Ryanair-Landung in Minsk

Pressekonferenz von Protasewitsch und was die Medien daraus machen

Der nach der Notlandung in Minsk verhaftete weißrussische Oppositionelle Roman Protasewitsch hat an einer Pressekonferenz teilgenommen. Der Spiegel spricht davon, Protasewitsch sie vorgeführt und dazu gezwungen worden. Was gesagt wurde und Bilder der Pressekonferenz werden westlichen Lesern vorenthalten.

Man kann lange darüber spekulieren, ob Protasewitsch gezwungen wurde, dem weißrussischen Fernsehen das lange Interview zu geben (ich habe es übersetzt, Sie finden es hier), oder an der aktuellen Pressekonferenz teilzunehmen. Um sich dazu ein eigenes Bild zu machen, muss man sich die Bilder anschauen und wissen, was er gesagt hat. Genau diese Möglichkeit verweigern westliche „Qualitätsmedien“ ihren Lesern und Zuschauern jedoch. Also mache ich das.

Wurde Protasewitsch gefoltert?

Nach dem Interview im weißrussischen Fernsehen wurde im Westen behauptet, er sei gefoltert worden, weil in einigen Einstellungen Abschürfungen an seinen Handgelenken zu sehen waren. Gleich die erste Frage bei der aktuellen Pressekonferenz, zu der übrigens westliche Journalisten zugelassen waren und kritische Fragen stellen konnten, drehte sich um das Thema. Protasewitsch sagte dazu:

„Das waren die Abdrücke von den Fesseln, die sie mir bei der Verhaftung angelegt haben, da die Verhaftung für die Beamten offenbar so unerwartet war, dass sie keine Handschellen nicht dabei hatten. Jeder von Ihnen kann herkommen und sich meine Handgelenke anschauen.“

Dabei zeigte er seine Handgelenke vor, an denen keine Abdrücke mehr zu sehen waren. Außerdem waren die Lichtverhältnisse bei der Pressekonferenz hervorragend, sodass man auch sehen kann, dass er keine Male von Verletzungen im Gesicht trägt, obwohl im Westen behauptet wird, er wäre geschlagen worden, seine Nase sei gebrochen oder ihm seien Zähne ausgeschlagen worden. All das ist offensichtlich nicht wahr.

Die westlichen Medien und die Wahrheit

Ich werde dieses Mal nicht die ganze Pressekonferenz von Protasewitsch übersetzen, sie dauerte eine halbe Stunde und viele Fragen waren nicht allzu interessant. Ich verlinke jedoch das Video der Pressekonferenz, damit sich jeder aus Protasewitschs Körpersprache ein eigenes Bild davon machen kann, ob er unter Druck gesetzt wird, oder eher locker wirkt. Übrigens sagt er zu Beginn der Pressekonferenz, er habe erst zwei Stunden vor der Pressekonferenz „von dieser Möglichkeit erfahren“ und sei „ein wenig nervös, aber das kriegen wir schon hin.“

Hier werde ich einen Bericht des russischen Fernsehens über die Pressekonferenz übersetzen, der die wichtigsten Aussagen so zusammenfasst, wie ich es auch in etwa getan hätte. Anschießend, nachdem Sie den russischen Bericht gelesen (und bei Interesse auch angeschaut) haben und auch das Video der kompletten Pressekonferenz anschauen konnten, werden wir uns ansehen, was der Spiegel aus der Geschichte gemacht hat.

Hier zunächst das Video der Pressekonferenz.

Белорусские силовики привели Романа Протасевича на пресс-конференцию в Минске

Nun kommen wir zur Übersetzung des Berichtes des russischen Fernsehens und danach zu dem, was der Spiegel als „Berichterstattung“ bezeichnet.

Beginn der Übersetzung:

Roman Protasewitsch sprach auf einer Pressekonferenz in Minsk. Was ist heute über die Methoden der Opposition bekannt und warum hat der Ryanair-Pilot beschlossen, das Flugzeug in Minsk zu landen?

Er sagt, dass er niemanden verraten hat und seine Überzeugungen sich nicht geändert haben, aber derzeit sei der für ihn sicherste Ort die Untersuchungshaftanstalt. Roman Protasewitsch, der Gründer des Telegram-Kanals Nexta, der Ende Mai nach der Notlandung eines Passagierflugzeugs in Minsk inhaftiert wurde, gab eine Pressekonferenz für Journalisten, in der er nicht nur darüber sprach, wie er in Weißrussland behandelt wurde, sondern auch eine Menge kurioser Fakten über seine Mitstreiter preisgab, die nun wahrscheinlich zu Ex-Mitstreitern geworden sind. Vor wem hat Protasewitsch solche Angst, dass er bereit ist, im Gefängnis zu bleiben?

Roman Protasewitsch, der bisher nur mit den Ermittlern und einem Moderator des staatlichen Fernsehens gesprochen hat, trat heute vor einem viel größeren Publikum auf: sowohl vor Journalisten westlicher Medien als auch der Oppositionsmedien, die immer die unerwartetsten Fragen haben.

„Es gibt Informationen, dass Sie im KGB-Haftzentrum von Alexander Lukaschenko persönlich geschlagen wurden.“, lautete gleich die erste Frage.

„Es ist gut, dass Sie das Gespräch mit einem Scherz begonnen haben. Ich werde das nicht einmal kommentieren, das ist einfach lächerlich“, sagte Protasewitsch.

Die BBC-Vertreter verließen vor der Pressekonferenz den Saal, weil Protasewitsch, wie sie glauben, gezwungen wurde, das Interview zu geben. Roman zeigt seine Handgelenke, an denen Blogger zuvor einige Verletzungen gesehen haben.

„Das waren die Abdrücke von den Fesseln, die sie mir bei der Verhaftung angelegt haben, da die Verhaftung für die Beamten offenbar so unerwartet war, dass sie keine Handschellen dabei hatten. Jeder von Ihnen kann herkommen und sich meine Handgelenke anschauen.“, erklärte Protasewitsch.

Der Blogger wandte sich auch an seine Eltern, die in Warschau leben und regelmäßig berichten, dass Roman körperlich unter Druck gesetzt wird. Solche Pressekonferenzen finden in der Regel in Anwesenheit von Oppositionellen statt, für die die Verhaftung von Protasewitsch eine Chance ist, die verblassten Proteste wiederzubeleben.

„Mama, Papa, mir geht’s gut. Ich sehe, dass meine Eltern jetzt einfach benutzt werden, sie reisen zu irgendwelchen Protesten, hinter ihrem Rücken stehen bestimmte politische Figuren“, sagte Protasewitsch.

Trotzdem hatte der Ryanair-Flug alle Möglichkeiten, nicht in Minsk zu landen, sondern in Vilnius, wohin er unterwegs war. Das weißrussische Militär macht darauf aufmerksam, wie seltsam sich die Besatzung wenige Kilometer vor der Grenze zu Litauen verhalten hat:

„Das Flugzeug reduziert nicht die Flughöhe, um zur Landung überzugehen. Es fliegt nicht über die Grenze, obwohl niemand es daran gehindert hat.“

In Weißrussland heißt es, dass die Kehrtwende der Boeing tatsächlich geplant gewesen sein könnte, und zwar von denen, für die die Verhaftung von Protasewitsch von Vorteil gewesen sein könnte. Der Blogger ist sich sicher, dass er von seinen ehemaligen Kollegen reingelegt wurde: „Ich weiß, dass mich viele Leute regelrecht einen Verräter nennen, aber mein Gewissen ist völlig rein. Ich kooperiere mit den Ermittlern, ich helfe meinem Land und habe die Absicht, weiterhin zu helfen.“

Protasewitsch wird nach drei Paragrafen des weißrussischen Strafgesetzbuches angeklagt, darunter Organisation von Unruhen und Aufstachelung zum Hass. Der Blogger bekannte sich schuldig und Sofia Sapega, die mit ihm verhaftet wurde, bestätigte, dass sie an der Veröffentlichung der persönlichen Daten von Strafverfolgungsbeamten im Internet beteiligt war.

„Sie hat ausgesagt, dass sie die Administratorin dieser Telegram-Kanäle war. Sie wurde bereits unter dem Paragrafen „Organisation von Gruppenaktionen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen“ angeklagt. Sie ist eine Verdächtige“, sagte Dmitri Gora, Vorsitzender des Untersuchungskomitees von Belarus.

Der Untersuchungsausschuss der Republik wird genau prüfen, woher die Finanzierung für die Anti-Regierungs-Telegramm-Kanäle, wie auch Nexta, gekommen ist.

„Als ich das Projekt und Warschau verließ, hoffte ich, in Vilnius im Stab von Tichanowskaja zu arbeiten und Menschen zu treffen, die an Ideale glauben. Aber die Situation begann sich stark zu verändern. Es gab mehr interne Streitigkeiten, einige unverständliche politische Spielchen, bei denen es um persönliche Ambitionen ging, die ich immer zu vermeiden versuchte. Ehrlich gesagt, war ich tief enttäuscht“, gab Protasewitsch zu.

Die politische Arbeit habe er schon lange satt gehabt, so der Blogger, und er wollte der persönliche Fotograf von Tichanowskaja werden, die gerade aus Berlin zurückgekehrt war. Dort wurden ihr fast 3 Millionen Euro zur Unterstützung unabhängiger Medien innerhalb und außerhalb von Weißrussland versprochen.

Ende der Übersetzung

Wie Protasewitsch über Lukaschenko denkt

Ein Teil aus dem Interview, der in diesem Beitrag nicht komplett gezeigt wurde, ist auch noch interessant. Protasewitsch sagt darin, wie er jetzt zu Präsident Lukaschenko und dessen Politik steht:

„Ich habe meine politischen Ansichten nicht geändert, ich kann ehrlich und offen vor allen Kameras sagen, dass ich kein politischer Unterstützer des Präsidenten werde. Das ist so. Ja, ich respektiere ihn aufrichtig als einen Mann, der dem ganzen Ansturm, der im Sommer begann und bis heute anhält, standhalten konnte. Aber ich werde nicht zu einem Unterstützer des Präsidenten, ich sage nicht, dass ich komplett auf die Seite des Staates übergehe“

Was Spiegel-Leser erfahren

Der Spiegel berichtete über die aktuelle Pressekonferenz unter der Überschrift „Roman Protassewitsch – Inhaftierter Oppositioneller muss an Pressekonferenz teilnehmen“ und begann mit folgender Einleitung:

„Das belarussische Regime hat den inhaftierten Journalisten Roman Protassewitsch erneut öffentlich vorführen lassen – dieses Mal auf einer Pressekonferenz im Außenministerium.“

Über den Inhalt der Pressekonferenz erfährt der Spiegel-Leser fast nichts, der Spiegel begründet das folgendermaßen:

„Es war nicht klar, unter welchen Umständen Protassewitsch an der Pressekonferenz teilnehmen musste. DER SPIEGEL zitiert seine Aussagen deshalb nicht.“

Der Spiegel und andere westliche Medien enthalten ihren Lesern unter einem fadenscheinigen Vorwand Informationen vor. Als Medien ist es ihre Aufgabe, ihre Leser zu informieren. Sie können das von Protasewitsch Gesagte ja in Kommentaren einordnen, aber stattdessen verschweigen sie den Lesern einfach alles, was nicht in das von ihnen gewollte Bild passt. Auch die BBC dürfte so vorgehen, denn schon in dem russischen Beitrag wurde erwähnt, die BBC habe die Pressekonferenz verlassen. Im Spiegel klingt das so:

„Ein Korrespondent der BBC verließ das Pressezentrum des Außenministeriums, nachdem klar geworden war, dass sich dort auch Protassewitsch äußern würde. »Wir sind einfach rausgegangen. Nicht mitmachen, wenn er eindeutig unter Zwang dort ist«, schrieb der Journalist Jonah Fischer dazu auf Twitter“

Was Spiegel-Leser alles nicht erfahren

Der Spiegel verschweigt seinen Lesern alles, was Protasewitsch über Interna aus der weißrussischen Opposition in Polen und Litauen erzählt hat. Seinen Aussagen nach geht es dort um interne Machtkämpfe unterschiedlicher Gruppen, die um die Millionen Euro Unterstützung konkurrieren, die die Staaten des Westens zur Verfügung stellen. In seinem Interview im Fernsehen hat Protasewitsch das in allen Details beschrieben und Namen genannt.

Eine große Redaktion, wie der Spiegel sie hat, müsste nun mit den genannten Personen sprechen, sich ihre Versionen anhören, die natürlich anders klingen würden, als die Aussagen von Protasewitsch. Dann müssten die Medien, wenn sie ihre Arbeit als Journalisten ernst nehmen würden, beides nebeneinander stellen und ihren Lesern zeigen, damit die sich selbst ein Bild machen können.

Stattdessen wird alles verschwiegen, was Protasewitsch erzählt, weil es nicht in das von westlichen Politikern und Medien gewollte Bild der edlen und selbstlos für die Demokratie kämpfenden Opposition passt. Vor allem Protasewitschs Vorwürfe, seine Eltern würden derzeit von der Opposition instrumentalisiert, werden verschwiegen. Auf der Pressekonferenz sagte er dazu:

„Im Gefängnis habe ich viele Fakes über meinen Gesundheitszustand gehört. Dazu möchte ich sagen, dass ich mich hervorragend fühle. Ich habe gute Laune und keinerlei Klagen. Wenn daran jemand zweifelt, bin ich mit Einverständnis der Ermittler bereit, mich einer unabhängigen medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Und ich möchte mich an meine Freunde wenden, die diese Meldungen verbreiten: Seht Ihr, mir geht es gut, ich habe keine Klagen, ich wurde nicht geschlagen, nicht einmal angefasst. Ich möchte darum bitten, keine weiteren Gerüchte zu streuen, das hat einen einfachen Grund: Die wahren Geiseln der Situation, in der ich bin, sind meine Freundin Sofia und – noch wichtiger – meine Eltern, die jetzt in Polen in einem totalen Informantionsvakuum sind. Herrschaften, denkt bitte darüber nach, wie Eure Mütter reagieren würden, wenn ihr Sohn an einem solchen Ort ist, wie ich, und man ihr erzählt, ihr Sohn werde da zusammengeschlagen. Das ist nicht so, Sie alle sehen mich jetzt, mir geht es absolut hervorragend.“

Ich will hier nicht alles wiederholen, was er hier und in dem langen Interview gesagt hat. Sie können es in dem oben verlinkten Fernsehinterview von Protasewitsch nachlesen.

Leider können Sie es nur dort nachlesen, denn die westlichen Medien halten ihre Leser in Unwissenheit darüber.


Wenn Sie sich für mehr Beispiele für freche Verfälschungen der Wahrheit in den „Qualitätsmedien“ interessieren, sollten Sie Beschreibung meines neuen „Spiegleins“ lesen. Das Buch ist eine Sammlung der dreistesten „Ausrutscher“ der „Qualitätsmedien“ im Jahre 2020 und zeigt in komprimierter Form, wie und mit welchen Mitteln die Medien die Öffentlichkeit in Deutschland beeinflussen wollen. Von „Berichterstattung“ kann man da nur schwer sprechen. Über den Link kommen Sie zur Buchbeschreibung.

In meinem neuen Buch „Das Ukraine Kartell – Das Doppelspiel um einen Krieg und die Millionen-Geschäfte der Familie des US-Präsidenten Biden“ enthülle ich sachlich und neutral, basierend auf Hunderten von Quellen, bisher verschwiegene Fakten und Beweise über die millionenschweren Geschäfte der Familie des US-Präsidenten Joe Biden in der Ukraine. Angesichts der aktuellen Ereignisse stellt sich die Frage: Ist eine kleine Gruppe gieriger Geschäftemacher möglicherweise bereit, uns für ihren persönlichen Profit an den Rand eines Dritten Weltkriegs zu bringen?

Das Buch ist aktuell erschienen und ausschließlich direkt hier über den Verlag bestellbar.

Hier geht es zum neuen Buch

Werbung

Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Schreibe einen Kommentar