Bergkarabach

Die komplizierte Lage zwischen Armenien und Aserbaidschan

Derzeit berichten die deutschen Medien über den Flüchtlingsstrom aus Bergkarabach, wobei die Schilderung von Einzelschicksalen klare Stimmungsmache gegen das Vorgehen von Aserbaidschan ist. Hier versuche ich, die komplizierte Situation der Region zu erklären.

Der Streit um Berg-Karabach dauert seit Jahrhunderten an, weshalb es sehr schwer ist, sich zu seinen Wurzeln vorzuarbeiten. Ich werde das trotzdem versuchen, wobei auch die Interessen der Länder der Region interessant und kompliziert sind. Das sind nämlich nicht nur Armenien und Aserbaidschan, sondern auch die Türkei, Russland, der Iran und die USA, um nur die wichtigsten zu nennen.

Die Vorgeschichte

Das Christentum kam schon im 4. Jahrhundert nach Bergkarabach und es sind noch Kirchen und Klöster aus dieser Zeit erhalten. Später war das Gebiet umkämpft und stand zeitweise unter der Kontrolle muslimischer Staaten, weshalb der Kaukasus heute ein Flickenteppich nicht nur unzähliger kleiner und größerer Völker ist, sondern diese Völker auch zwischen dem christlichen Glauben und dem Islam gespalten sind. Im 18. Jahrhundert war das Gebiet ein Spielball in den Rivalitäten zwischen dem Russischen Zarenreich, Persien und dem Osmanischen Reich. Daher stoßen dort bis heute türkische, iranische und russische Interessen aufeinander.

Die russische Zarin Katharina II. stellte Armeniern, sie sind Christen, schließlich Schutzbriefe aus und privilegierte sie für Handel und Verwaltung. Nach dem Zweiten Russisch-Persischen Krieg kam Bergkarabach 1805 unter russische Herrschaft. Aus dieser Zeit haben wir die wohl ersten verlässlichen Zahlen über die dortige Bevölkerung, denn eine Erfassung der Bevölkerung des Khanats Karabach von 1823 zeigte, dass die meisten Dörfer in den gebirgigen Regionen, dem heutigen Bergkarabach, armenisch waren.

Das Russische Zarenreich hatte viele muslimische Landesteile und versuchte nicht, sie zu christianisieren, aber ein gewisses Misstrauen gegen Moslems gab es trotzdem, weshalb die Armenier in ihrer Region auch weiterhin bevorzugt behandelt wurden und Russland förderte auch die Übersiedlung von Armeniern aus muslimischen Ländern in das russisch kontrollierte Armenien und nach Bergkarabach, das aufgrund seiner armenischen Bevölkerung auch als armenisches Gebiet angesehen wurde, auch wenn es geografisch wie eine Insel im aserbaidschanischen Gebiet liegt.

Ob das Osmanische Reich vor hundert Jahren einen Völkermord an den Armeniern begangen hat, will ich nicht beurteilen, aber sicher ist, dass viele Armenier ermordet wurden und dass daraufhin eine armenische Fluchtwelle aus dem Osmanischen Reich nach Russland einsetzte, bei der viele geflohene Armenier nach Bergkarabach kamen. Russland wurde zu so etwas wie der Schutzmacht für die Armenier und obwohl die armenische Kirche von russisch-orthodoxen Kirche unabhängig ist, waren die Armenier für die Russen Glaubensbrüder.

Nach der Massenflucht der Armenier nach Bergkarabach wuchsen die Konflikte zwischen den christlichen Armeniern und den muslimischen Aserbaidschanern, die sich ohnehin den Türken nahe fühlen.

Anfang der 1920er Jahre wurde Bergkarabach von der Sowjetunion der Aserbaidschanischen Sowjetrepublik zugeschlagen, was territorial zwar sinnvoll war, wie ein Blick auf die Karte zeigt, was die armenische Bevölkerungsmehrheit von Bergkarabach aber ablehnte.

Trotzdem blieb es in der Region danach weitgehend friedlich, solange die Sowjetunion bestand. Erst in den 1980er Jahren, als die Sowjetunion schwächer wurde, begannen die Konflikte wieder aufzuflammen.

Der Krieg und Armeniens verpasste Chancen

Als die Sowjetunion 1991 auseinanderbrach, erklärte sich Bergkarabach von Aserbaidschan für unabhängig. Es folgte der Krieg, der zwei Jahre tobte und zu ethnischen Säuberungen führte, nicht in erster Linie, weil diese geplant waren und gezielt durchgeführt wurden, sondern weil Armenier aus Angst aus aserbaidschanisch bewohnten Gebieten geflohen sind und umgekehrt, denn es kam auch zu Massenmorden an beiden Bevölkerungsgruppen.

Ich will hier keine Versuche machen, die Schuldfrage zu klären, ich versuche nur, die Geschichte so sachlich wie möglich zu erzählen.

Der Krieg endete 1994 mit einem Sieg für die Armenier. Bergkarabach war armenisch besiedelt, die Aserbaidschaner waren aus der Region vertrieben worden. Aber damit begann die lange Liste der Fehler der armenischen Regierungen, die 2020 zu dem erneuten Krieg geführt haben, denn auch Armenien hat den selbsternannten Staat Bergkarabach nie anerkannt.

Das wäre auch nicht so einfach gewesen, denn aufgrund der in der Sowjetunion gezogenen Grenze gehört Bergkarabach völkerrechtlich zu Aserbaidschan und das kleine Armenien hätte mit so einem Schritt vor allem seinen muslimischen Nachbarn Türkei gegen sich aufgebracht.

Hinzu kommt, dass der US-geführte Westen nie ein Interesse gezeigt hat, die vielen Territorialstreitigkeiten beizulegen, die nach dem Zerfall der Sowjetunion entstanden sind. Das gilt nicht nur für Bergkarabach, sondern auch für den Streit von Georgien mit Abchasien und Ossetien, den Streit zwischen Moldawien und Transnistrien und auch für die Krim, die sich schon Anfang der 1990er Jahre von der Ukraine lossagen und zu Russland kommen wollte. Den USA war und ist daran gelegen, diese Krisenherde in einem eingefrorenen Zustand zu belassen, um sie bei Bedarf für ihre Zwecke nutzen zu können, wie das Beispiel des Kaukasuskrieges von 2008 und die Ereignisse in der Ukraine nach dem Maidan 2014 gezeigt haben.

Aber Armenien hat auch selbst keinerlei Versuche unternommen, die Lage zu lösen. Es gab keine Versuche, sich mit Aserbaidschan über Bergkarabach zu einigen und zum Beispiel eine Versöhnung zu erreichen und den Vertriebenen Aserbaidschanern eine Rückkehr nach Bergkarabach zu ermöglichen. Armenien, das in den 1990ern siegreich war, nutzte seine damalige Überlegenheit nicht aus, um das Problem zu entschärfen oder zu lösen. Offenbar war man in Eriwan der Meinung, für Bergkarabach sei das „Ende der Geschichte“ erreicht und man könne alles lassen, wie es war.

Allerdings ist das Ende der Geschichte nie erreicht und 2020 war Aserbaidschan stark geworden. Armenien hat weniger als drei Millionen Einwohner, Aserbaidschan hat über zehn Millionen und auch noch viel Öl und Gas, weshalb es sein Militär ausbauen konnte.

Nikol Paschinjan

2018 wurde Nikol Paschinjan im Zuge einer Farbrevolution, der „samtenen Revolution“, armenischer Regierungschef. Er setzte sich für eine eher distanziertere Politik gegenüber Russland und ein engeres Zusammengehen mit der EU ein, wobei er jedoch kein klassischer „Anti-Russe“ war.

Aber er machte Fehler, denn er bereiste Bergkarabach und feierte mit den Menschen dort Feste, bei denen er in ehemals aserbaidschanischen Orten demonstrativ armenische Volkstänze aufführte, was den ohnehin großen innenpolitischen Druck auf den aserbaidschanischen Präsidenten Alijew erhöhte, denn in Aserbaidschan lebten viele Vertriebene aus Bergkarabach und außerdem gehört Bergkarabach völkerrechtlich zu Aserbaidschan. Da Aserbaidschan mit der Türkei verbündet ist, fühlte sich Alijew 2020 stark genug, um militärisch loszuschlagen und er konnte große Geländegewinn ein Bergkarabach erzielen.

Paschinjan hatte anscheinend darauf gesetzt, dass Russland Armenien militärisch zu Hilfe kommen würde, denn Armenien ist Teil des Militärbündnisses OVKS bestehend aus Staaten der GUS. Aber die OVKS griff nicht ein und dafür hatte das Bündnis gute Gründe, denn Aserbaidschan hatte ja nicht Armenien angegriffen, sondern Bergkarabach, das ein nicht einmal von Armenien anerkannter Staat war.

Russland setzte sich stattdessen für ein Ende der Kampfhandlungen ein und vermittelte einen Waffenstillstand, der anschließend von russischen Friedenstruppen überwacht wurde.

Paschinjan lässt die Bevölkerung von Bergakarabach im Stich

Am 10. November 2020 unterzeichneten Putin, Alijew und Paschinjan die Waffenstillstands-Erklärung inklusive der Entsendung russischer Friedenstruppen. Die armenischen Streitkräfte sollten laut der Erklärung abgezogen werden und Bergkarabach sollte auf dem Landweg über den sogenannten Latschin-Korridor mit Armenien verbunden bleiben, den die russischen Friedenstruppen bewachen sollten. Die Diskussion über den Status von Bergkarabach wurde auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Es war also kein Friedensvertrag, sondern ein Waffenstillstand.

Dann begann Paschinjan sein merkwürdiges Spiel, auch die EU als Vermittler in den Konflikt zu holen und schließlich traf sich Paschinjan im Oktober 2022 in Prag mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew und dem Chef des Europäischen Rates Charles Michel. Dort verabschiedeten sie eine Erklärung, in der Armenien und Aserbaidschan „die territoriale Integrität und Souveränität des jeweils anderen anerkennen“. Damit hatte Paschinjan ganz offiziell anerkannt, dass ganz Bergkarabach zu Aserbaidschan gehörte, während in den faktisch noch unabhängigen Teilen Bergkarabachs aber noch die nicht anerkannte Regierung des nicht anerkannten Staates Bergkarabach herrschte, die Paschinjan – inklusive der dort lebenden Armenier – damit offiziell sich selbst überlassen hatte.

Damit war die Erklärung zwischen Russland, Armenien und Aserbaidschan vom 9. November 2020, in der die Verhandlungen über Bergkarabach auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden waren, faktisch entwertet und ganz Bergkarabach, einschließlich des von russischen Friedenstruppen bewachten Latschin-Korridors, war damit bedingungslos aserbaidschanisches Hoheitsgebiet. Damit wurde auch der Status der russischen Friedenstruppen, die nun plötzlich offiziell in Aserbaidschan standen, unklar.

Moskau hat davon quasi aus den Nachrichten erfahren, während der aserbaidschanische Präsident Alijew gefeiert haben dürfte, denn er hatte damit erreicht, dass Bergkarabach offiziell und mit Zustimmung Armeniens zu Aserbaidschan gehört.

Eine innere Angelegenheit

Damit wurde der Bergkarabach-Konflikt zu einer inneren Angelegenheit Aserbaidschans und natürlich hatte man dort wenig Verständnis dafür, dass auf dem eigenen Hoheitsgebiet ein selbsternannter abtrünniger Staat existierte, der auch noch eine eigene Armee hatte. Daher begann Aserbaidschan vor kurzem eine als Anti-Terroroperation bezeichnete Militäroperation zur Zerschlagung der nicht anerkannten Republik Bergkarabach.

Das Ergebnis erleben wir derzeit in den deutschen Medien, wenn diese von dem Flüchtlingsstrom aus Bergkarabach berichten, wobei gerne die Geschichten von Einzelschicksalen erzählt werden, wie in diesem Spiegel-Artikel mit der Überschrift „Exodus aus Bergkarabach – Als Anna, 36, ihre Heimat verlor„, weil Berichte über Einzelschicksale die Leser emotionalisieren. Da diese Emotionalisierung sich gegen Aserbaidschan richtet, wird klar, wen der Westen – ob berechtigt oder nicht – als Buhmann hinstellen will.

Dass Paschinjan diese Situation selbst verschuldet hat, erfährt man in Deutschland hingegen kaum.

Paschinjan setzt aufs falsche Pferd

Und Paschinjan hat sich sehr dumm verhalten, denn selbst wenn er kein Freund Russlands ist, hätte er auf Russland setzen sollen, denn Russland hat im Kaukasus vor allem ein Interesse: Dass es dort ruhig bleibt.

Der Kaukasus mit seinen vielen Völkern ist eine Region, in der der Westen gerne zündelt, wie der Kaukasuskrieg 2008 oder die Tschetschenienkriege zur Jahrtausendwende gezeigt haben, bei denen die USA Dschihadisten unterstützt haben, die in Tschetschenien in den 1990er Jahren einen „Islamischen Staat“ errichten wollten, der den Kaukasus vom Schwarzen bis zum Kaspischen Meer umfassen sollte. Auch der Name „Islamischer Staat“ ist kein Zufall, denn dahinter standen die gleichen Kräfte, die den Namen „Islamischer Staat“ 15 Jahre später auch im Westen bekannt gemacht haben.

Die russische Regierung hat ein Interesse an Ruhe im Kaukasus, weshalb die russische Regierung bereit war, Verhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan geduldig zu begleiten, bis ein für beide Seiten akzeptabler Kompromiss gefunden wäre, der auch den Schutz der Armenier in Bergkarabach beinhaltet.

Aber Paschinjan hat stattdessen auf Vermittlung der EU gesetzt, die derzeit nur ein Interesse verfolgt, nämlich Russland zu schwächen. Der EU ging es nie um die Armenier, sondern es geht ihr um Russland. Und das Ergebnis zeigt das auch, denn aufgrund des von der EU ausgehandelten Abkommens hatte Alijew freie Hand, ohne dass vorher eine Lösung für die Armenier in Bergkarabach gefunden wurde.

Übrigens sind bisher keine gezielten Grausamkeiten gegen Armenier in Bergkarabach gemeldet worden und Aserbaidschan hat sie nicht aufgefordert, das Gebiet zu verlassen. Sie fliehen weniger vor gezielter Gewalt, als aus Angst davor, dass es zu dieser Gewalt kommen könnte. Ob diese Angst berechtigt ist, ist bisher aber keineswegs sicher.

Politische Interessen

Auch die Interessen der Staaten der Region sind interessant, denn man sollte meinen, dass die Islamische Republik Iran mit dem muslimischen Aserbaidschan befreundet ist. Das ist aber nicht so, denn der Iran hat beste Beziehungen zum christlichen Armenien und die armenische Minderheit im Iran wird keineswegs unterdrückt. Es wurde sogar von einer „Achse Moskau-Eriwan-Teheran“ gesprochen.

Allerdings hat der Iran politische Differenzen mit Aserbaidschan und steht in der Region mit der (mit Aserbaidschan verbündeten) Türkei in Konkurrenz um Einfluss.

Die Türkei wiederum benutzt das viel kleinere und schwächere Aserbaidschan als Instrument, wobei sich Aserbaidschaner und Türken ethnisch nahe stehen. Aserbaidschanisch gehört zu den Turksprachen und ist der türkischen Sprache sehr ähnlich.

Aserbaidschan wiederum hat in dem Konflikt vor allem ein Interesse: Es will sein gesamtes Staatsgebiet kontrollieren, was es nun erreicht hat.

Dass Russland in der Region vor allem an Frieden und Ruhe interessiert ist, habe ich schon erwähnt. Es kommt aber noch etwas hinzu, denn der russischen Regierung ist vor Jahren das Kunststück gelungen, die Rivalen Türkei und Iran in Sachen Syrien an einen Tisch zu holen und heute wird der Friedensprozess in Syrien, so schleppend er vorangehen mag, im Astana-Format bestehend aus Russland, der Türkei und dem Iran behandelt. Das Astana-Format macht dabei immer mehr kleine Fortschritte und hätten die USA nicht das kurdisch besiedelte Nordost-Syrien besetzt, von wo aus sie immer wieder für Unruhe sorgen, wären die Fortschritte wahrscheinlich noch weit größer.

Da die USA im Nahen Osten gerade massiv an Einfluss verlieren, weil die Saudis eine eigene Politik machen und sich auch die Rivalen Iran und Saudi-Arabien schnell annähern, sind die USA daran interessiert, dass in der Region wieder mehr Unruhe herrscht, denn wenn sich die Staaten der Region einigen, anstatt sich zu streiten oder gar Kriege gegeneinander zu führen, verlieren die USA noch mehr Einfluss im Nahen Osten.

Daher spielt der Bergkarabach-Konflikt dem US-geführten Westen in Karten, denn erstens hat er das Potenzial, Russland zu schwächen und seinen Einfluss im Kaukasus zurückzudrängen, zweitens könnte er den Streit zwischen dem Iran und der Türkei wieder entfachen und drittens könnte er auch für Differenzen zwischen der Türkei und Russland sorgen. Und wenn das dazu führt, dass das Astana-Format scheitert, könnten sogar erneute Versuche der USA, in Syrien einen Regimechange zu erreichen, wieder aktuell werden. Auch das würde Russland schwächen, denn die syrische Regierung ist mit Russland verbündet und in Syrien liegt die einzige russische Flottenbasis im Mittelmeer, die den USA ein Dorn im Auge ist.

Proteste in Armenien

Paschinjan hat dem US-geführten Westen mit seiner Politik, Aserbaidschan zuerst zu provozieren, was zum Krieg von 2020 beigetragen hat, und danach nicht auf Russland, sondern auf die EU zu setzen, in die Hände gespielt. Nebenbei hat er, das kann man nicht anders sagen, das armenische Volk verraten, denn derzeit sind zehntausende Armenier auf der Flucht aus Bergkarabach. Am 29. September wurde gemeldet, dass bereits 97.000 Armenier aus Bergkarabach nach Armenien geflohen sind.

Es spielt sich also zweifellos eine menschliche Tragödie ab, an der Paschinjan die Hauptschuld trägt. Das erklärt auch, warum viele Armenier nun gegen Paschinjan protestieren.

Paschinjan hat Russland für die Ereignisse verantwortlich gemacht und die Mitgliedschaft Armeniens im Bündnis OVKS in Frage gestellt, weil die OVKS Armenien nicht zu Hilfe gekommen ist. In Armenien geplante OVKS-Manöver wurden abgesagt, dafür fanden Manöver mit US-Truppen statt.

Natürlich gibt es in Armenien auch viele Menschen, die Paschinjan glauben und Russland für alles verantwortlich machen. Daher gab es in den letzten Tagen sowohl anti-russische als auch Anti-Paschinjan-Proteste in Armenien.

Paschinjan will den Graben zu Russland noch weiter vertiefen, denn nun wird in Armenien über die Ratifizierung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs diskutiert, der den Haftbefehl gegen Präsident Putin ausgestellt hat. Es sei daran erinnert, dass Russland und Armenien Bündnispartner in der OVKS ist. Paschinjan würde damit einen Haftbefehl gegen den Staatschef eines verbündeten Landes anerkennen.

Dass Russland den Schritt als feindselig betrachtet, ist nicht überraschend. Dass Paschinjan diesen Schritt ausgerechnet jetzt gemacht hat, zeigt, dass er weiter eskalieren und das Verhältnis zu Russland weiter verschlechtern will, während seine Landsleute zu zehntausenden auf der Flucht sind und er eigentlich andere Prioritäten haben sollte.

Was tut Aserbaidschan in Bergkarabach?

Die Zahl der aserbaidschanischen Binnenvertriebenen, die jetzt in ihre alte Heimat Bergkarabach zurückkehren, wird bis Ende 2023 bei 5.500 liegen, erklärte der aserbaidschanische Präsident Alijew:

„Bis heute sind bereits 2.300 ehemalige Binnenvertriebene zurückgekehrt und bis zum Ende dieses Jahres werden es 5.500 sein“

Nach offiziellen Angaben sind infolge des Karabach-Konflikts rund eine Million Aserbaidschaner zu Flüchtlingen und Binnenvertriebenen geworden und viele wollen anscheinend in ihre alte Heimat zurückkehren, die sie Anfang der 1990er Jahre so überstürzt verlassen mussten, wie die Armenier heute aus Bergkarabach fliehen.

Wenn Aserbaidschan es ernst meint damit, auch den Armeniern in Bergkarabach ihre Rechte zu garantieren und ein friedliches Zusammenleben zwischen Armeniern und Aserbaidschanern in Bergkarabach zu organisieren und zu garantieren, dann wird das keine leichte Aufgabe. Der Grund ist, dass beispielsweise Häuser und Grundstücke von Aserbaidschanern, die vor 30 Jahren geflohen sind, heute Armeniern gehören. Schon die Frage des Umgangs mit von beiden Seiten beanspruchtem Wohneigentum wird nicht leicht zu lösen sein. Und es gibt noch weit mehr Fragen zu klären.

Das Völkerrecht

Das Beispiel Bergkarabach zeigt ein weiteres Mal eine große Schwäche des Völkerrechtes, denn wie bei der Krim und den anderen neuen Gebieten Russlands geht es wieder um die gleiche Frage: Was wiegt schwerer, die Unverletzbarkeit der Grenzen eines Landes oder das Selbstbestimmungsrecht der Völker?

Die Antwort ist seit der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes zum Kosovo bekannt: Die Unabhängigkeitserklärung eines Landesteils verstößt nicht gegen das Völkerrecht.

Wenn das Völkerrecht ernst genommen würde, ließen sich alle Gebietsstreitigkeiten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion leicht lösen, indem beispielsweise unter UNO-Aufsicht Referenden abgehalten werden, damit die Menschen in den betroffenen Gebieten (Transistrien, Ossetien, Abchasien, Bergkarabach, etc.) demokratisch und frei entscheiden können, ob sie unabhängig sein oder zu einem anderen Staat gehören wollen. Hätte man das sofort getan, hätte man viel Blutvergießen der letzten 30 Jahre vermeiden können.

Der US-geführte Westen will diese Konflikte aber nicht lösen nicht, weil die USA sie dann nicht mehr nach Bedarf instrumentalisieren könnten.

Da es in Bergkarabach nie ein Referendum gegeben hat und die selbsternannte Republik von niemandem anerkannt wurde, hat Aserbaidschan aus Sicht aus des Völkerrechts legal gehandelt, als es in Bergkarabach gegen die selbsternannte Republik und ihre Armee vorgegangen ist. Ob das auch moralisch in Ordnung war, ist eine andere Frage, allerdings hat das Verhalten von Paschinjan, Bergkarabach als aserbaidschanisch anzuerkennen und dabei nichts für die dort lebenden Armenier auszuhandeln, ja sie nicht einmal zu den Gesprächen einzuladen, Alijew kaum eine andere Möglichkeit gelassen, als selbst zu handeln.

Russlands Ziel war es, mit Geduld und Verhandlungen eine Lösung zu finden, mit der alle leben können. Paschinjan hat sich aber der EU zugewandt und Bergkarabach auf dem Silbertablett an Alijew übergeben.

Das Ergebnis war vorhersehbar.


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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

17 Antworten

  1. Zwei Punkte

    – Warum „regieren“ immer mehr sogenannte Staatenlenker permanent gegen den Willen des jeweiligen Volkes?

    Warum gibt es immer nur Krieg, Mord und Unfrieden etc. – wenn Götzendienste (glaube/religion) ihre schmutzigen Finger im Spiele haben?

    Dazu hätte ich gerne einmal ein paar stichhaltige, reale und ehrliche Aussagen – aber bitte keine aus falscher Solidarität entsprungenen „Schutzattacken“! 🤨😎

  2. Die Altbewohner von Berg Karabach sollten das Angebot von Alijew annehmen und zurückkehren. Man muss nicht alles aufgeben. Von 1920 bis Ende der 80’iger Jahre lebte man auch friedlich miteinander.

  3. Die „Kosovo-Entscheidung“ also. Da hat ihn wohl der Teufel geritten.
    Man muß bitteschön zur Kenntnis nehmen, daß das brühmt-berüchtigte „Selbstbestimmungdrecht der Völker“ seinen „Aufstieg“ vor allem in der Kolonialen Befreiungsbewegung der 2. Hälfte des 20. Jh. feierte. Und da hatte es durchaus seine Berechtigung. Und die Amerikaner waren da natürlich dabei, weil sie ein Interesse daran hatten, daß sich die alten europäischen Imperien auflösten.
    Nur später und heute wurde bzw. wird damit Schindluder getrieben, vor allem, um Nationalstaaten zu zerstören – da wird Nationalismus plötzlich was Gutes.
    Uralte historische Konflikte kann man weder mit abstrakten Rechstsätzen noch mit Referenden lösen, und wenn Letzter als so eine Art Allheilmitte angeshen werden, so liegt das an der herrscheden, völlig verquasten, infantilen Vorstellung von „Demokratie“. Das ist zum großen Teil eine amerikanische, die in der Entstehungsgeschichte der (nord-)amerikanischen Zivilisation und den damit verbundenen Mythen ihre Wurzeln hat …

  4. Immer und immer wieder ist es die politische Kabale, die einst friedlich neben und auch häufig auch miteinander lebende Gemeinschaften gegeneinander aufbringen und unwiderruflich zerstören. Sei es mein Böhmen-Deutscher Opa, der seine tschechische Frau aufs dem Nachbardorf heiratete, mein jugoslawischer Schulfreund, der in seinen kroatische Heimatdorf zurückkehrte, oder mein bosnischer Arbeitskollege, der mir berichtete wie im Herkunftsort seiner Familie die Nachbarschhaft aus Bosniern, Serben und Kroaten unversöhnlich voneinander getrennt wurde.
    Wenn erst Familienmitglieder gestorben sind, oder Nachbaren in verschiedene Armeen eingezogen aufeinander Schießen mussten, ist die Trennung unumkehrbar. Die Zerstörung von Heimat ist ein Verbrechen, für das die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden sollten.

  5. Dass Armenien in Anbetracht der militärischen Überlegenheit Aserbaidschans kapituliert hat und dessen Souveränität über Berg-Karabach anerkannt hat ist eigentlich gut nachvollziehbar. Was hätten man ansonsten machen können, wenn man für diese Region keine Unterstützer hat?
    Möglicherweise ist es auch klüger den Konflikt schmerzhaft aufzulösen, um langfristig Sicherheit und Wirtschaft zu stärken. In diesem Sinne könnten auch bessere Beziehungen zur EU nützlich sein.
    Seltsam finde ich nur, dass scheinbar nicht mal der Versuch unternommen wurde etwas für die eigene Seite herauszuholen. Im Artikel wird auch nicht erwähnt, dass Armenien gemäß dem Waffenstillstandsabkommen eine Verkehrsverbingung von aserbaidschanischem Kernland nach Nachitschewan garantieren sollte und dem nicht nachgekommen ist. Dabei hätte es dadurch eigentlich einen Trumpf gehabt, denn ein weiterer Angriff auf Berg-Karabach hätte zu Nachteilen für die Azeris geführt. Da man die Vorteile nicht zugelassen hat, kann man sie jetzt auch nicht wegnehmen.
    Noch komischer ist die Idee sich mithilfe der Nato gegen die Verbündeten des Nato-Mitglieds Türkei besser wehren zu können.

    Es sieht nach einem Sieg für westliche Kräfte aus. Die Russen hatten nichts mehr zu gewinnen in der Region.

  6. Schon Anfang der 1980er Jahre hat ein Reporter von ARD oder ZDF, den Namen habe ich nicht mehr in Erinnerung, zukünftige Probleme in den südlichen Sowjetrepubliken vorher gesagt. Eines seiner Hauptargumente war die extrem unterschiedliche Geburtenrate in der europäisch geprägten Bevölkerung und den muslimischen. Sobald die muslimische Bevölkerung in welchem Land auch immer, die Mehrheit oder ein Großteil der Bevölkerung sind, wird es nicht bei einem friedlichen Nebeneinander mit Andersgläubigen bleiben. Es war absehbar, dass die US-Mörderbande und ihre Vasallen diese Konfliktsituationen für ihre Interessen ausnutzen würde nach der Auflösung der UdSSR.

  7. Dieser Artikel zeigt in gnadenloser Klarheit, wie sehr Staatsgebilde vollkommen unabhängig von dem sogenannten „Volk“, also der in einem Gebiet lebenden Bevölkerung, sind und agieren. Wenn ich das richtig verstanden habe, dann haben sich Staatsgebilde, die ja auch Monarchien, Königshäusern, Herzogtümern et cetera hervorgegangen sind, ursprünglich aus Gebilden entwickelt, wo bestimmte Familien den „Schutz“ in einer Region bewerkstelligen wollten im Gegenzug zu Steuern und Abgaben. Man könnte das auch als Schutzgeld bezeichnen. In diesem Artikel zeigt sich dieser Ursprung so dermaßen gnadenlos, dass für mich nur eine Schlussfolgerung möglich ist: es ist höchste Zeit, diese Organisation von Staatsgebilden zu überdenken.

    1. Absolut korrekt.

      Vielleicht sollten wir einmal darüber nachdenken, wie ein „Miteinander“ funktionieren könnte.

      Als wir uns vor vielen Jahren zusammengetan haben um die Beerensammler vor den Sägezahntigern zu schützen, wußten wir das noch.

    2. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker setzt voraus, dass die Nation als völkerrechtliche Vereinigung ihrer Völker den Austritt eines Volkes (Kanton) in der Verfassung regelt: „Kein Kanton darf gezwungen werden, dem Bund anzugehören. Ein Austritt ist jederzeit aufgrund einer kantonalen Volksinitiative möglich; wird der Antrag angenommen, ist der Kanton ein freier und souveräner Staat“. Die Kantone Bern, Freiburg, Wallis und Graubünden sind mehrsprachig, also in sich selbst bereits eine Völkervereinigung. Würden sie aus dem Bund austreten, sollten sie in ihrer Verfassung den Austritt ihrer (Sprach)-Regionen regeln, wie andere Grosskantone auch.

      Die territoriale Integrität der Schweiz ist völkerrechtlich gewährleistet, was der Schweiz aber nicht verbietet, unabhängige Integritäten zu bilden! So könnten sich die neuen Schweizer Staaten aus dem Würgegriff der Vereinten Nationen (UN), supranationaler Organisationen (EU) und des Bundes (CH) befreien.

      Mit einer direktdemokratischen, spanischen Verfassung wäre Katalonien seit 2017 ein unabhängiger Staat und hätte gute Beziehungen zu Spanien, Frankreich und Andorra: Warum ein unabhängiges Katalonien EU-Mitglied werden wollte, ist ein Rätsel – der Zentralismus ist tot, die EU ist eine Totgeburt!

  8. So wie aussieht, hat Soros seine Hand wieder im Spiel wegen dieser Satz „2018 wurde Nikol Paschinjan im Zuge einer Farbrevolution, der „samtenen Revolution“, armenischer Regierungschef.“ und das kennen wir ja woher ……
    Also die USA irgendwie doch seine dreckige Finger drin.
    Mal sehen, wie lange dieser Konfliktspunkt anhält.

    OT:
    Bin mir nicht sicher, aber hab damals gelesen das auf einige „gehobenen Schulen“ oder Militärakademien ‚Chaos‘ gelehrt wird.

    Das passt sehr gut zu dem, was die Amis überall auf der Welt anzetteln und würde auch sehr gut erklären, die verbreiten nur pures Chaos.

    In Deutschland ist dieses Thema von den Amis absolut unerwünscht das wir das lernen und achten penibel darauf das wir das nicht tun.

  9. Man kann sagen, dieser Konflikt ist gelöst. Wenn man zynisch ist.
    Inzwischen sind fast alle Armenier aus Berg Karabach raus geflüchtet.

    Ein politisches(hoffentlich kein militärisches) Nachspiel wird es sicher geben. Eine armselige Rolle spielten alle Beteiligten.
    Aserbaidschan, Armenien, Türkei, Russland, Frankreich, Deutschland, USA und vor allen Dingen Russland, das diesen Konflikt schleifen liess in den 90ern.

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