Der Fall Navalny und die Feinheiten der Diplomatie: Interessant ist, was Deutschland nicht verkündet

Deutschland verweigert Russland hartnäckig die Beantwortung der russischen Rechtshilfegesuche. Das ist nicht neu, wer sich aber mit den Feinheiten der internationalen Diplomatie auskennt, für den sind die Details umso vielsagender.

Ich habe mehrmals darüber berichtet, dass Deutschland die Beantwortung der russischen Rechtshilfegesuche im Fall Navalny de facto verweigert. Ganz aktuell wurde dem fünften russischen Rechtshilfegesuch nicht entsprochen. Unter Umständen sind hier die Feinheiten interessanter, als das, was an der Oberfläche liegt.

In der internationalen Diplomatie wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Daher sind auf den ersten Blick nichtssagende Erklärungen für politische Analysten oft hochinteressant und sagen weit mehr aus, als der Laie dem Text entnehmen kann. Manchmal ist es sogar noch wichtiger, was nicht gesagt wird, als das, was gesagt wird. Natürlich – das liegt in der Natur politischer Analysen – kann man sich bei der Interpretation dieser Diplomatensprache auch irren. Aber mir ist bei der Frage der Nicht-Beantwortung der russischen Rechtshilfegesuche etwas aufgefallen, was vielleicht wichtig sein könnte.

Das Europäische Abkommen über Rechtshilfe

Die russischen Rechtshilfegesuche wurden auf der Grundlage des Europäischen Abkommen über Rechtshilfe gestellt. Das Abkommen ist aus dem Jahre 1959 und solche Gesuche sind normalerweise reine Routine und werden schnell beantwortet. Dieser Fall, das Deutschland die Antworten verweigert, ist einmalig.

Einmalig ist dabei nicht, dass die Beantwortung verweigert wird, einmalig ist, dass dafür keine Begründung geliefert wird. Das Abkommen sieht nämlich Ausnahmen vor, in denen eine Antwort verweigert werden kann. Daher ist es in meinen Augen merkwürdig, dass Deutschland sich nicht auf diese Ausnahmen beruft. Schauen wir uns die Ausnahmen einmal an.

In Artikel 2 des Europäischen Abkommen über Rechtshilfe sind zwei Ausnahmefälle festgeschrieben, unter denen ein Staat den Beantwortung eines Rechtshilfegesuches verweigern kann. Schauen wir uns einmal an, warum sich Deutschland (möglicherweise) nicht auf diese Bestimmungen beruft.

Politische Verfolgung

Die erste Ausnahme in dem Abkommen lautet:

„wenn sich das Ersuchen auf strafbare Handlungen bezieht, die vom ersuchten Staat als politische, als mit solchen zusammenhängende oder als fiskalische strafbare Handlungen angesehen werden“

Es geht also um politische Verfolgung. Wenn Deutschland der Meinung wäre, es handle sich im Fall Navalny um politische Verfolgung, könnte Deutschland sich darauf berufen und die Beantwortung der russischen Rechtshilfegesuche verweigern. Und Deutschland erweckt doch ständig den Eindruck, Navalny sei ein politisch Verfolgter und die russische Regierung habe deswegen versucht, ihn zu vergiften.

Warum also beruft Deutschland sich nicht auf diesen Artikel?

Hier darf munter spekuliert werden und das tue ich nun. Es ist in der Politik das Eine, was man für die „dumme Öffentlichkeit“ in die Mikrofone der Presse quatscht, aber etwas anderes, was man in offiziellen Dokumenten und Erklärungen verkündet. Für die „dumme Öffentlichkeit“ steht die deutsche Regierug auf dem Standpunkt, Navalny sei von der russischen Regierung vergiftet worden. Aber in offiziellen Erklärungen behauptet sie das nicht.

Darüber habe ich schon berichtet, als die Bundeskanzlerin die angeblich „zweifelsfreie“ Vergiftung Navalnys verkündet hat. Merkel sagte für die „dumme Öffentlichkeit“ folgendes:

„Er sollte zum Schweigen gebracht werden. (…) Es stellen sich jetzt sehr schwerwiegende Fragen, die nur die russische Regierung beantworten kann und beantworten muss.“

Interessanterweise klang das in der von ihrem Sprecher Seibert veröffentlichten offiziellen Erklärung aber ganz anders. Lesen Sie selbst, er hat die offizielle Erklärung der Bundeskanzlerin per Twitter geteilt und da fehlen diese offenen Vorwürfe in Richtung Russland.

Schon damals habe ich darauf hingewiesen, dass sich die Worte der Kanzlerin an das „dumme Volk“ und ihre offizielle Erklärung sehr voneinander unterscheiden und habe dazu geschrieben:

„In der offiziellen Erklärung hat die Bundesregierung sorgsam jeden Hinweis auf die Schuld der russischen Regierung vermieden. Dort ist lediglich von einer Aufforderung an die russische Regierung die Rede, den Fall aufzuklären. Wir haben also zwei unterschiedliche Erklärungen, einmal die nicht-offizielle wörtliche Erklärung der Kanzlerin für die Presse, die eine Schuld der russischen Regierung impliziert und die offizielle Erklärung der Bundesregierung, in der davon nicht die Rede ist.“

Das kann man so interpretieren, dass die deutsche Regierung für die „dumme Öffentlichkeit“ Russland beschuldigt, sich aber in offiziellen diplomatischen Äußerungen zurückhält und hofft, dass die Sache als „Sturm im Wasserglas“ ohne wirkliche Folgen endet. Ein Hinweis darauf, dass das Ziel der Bundesregierung sein könnte ist die Tatsache, dass Deutschland keine harten EU-Sanktionen wegen des Falls Navalny fordert.

Merkel ist damit früher oft durchgekommen, wenn sie Putin auf Pressekonferenzen zwar heftig angegangen ist und zum Beispiel im Falle der Krim von einem „kriminellen Verhalten“ Russlands gesprochen hat, aber hinter verschlossenen Türen viele für beide Seiten gangbare Lösungen gefunden hat. Und Putin hat sich nie negativ über Merkel geäußert, er hat im Gegenteil immer mit Verständnis und positiven Worten reagiert, wenn er kritisch zu Merkels Politik gefragt wurde. Er hat – Sie können dazu in meinem Buch über Putin viele Beispiele finden – immer sinngemäß gesagt, man müsse verstehen, dass Deutschland nicht souverän ist und Merkel daher unter gewissen Zwängen stehe.

Anscheinend hat Merkel gehofft, wieder damit durchzukommen. Aber da es dieses Mal im Ergebnis um einen offenen Angriff gegen Putin selbst ging, scheint sie den Bogen dieses Mal überspannt zu haben, wie die Erklärungen aus Moskau zum russisch-deutschen und zum russisch-europäischen Verhältnis vermuten lassen.

Destabilisierung im eigenen Land

Die zweite Ausnahme, die das Abkommen vorsieht, klingt so:

„wenn der ersuchte Staat der Ansicht ist, daß die Erledigung des Ersuchens geeignet ist, die Souveränität, die Sicherheit, die öffentliche Ordnung (ordre public) oder andere wesentliche Interessen seines Landes zu beeinträchtigen“

Im Klartext bedeutet das: Wenn Deutschland der Meinung ist, dass die Beantwortung der russischen Rechtshilfegesuche eine Destabilisierung der politischen Lage in Deutschland selbst zur Folge hätte, könnte Deutschland deswegen die Beantwortung verweigern.

Das kann die deutsche Regierung gar nicht als Grund anführen, ohne in Deutschland sehr viele Fragen zu provozieren: „Was bitte schön ist an der Beantwortung der russischen Fragen geeignet, die öffentliche Ordnung in Deutschland zu gefährden?“ würde man dann fragen müssen. Und eine solche Frage will die Bundesregierung natürlich nicht selbst provozieren.

Aber nehmen wir einmal an, Russland habe recht und es hat keine Vergiftung Navalnys gegeben, sondern Deutschland hat sich die Vergiftung – warum auch immer – ausgedacht. Was ist dann der Grund für Deutschlands Handeln? Und würde der Grund, sollte er bekannt werden, vielleicht sogar die öffentliche Ordnung in Deutschland gefährden? Das ist reine Spekulation.

Aber wenn man sich das Timing der angeblichen Vergiftung und ihrer Folgen anschaut, hätte es von den Gegnern Russlands gar nicht besser geplant werden können. Die angebliche Vergiftung erfolgte unmittelbar vor russischen Wahlen und hat natürlich viele negative Schlagzeilen verursacht. Aber welche Regierung ist vor Wahlen im eigenen Land an negativen Schlagzeilen interessiert?

Danach wurde Navalny schnell wieder gesund, hat seinen Film über Putins angeblichen Palast gedreht und so lange mit der Rückkehr nach Russland gewartet, bis dort ein Haftbefehl wegen seiner Verstöße gegen seine Bewährungsauflagen erlassen wurde. Er hat auf Anfragen, seine Bewährungsauflagen zu erfüllen und sich nach seiner Genesung wieder bei der russischen Polizei zu melden, sogar reagiert und die Behörden offen zum Teufel geschickt. Er hat den Haftbefehl regelrecht provoziert. Und kaum gab es den Haftbefehl, ist er zurückgeflogen und hat sich kamerawirksam verhaften lassen. Er hat die Schlagzeilen beherrscht und genau in dem Moment seinen Film über Putins angeblichen Palast veröffentlicht. Das war nur ein grober Abriss, die genauen Details über das perfekte Timing finden Sie hier.

Anscheinend dachte auch Navalny, dass er wieder damit durchkommt, so wie seine schon vorher etwa 60 Verstöße gegen die Bewährungsauflagen nie Folgen gehabt haben. Er hat wahrscheinlich darauf gesetzt, dass die russische Justiz wieder darüber hinwegsehen würde, um negative Presse zu vermeiden. Wenn das so ist, hat er sich offensichtlich verrechnet.

Auch die Tatsache, dass Russland nun gegen Navalny durchgreift und ihn nicht mehr mit seinen fortgesetzten Verstößen gegen die Bewährungsauflagen und anderen Provokationen durchkommen lässt zeigt, dass Russland offensichtlich die Geduld verloren hat. Gleiches scheint für Merkels fortgesetzten Balanceakt zwischen offen anti-russischen Tiraden für die Presse und sachlichen Gesprächen hinter verschlossenen Türen zu gelten.

Im Interesse guter deutsch-russischer Beziehungen bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung verstanden hat, dass sie den Bogen überspannt hat und dass sie nun schnell einen Weg aus der selbstverschuldeten Sackgasse sucht.

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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

8 Antworten

  1. Zitat: „Im Interesse guter deutsch-russischer Beziehungen bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung verstanden hat, dass sie den Bogen überspannt hat und dass sie nun schnell einen Weg aus der selbstverschuldeten Sackgasse sucht.“

    Die haben gar nicht die Zeit dafür, Wege aus der Sackgasse zu finden, weil sie die Wege zur Ostfront instand setzen müssen, damit die US-Panzer rollen können.

  2. Hallo Thomas, die Merkel kann die Rechtshilfeersuchen gar nicht beantworten lassen, weil sie den Fall doch kürzlich wegen der Rücksichtnahme auf „ausländische Partner“ zum Staatsgeheimnis erklären ließ. Diese „ausländischen Partner“ dürften die CIA und der MI6 sein. Wenn sie die hochgehen lässt, dürfte mit ihr das passieren, was angeblich mit Nawalny gemacht wurde!

    1. Kutusow: „Wenn sie die hochgehen lässt, dürfte mit ihr das passieren, was angeblich mit Nawalny gemacht wurde!“

      Zu Nawalny gäbe es aber Unterschiede. Bei Kanzler Merkel würden die sicher nicht die Unterhose wählen. 🤮 Außerdem würde sie nicht überleben. 😁

      1. Du nun wieder! In die Bux würden sie der nichts schmieren! Die alten Methoden, Schierlingsbecher oder seidene Schnur würden auch ausfallen, also kämen die aktuellen Methoden zur Anwendung. Herzinfarkt, Selbstmord aus Kummer, Autounfall, Flugzeugabsturz! Das würde die mit Sicherheit nicht überleben!

        1. „In die Bux würden sie der nichts schmieren!“
          Oh Mann, Schei.. Kopfkino. Da will man ja gar nicht darüber nachdenken…
          Dann eher „Selbstmord aus Kummer“ wegen Schei… Frisur und Hängebackensyndrom;-)

  3. Kleine Randbemerkung:

    Die deutschen Medien sind gerade wieder mal wie synchronisiert. Sowohl Spiegel als auch das ZDF brachten in ihrer Meldung über die Ablehnung der Berufung gegen das Urteil den Satzbaustein unter, daß das Gericht bzw. die russischen Behörden Nawalny „vorwerfen würden, gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen zu haben, während er sich in Deutschland von einer Vergiftung mit Nowitschok erholte“. Das ist nicht völlig falsch, jedenfalls, wenn man den Begriff der „Erholung“ sehr weit auslegt, unterschlägt aber mit Absicht daß Nawalny schon seit langem die Auflagen verletzt, und die meisten der vom Gericht aufgeführten 60 Bewährungsverstöße aus der Zeit vor seiner „Vergiftung“ stammen.

    Propaganda vom Feinsten. Vermutlich stammt die Vorgabe aus der dpa…

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