Die Navalny-Proteste vom Sonntag und was der Spiegel daraus macht

Am Sonntag hat Navalnys Mannschaft zu kreativen Protesten aufgerufen: Die Leute sollten als Zeichen des Protests abends die Taschenlampen ihrer Handys einschalten und in kleinen Gruppen durch die Städte marschieren. Das ist gefloppt, aber im Spiegel klingt es natürlich ganz anders.

Nachdem das Navalny-Team aufgehört hat, zu „Massenprotesten“ zu rufen (wohl auch, weil die Teilnehmerzahlen beim zweiten Protest so gering waren), hat man für den Valentinstag dazu aufgerufen, als Zeichen der Solidarität mit Navalny auf den Straßen die Taschenlampen der Handys einzuschalten. Wenn das kleine Gruppen machen, verstößt gegen keinerlei Versammlungsverbot, hätte aber sicher in der Dunkelheit ein sehr schönes Bild geliefert.

Ich war am Sonntagabend in Petersburg unterwegs. Zuerst war ich mit meinem Hund Gassi, danach bin ich mit dem Taxi zu Freunden gefahren, die auf den Nevsky wohnen, der zentralen Straße mitten im Zentrum von Petersburg, wo abends immer viele Menschen unterwegs sind. Ich habe aber nicht eine einzige solche Taschenlampe gesehen. Die Resonanz war also offenbar sehr gering.

Das aber sollen Spiegel-Leser nicht erfahren. Aber man kann es in dem Spiegel-Artikel zwischen den Zeilen trotzdem lesen. In dem Artikel mit der Überschrift „Putin genervt – Nawalny-Unterstützer protestieren mit Herz und Taschenlampe“ kann man zum Beispiel lesen:

„Fotos aus Moskau und Sankt Petersburg zeigten Menschen mit Handytaschenlampen in der Hand, die in kleinen Gruppen durchs Stadtzentrum spazierten oder sich einfach in ihre Hinterhöfe stellten.“

In der Tat sind auf den Fotos nur sehr kleine Gruppen zu sehen und da ich selbst nicht eine solche Gruppe gesehen habe, wird das auch den Leuten im Spiegel-Büro in Moskau so ergangen sein. Daher konnten sie offenbar keine eigenen Fotos davon in dem Artikel bringen, sondern berichten stattdessen über Fotos, die Teilnehmer der Taschenlampen-Proteste online gestellt haben.

Der Spiegel-Artikel begann mit folgender Einleitung:

„Am Valentinstag haben Menschen in Russland gegen die Inhaftierung von Alexej Nawalny demonstriert. Kremlchef Putin sprach im Staatsfernsehen von »unseren Gegnern«.“

Putin nennt seine eigenen Mitbürger „Gegner“? Das ist wirklich schlimm oder? Okay, Minister wie Gabriel haben Regierungsgegner in Deutschland auch schon als „Pack“ bezeichnet, aber sei es drum. Die Frage ist, ob Putin das wirklich gesagt hat. Und das können wir überprüfen.

Der Beitrag im Staatsfernsehen, auf den sich der Spiegel beruft, ist in der Sendung „Nachrichten der Woche“ gezeigt worden. Dabei ging es um eine Pressekonferenz von Putin. Putin wurde gefragt, ob der Grund für die Proteste in Russland nicht auch ein genereller Ausdruck von Unzufriedenheit im Land sein könne. Putins Antwort war:

„Zu der Frage, ob die Menschen auch aus anderen Gründen, als dem Figuranten, zu Protesten gegangen sind. Ja, Sie haben wahrscheinlich Recht, so ist es. Aber wissen Sie, worum es geht? Schließlich wird der Figurant auch genau jetzt benutzt, genau in dem Moment, wenn die Menschen in allen Ländern der Welt, auch bei uns, es satt haben, wenn es immer mehr Verärgerung und Unzufriedenheit gibt, auch wegen der Lebensbedingungen und der Höhe ihres Einkommens. Und wir sind doch alle auch Menschen, wir haben Freunde, Verwandte, Verbindungen und wir verstehen das alles. Die Menschen leben schlechter und ihnen ist es egal, ob wegen der Pandemie oder nicht. Schlechter zu leben, finden die Menschen schlecht. Wer ist schuld? Die Führung. Und natürlich ist der Anteil der Führung daran nicht zu bestreiten. Und natürlich versucht man in Europa, in anderen Ländern und in den Vereinigten Staaten selbst das auszunutzen. Diese Situation nutzen alle Gegner von Regierungen für ihre Zwecke aus. Und auch bei uns versuchen sie, das auszunutzen.“

Wen hat Putin als „Gegner“ bezeichnet? Die Protestler oder diejenigen, die sie aufstacheln?

Weiter steht im Spiegel:

„In Moskau und St. Petersburg hatten mehrere Hundert Feministinnen bereits am Nachmittag Menschenketten gebildet, um ihre Solidarität mit Nawalnys Frau Julija zum Ausdruck zu bringen, die nun voraussichtlich jahrelang von ihrem Mann getrennt sein wird. Sie war am Mittwoch nach Deutschland ausgereist.“

Ja, die Frau von Navalny ist umgehend nach Deutschland geflogen. Für diese Dame gelten die in Deutschland wegen Corona gegen Russen verhängten Einreiseverbote nicht. Das freut mich natürlich für die Dame, aber was genau ist der Grund dafür, dass sie von der deutschen Regierung Sonderrechte bekommt?

Und überhaupt: Warum reist eine Frau, die sich angeblich für Veränderungen in ihrer Heimat einsetzt, ins Ausland, anstatt ihren gerade verhafteten Mann zu unterstützen? Noch ist er ja wegen eines weiteren Prozesses in Moskau, sie könnte ihn also besuchen und sehen. Das will sie anscheinend nicht. Aber gut, das ist deren Privatsache.

Weiter steht im Spiegel zu lesen:

„Nawalny selbst sendete seiner Frau auf Instagram einen Valentinstagsgruß. »Ich liebe dich«, stand dort unter einem Bild, das die beiden gemeinsam zeigt. Julija Nawalnaja reagierte prompt und postete ein Foto, auf dem sie und Alexej mit einigem Abstand voneinander auf einer Bank sitzen und die Hände nacheinander ausstrecken. »Ich bin nicht traurig, ich weiß, dass alles gut werden wird«, schrieb sie dazu.“

Ist das nicht herzerweichend romantisch und dramatisch?

Mir stellt sich dabei aber eine Frage: Wie human müssen die Haftbedingungen in Russland sein, wenn ein Gefängnisinsasse Zugang zum Internet hat und fröhlich Posts auf Instagram veröffentlichen kann? Haben deutsche Gefängnisinsassen auch Internetzugang?

Der Spiegel übergeht diese Frage aber, sie würde ja den gewollten Eindruck vom russischen Unterdrückungsstaat und den unmenschlichen Haftbedingungen stören.

Dabei lautet die Antwort „ja“. In Russland haben Gefängnisinsassen durchaus Internetzugang. Das weiß ich aus erster Hand, denn der Mann einer Bekannten von mir sitzt in Russland eine Haftstrafe ab. Wie demnächst Navalny selbst sitzt er in einer Strafkolonie, die weit entfernt ist von seiner Heimat. Die Frau fährt dort einmal pro Monat hin (es gibt dort ein Familienzimmer, wo Paare „unter sich sein“ können) und zwischen den Besuchen halten die beiden Kontakt über Chatnachrichten in Messengern.

Wenn jemand weiß, wie das in deutschen Gefängnissen gehandhabt wird, können Sie das gerne in die Kommentare schreiben.


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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

7 Antworten

  1. Herr Röper, also Sie sind mir ein schöner Journalist.
    Latschen durch St.Petersburg und nehmen nicht einmal die Massenproteste und Menschenkette(n) wahr?
    Guckst du…
    https://www.gettyimages.de/detail/nachrichtenfoto/russian-women-holding-roses-and-signs-form-a-human-nachrichtenfoto/1231161018

    26 Frauen…richtig in Szene gesetzt, ergibt das ne Kette
    https://www.epochtimes.de/politik/ausland/russland-mit-menschenketten-und-lichtern-gegen-putin-fuer-liebe-und-gegen-gewalt-a3448555.html

    Dürfte in Moskau und auf dem Foto im Spiegel, wohl identisch sein.

  2. Aus eigener (Sippe!) Erfahrung und aktuell, für Deutschland:
    Handys sind im offenene Vollzug (wie in Wohngruppen angelegt, mit Ausgang zur Arbeit oder den ganzen Tag; Nachts in „Haft“) Pflicht!
    Damit kontrollieren die „Behörden“ die Kontakte und können auch notfalls einen orten oder sogar selber anrufen. Handys sind aber nach dem Betreten der Haftanstalt abzugeben.

    Im geschlossen Vollzug sind Handys und Internetzugang innerhalb der Haftanstalten verboten!
    Sogar bei Besuchen sind die eigenen Handys (der Besucher) abzugeben.
    Unkontrollierbar sind dann nur die Ausgänge der Häftlinge, welche sie bei guter Führung dann regelmaßig (aller 14 Tage, für 2, 4 oder 8 Stunden) haben.
    Erst bei der Vorbereitung auf die Haftentlassung, dürfen die das hauseigene Internet nutzen (mit Seitenbeschränkungen natürlich und Kontrolle durch Sozialarbeiter oder dem Wachpersonal).

  3. Was mich wundert ist, dass Nawalny im Gerichtssaal herumpöbeln und sogar Richter und Staatsanwälte beleidigen kann. Vor einem deutschen Gericht hätte er dafür schon längst jede Menge Ordnungshaft kassiert. Lassen sich russische Gerichte alles gefallen?

    1. Da ist Russland IMMER ganz brav, sie könnten ja die Geld und Auftraggeber, vom Krawalnie verärgern und so-was traut sich Russland nicht. Denn die haben, die wirkliche MACHT, auf der Welt.
      Siehe ihre Corona Aktion, die Jeder Staat gehorsam mitmacht. Ausnahmen bestätigen die Regel.

  4. Na, nun machen Sie mal aus russischen Haftanstalten keine Erholungsheime! Unser Sohn war in russischer Haft. Ja, er hatte Zugang zu einem Handy, aber das war illegal. In regelmäßigen Abständen wurden Razzien gemacht und die Handys regelmäßig auch eingezogen, einschließlich der SIM-Karten. Allerdings ist / war Internet kein Problem – aber das gilt ja für ganz Russland. Nawalny hat offenbar Sonderbehandlung.

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