Ukraine

Spielball der Weltpolitik: Was erwartete die Ukraine in 2022?

Die Ukraine ist zu einem Spielball der geopolitischer Interessen geworden und ist nicht mehr in der Lage, eigene politische Ziele auch nur zu formulieren. Wie sehen ukrainische Politologen die Perspektiven des Landes für 2022?

Die russische Nachrichtenagentur TASS hat eine Analyse über die politischen Perspektiven der Ukraine veröffentlicht, die vor allem deshalb lesenswert ist, weil die TASS ukrainische Politologen, die nicht als pro-russisch bekannt sind, danach gefragt hat. Daher habe ich die Analyse der TASS übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Der ukrainische Faktor in der internationalen Politik. Ein Blick aus Kiew

Die Ukraine geht ohne echte Verbündete in das neue politische Jahr

Die Ukraine geht mit einem militärischen Konflikt im Donbass, ungewissen Aussichten auf eine Integration in die NATO und die Europäische Union, zerrütteten Beziehungen zu ihren Nachbarn und praktisch ohne echte Verbündete in das neue politische Jahr.

Vor allem aber hat sich nach Ansicht ukrainischer Experten die Rolle des Landes in den internationalen Beziehungen verändert. War sie früher das Feld der Konfrontation, so ist sie heute zu einem Druckmittel des Westens geworden, der seine eigenen strategischen Ziele verfolgt: Russland zu schwächen und zu desorganisieren, um geopolitischen Einfluss zurückzugewinnen. Aber die Ukraine selbst hat keine Bedeutung mehr.

Kein Akteur mehr

Beim letzten Treffen mit Wladimir Selensky versicherte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, dass die Gespräche über die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO ausschließlich auf bilateraler Basis stattfinden werden. Auf die direkte Frage, wann das Land in das Bündnis aufgenommen wird, antwortete Stoltenberg nicht, obwohl er danach gefragt wurde, wie der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba später zugab. Der ukrainische Präsident stellte später fest, dass sich die Einwohner des Landes selbst verteidigen müssten.

Enttäuscht zeigte sich Selensky auch beim letzten Treffen mit Botschaftern, als er sagte, ihn „demotiviere die These, dass die Ukraine in 30 Jahren der EU und in 50 Jahren der NATO beitreten“ wird. Er stimmte zu, dass die Ukraine kein vollwertiger „politischer Akteur“ auf der Weltbühne sei und setzte sich zum Ziel, das Land zu einem aktiven Akteur zu machen.

Aber ist das möglich? „Die Ukraine ist in den letzten Jahren zu einem Instrument der Konfrontation zwischen Russland und dem Westen geworden. Die westlichen Partner bauen ihre militärische Präsenz aus und schaffen damit Krisen für das russische Sicherheitssystem“, unterstreicht Ruslan Bortnyk, Direktor des ukrainischen Instituts für Politik, in einem Gespräch mit TASS.

Gleichzeitig versucht der Westen, alles so darzustellen, als ob Moskau Druck auf Kiew ausüben würde. Bortnyk ist der Meinung, dass dies „eine Bedrohung für die Sicherheit im Lande bleibt und die Frage offen lässt, ob die Ukraine in der Zukunft überhaupt und wenn ja, wie unabhängig sie sein wird“.

Selbst Selenskys ehemalige Mitarbeiter sagen, dass seine Außenpolitik nicht unabhängig ist. Der ehemalige Leiter seines Büros, Andrej Bogdan, ist beispielsweise der Ansicht, dass die westlichen Länder die Ukraine offen verhöhnen, wenn sie versichern, dass ohne sie keine Entscheidungen getroffen werden: „Biden verhandelt mit Putin, ruft den französischen Präsidenten, den deutschen Bundeskanzler, den italienischen Ministerpräsidenten an, aber uns ruft er nicht an. Und in der offiziellen Erklärung von [Selenskys] Pressedienst steht danach der Satz: „Kein Wort über die Ukraine ohne die Ukraine.“ Sie veräppeln uns nur“, bemerkte er.

Der ehemalige Innenminister Arsen Awakow vertritt eine ähnliche Meinung: „Das zeigt, dass die ukrainische Regierung in den Augen der führenden Politiker der Welt ihre Rolle als Akteur verloren hat“, kommentierte er die Situation, als Selensky nach Bidens Gespräch mit Wladimir Putin der letzte Staatschef war, mit dem Joe Biden gesprochen hat.

Die aktive Position Russlands

Die zunehmend aktive Position Russlands auf der internationalen Bühne verheißt auch für die Ukraine nichts Gutes, so der ukrainische Politologe und Direktor des Zentrums Dritter Sektor Andrej Zolotarev gegenüber der TASS. Während Kiew unverändert auf Konfrontationskurs geht, schlägt Moskau den USA und der NATO vor, Dokumente über zuverlässige und langfristige Sicherheitsgarantien zu verabschieden: „Zum ersten Mal hat Russland dem Westen ein Ultimatum gestellt, die NATO nicht zu erweitern, und hat erklärt, dass die postsowjetischen Länder sein Interessensgebiet sind“, betonte er.

Das Fehlen der Rolle als Akteur im Kontext der sich verändernden weltweiten Spielregeln und der „Konfiguration des weltweiten Schachbretts“, so der Analyst, bringe die Ukraine in eine äußerst abhängige und verletzliche Position.

Infolgedessen spielt Kiew im Prozess der friedlichen Beilegung des Konflikts im Donbass, der durch eigenes Verschulden eingefroren bleibt, eine immer unbedeutendere Rolle. Das nächste Jahr, so Bortnyk, werde ein „entscheidendes Jahr für die Ukraine, was die Existenz des Staates und die Lösung des Konflikts im Osten betrifft“

„Wenn die geopolitische Konfrontation zwischen Russland und dem Westen ihren Höhepunkt erreicht und sich die innenpolitischen Unstimmigkeiten in der Ukraine selbst verschärfen, könnte der Konflikt [im Donbass] in eine militärische Phase übergehen“, prognostizierte er. „Wenn Russland und die USA sich einigen, dann wird die Ukraine das Minsker Abkommen umsetzen, mit oder ohne Selensky.“

Unabhängig vom Szenario für die Beilegung des Konflikts ist der Donbass für die Ukraine jedoch bereits verloren, stellte Zolotarev fest: „Die Zeit, in der die Integration des Donbass noch möglich war, ist vorbei. Die wirtschaftlichen Beziehungen der Region zu Russland nehmen zu, das heißt, er ist faktisch kein ukrainisches Gebiet mehr. Die von Petro Poroschenko eingeleitete Politik, den Donbass aus der Ukraine herauszudrängen, hat ihre schwarzen Früchte getragen“, ist er überzeugt.

Kiews Kurzsichtigkeit

Der Kurs, die Beziehungen zu seinen engsten Nachbarn – Russland und Weißrussland – abzubrechen, wird aufgrund seiner offensichtlichen Nachteile immer irrationaler, stellt Bortnyk fest. Er führt die Verschlechterung der Beziehungen zu Minsk auf die Notwendigkeit zurück, dem politischen Kurs des Westens zu folgen. Diese Notwendigkeit hat auch dazu geführt, dass Kiew die Vereinbarungen mit chinesischen Investoren über das Motor-Sitsch-Werk verletzt hat, was zu einem Konflikt mit China, dem größten Handelspartner des Landes, geführt hat. Das zeige die Kurzsichtigkeit Kiews und dass es nur noch eines kann: sich mit seinen Partnern streiten.

„Eine strategische Partnerschaft mit China und Weißrussland ist aufgrund politischer Komplikationen und der Notwendigkeit, dem von den USA und Europa eingeschlagenen politischen Kurs zu folgen, nicht möglich, und die befinden sich in einem sehr schwierigen und konkurrierenden Verhältnis zu diesen Ländern“, erklärte Bortnyk.

Seiner Meinung nach besteht das Hauptproblem der ukrainischen Politik darin, dass Kiew „sich mit den Ländern anfreundet, mit denen es praktisch keinen oder nur wenig Handel treibt, und mit denen, mit denen es guten Handel treibt, Streit sucht. Das ist so ein Element der geopolitischen und wirtschaftlichen Schizophrenie, das dem Staat großen Schaden zufügt“, fügte Bortnyk hinzu.

Die Situation mit „Nord Stream-2“.

Auch die Situation rund um die Gaspipeline „Nord Stream 2“ hat sich für die Ukraine als Fehlschlag erwiesen. Nach der Inbetriebnahme der Pipeline könnten die jährlichen Gewinne des Landes nach Angaben des IWF um mehr als eine Milliarde Dollar sinken, nach Berechnungen Kiews sogar um das Doppelte. Selensky sagte, das Projekt sei eine „große Tragödie“ für die Ukraine.

Washington räumt ein, dass die Sanktionen die Umsetzung von Nord Stream 2 nicht aufhalten werden, während Berlin sich verpflichtet hat, sich für eine Verlängerung des russischen Gastransits durch die Ukraine einzusetzen. Die US-Regierung hat sich jedoch das Recht vorbehalten, Maßnahmen zu ergreifen, wenn „Russland Energie als geopolitische Waffe in Europa“ und „Aggression gegen die Ukraine“ einsetzt. Gleichzeitig hat Moskau wiederholt erklärt, dass es die Energieträger noch nie als Druckmittel eingesetzt hat.

Außer von Unterstützungsbekundungen seitens der USA und der BRD in Form von Entschädigungen für die Verluste der ukrainischen Pipeline-Betreiber und Vorschlägen zur Entwicklung grüner Energie im Zusammenhang mit dem Start von Nord Stream 2 hat das Land keine realen Garantien erhalten. Selensky forderte die europäischen Staaten und die USA Ende des Jahres erneut auf, ihre Zusagen zur Gewährleistung der Energiesicherheit der Ukraine einzuhalten. Allerdings lösten seine Äußerungen keine nennenswerten Reaktionen aus.

Der Wunsch Kiews, mit der BRD und den USA zu verhandeln, um den Transit durch sein Territorium aufrechtzuerhalten, anstatt mit dem Eigentümer des Gases – Russland – zu sprechen, erscheint nach Ansicht des ehemaligen Ministers für Wohnungswesen und kommunale Dienstleistungen, Aleksej Kutscherenko, „absolut unlogisch“.

Ungelöste Probleme der Ukraine

Nach Ansicht von Zolotarev geht die Ukraine mit einem riesigen Berg ungelöster Probleme ins Jahr 2022, von denen jedes einzelne „zum Auslöser eines perfekten Sturms für das Land werden“ könne. Zu Beginn des nächsten Jahres werde die entscheidende Frage sein, ob es Selensky gelingt, die Energiekrise des Landes unter Kontrolle zu halten: „Wenn zu den bestehenden Problemen noch ein Energiekollaps hinzukommt, könnte es zu einem Dominoeffekt kommen. Selensky wird in der katastrophalen Situation, in der sich die Ukraine dann befinden wird, den Schwarzen Peter bekommen“, erklärte Zolotarev.

Im Jahr 2022 wird die Ukraine ihre neue Außenpolitik, ihre Identität und ihren neuen Platz auf der geopolitischen Landkarte suchen müssen, meint Bortnyk. Andernfalls, so der Experte, werden die tiefe Spaltung innerhalb der politischen Eliten und das Fehlen wirksamer Regierungsmechanismen weiterhin zu zahlreichen Konflikten mit den Nachbarn entlang der ukrainischen Grenze und zu einer weiteren Verschlechterung des Lebensstandards führen.

Ende der Übersetzung


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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

4 Antworten

  1. Diese „ukrainer“ erkennen nicht, daß sie nur ein Werkzeug – ein Mittelchen zum Zweck sind – ein Stachel im Fleische Russlands zu sein… – die Quittung wird nicht besonders freundlich ausfallen… 😎

  2. Im Artikel kommt (nothing’s perfect) die derzeitige innere Verfasstheit der EU zu kurz. Dies besorgt eine riesige Bandbreite, (zwischen) dass Ukraine künftig noch nach Südwest-Balkan hintansteht und der EU-Außendienst Borrell kümmerliche Kompetenz zeigt und um seine Kenntnisnahme bettelt. Man scheint auch wenig wahrzunehmen, dass Kraftfelder eine Funktion der Zeit bilden. Die wiederum vornherein die ökonomische Stabilität in einer National-Ökonomie und den Wert des Geldes voraussetzen. (Wie die bittere Erfahrung 1991 zeigen.) Auch die Ukraine war bereits seit 1991 in einer gewissen Beweislast. Sie wurde nicht erst 2014 gegründet. Mit oder ohne Wahlen: Das Stimmungsbild kann sich an all dem Gesagten dieses Artikels hier ganz plötzlich wenden. Und alles wird vom Kraftfeld Russland abhängen. Mütterchen muss ihren Weg einfach nur fortsetzen. Innere Verfasstheit und unbekümmerte Solidarität. „That’s it!“

  3. Rückrudern begonnen?
    Mit großer Verblüffung habe ich den Artikel in RT „Der Sekretär des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrates Alexei Danilow gab ein Dementi über eine bevorstehende russische Invasion“
    https://de.rt.com/europa/129177-kiew-beobachtet-keine-grosse-ansammlung-russischer-truppen/
    gelesen.
    Es sieh aus, als versuche man (endlich) die von den Medien und unseren Politikern befeuerte Hysterie über einen russischen Einmarsch in der Ukraine zurückzufahren, nachdem der Versuch, weitere Vorteile für die Ukraine und NATO heauszupropagieren wohl gescheitert ist und sich nur noch die Frage stellt, wie kommt man zurück ohne Gesichtsverlust. Das dürfte auch bedeuten, dass von USA ein „STOP“ signalisiert wurde und in der Ukraine eine innenpolitischer Konflikt besteht.
    Oder: Vor den Gesprächen Putin-Biden und NATO-Russland will man Putin Argumente wegnehmen und hpfft damit bereits alles getan zu haben, was die Lage entkrampft. (Das sollte aber zu wenig sein)

  4. Die Ukraine ist wirtschaftlich und politisch bankrott. Sie ist Schauplatz eines Stellvertreterkrieges, den die USA gegen Russland führt. Das ist ein Sicherheitsrisiko für die EU. Sie täte gut daran einen seriösen Beitrag zur Entschärfung dieses Pulverfasses zu leisten. Für Russland sollte es eigentlich ein leicht sein, den Osten der Ukraine nach israelischem und türkischem Vorbild mit Drohnen zu destabilisieren, sodass die ukrainischen Artillerie und Drohnenangriffe auf den Donbas nicht mehr fortgeführt werden können.

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