und gleichzeitig die Zusammenarbeit mit den Verbündeten gewährleisten können. Ich hoffe, dass Präsident Erdogan verstehen wird, dass wir in der Vergangenheit und der Zukunft ihr Verbündeter sind, sie müssen die S-400 aufgeben (…) Sie sehen, was Russland ist. Sie sehen, was sie jetzt tun. Wenn sie türkische Truppen angreifen, dann muss das schwerer wiegen, als alles, was zwischen der Türkei und Russland vor sich geht (…) Ich hoffe sehr, dass Präsident Erdogan versteht, wer sein zuverlässiger Partner ist und wer nicht“

Ob man von einem „zuverlässigen Partner“ sprechen kann, wenn der „zuverlässige Partner“ Sanktionen gegen seinen „Verbündeten“ verhängt, muss jeder für sich entscheiden

Wer sich die Frage „Cui bono?“, also „Wem nützt das?“, stellt, der stellt fest, dass es die USA sind, die von der Eskalation profitieren. In Washington hofft man, einen Keil zwischen Russland und die Türkei treiben zu können und Erdogan wieder „unter Kontrolle“ zu bekommen. Das bedeutet nicht, dass die USA an der Entwicklung Schuld sind, aber nützen tut sie ihnen auf jeden Fall.

Die Schuld liegt eindeutig bei Erdogan. Er hat – das bestreiten auch westliche Medien nicht – das Abkommen von Sotschi mit Russland nicht umgesetzt. Die Terroristen haben ihre Waffen nicht abgezogen, es hat nie einem Waffenstillstand gegeben und die Terroristen haben über ein Jahr lang syrische Ziele – auch zivile – beschossen. Erst nach über einem Jahr ist Syrien in die Offensive gegangen.

Erdogan steht mit seinen Truppen illegal in einem fremden Land und arbeitet dort mit Terroristen zusammen.

Dass das für Russland die rote Linie sein würde, hat Russland immer wieder deutlich gesagt. Vielleicht hat Erdogan das über einjährige Stillhalten der Russen und Syrer falsch interpretiert und gedacht, er käme damit durch. Die Rechnung geht offensichtlich (zumindest bisher) nicht auf.

Die große Frage ist nun, wie sich ein offener Krieg vermeiden lassen kann. Eine Seite muss nachgeben, die Frage ist, welche das sein wird. Ansonsten wird die Lage in der Region unkontrollierbar.

Unverständlich ist die Haltung des Westens. Die Medien stellen sich mehr oder weniger offen auf die Seite von Erdogan und stellen Syrien und Russland als Bösewichte dar, während sie die Zusammenarbeit Erdogans mit den Terroristen nur am Rande erwähnen. Im Spiegel klingt das heute zum Beispiel so:

„Der Vorfall könnte für eine Eskalation in der Region sorgen. Idlib ist das letzte große Rebellengebiet in Syrien. Denn die Türkei unterstützt in dem Konflikt islamistische Rebellen. Mit Russland als Schutzmacht der syrischen Regierung hatte sie ein Abkommen getroffen, um in Idlib eine Deeskalationszone zu schaffen, und hatte dort Beobachtungsposten eingerichtet.“

Der Spiegel stellt sich auf Erdogans Seite und der Leser muss die langen Artikel schon sehr aufmerksam lesen, wenn er diese kurzen Einschübe erkennen will, in denen man lesen kann, mit wem Erdogan tatsächlich zusammenarbeitet (mit Islamisten) und dass er das Abkommen von Sotschi nicht umgesetzt hat.

Ich will heute nicht schon wieder auf die propagandistischen Artikel im Spiegel eingehen. Ich habe das erst vor wenigen Tagen im Detail aufgezeigt, wie Sie hier nachlesen können. Ich würde mich weitgehend wiederholen, denn der Spiegel fährt seine Linie unbeirrt auch heute in mehreren Artikeln weiter und benutzt wieder die gleichen Propaganda-Hilfsmittel.

Auch Politiker im Westen scheinen eine Zusammenarbeit mit Terroristen besser zu finden, als den Kampf gegen sie. Der deutsche Außenminister Maas hat Russland und Syrien im UNO-Sicherheitsrat in der Nacht vorgeworfen, Kriegsverbrechen zu begehen. Erdogans Unterstützung für die Al-Qaida hat er hingegen mit keinem Wort erwähnt.

Das lässt nichts Gutes erwarten.


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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

5 Antworten

  1. Diesen Link
    https://syriancivilwarmap.com/
    hatte ich schon einmal gepostet, gehört hier auch wieder hin.

    Wenn ich den Spiegelartikel nicht lese und mir nur die Kommentare anschaue, dann weiß ich, warum ich den Spiegel nicht lesen muss.
    Die Bildunterschrift (Bild mit dem Kind zum Maas Artikel) ist wieder komischer Weise korrekt…
    „…mut-Maas-licher Angriff…“

    Maas und die gesamte Regierung gehören zu einem Kurztripp nach Idlib befördert…oder für immer…ich kann mich nicht entscheiden…

  2. In den USA dürften sich die Kriegsverbrecher Pompeo und Esper die Hände reiben, wenn Syrer und Türken sich die Köpfe einschlagen und evtl. Russland noch mit in den Konflikt hineingezogen wird. Die Türkei wird bei einer Ausweitung des Konflikts auf die Hilfe der USA angewiesen sein und kommt so wieder kürzer ans Gängelband der US/NATO. Natürlich kann man Assad und Putin auch wieder für das zu erwartende Flüchtlingselend verantwortlich machen, da mit solch üblen Propaganda kennt man sich in den westlichen „Qualitätsmedien“ und der Politik ja bestens aus! Im Staatssender ARD mit seiner Tagesschau war von einer sehr „emotionalen“ Rede des Hilfsaußenministers Maas die Rede! Dass er selber als US- und NATO-Steigbügelhalter an der Situation mit verantwortlich ist, kommt der Maas offensichtlich nicht!

    1. Sie müssen sich unbedingt die Tatsache vergegenwärtigen, dass der islamistisch-nationalistische türkische Diktator Erdogan ebenfalls ein Kriegsverbrecher wie der korpulente Evangelikale Pompeo ist und im Gegensatz zum polnischen Möchtegern-Diktator Kaczynski oder wie er spöttisch im englischsprachigen Raum tituliert wird Cuckzynski die Ziel seiner eigenen aggressiven, originär türkischen Außenpolitik auch ohne Absprache mit dem sterbenden Imperium Vereinigte Unrechtsstaaten von Adipositas verfolgt.

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