Valdai-Konferenz: Putin im O-Ton über die aktuellen Abrüstungsverhandlungen mit den USA

Auf der Podiumsdiskussion des Valdai-Forums wurde Putin am Donnerstag eine Frage zur Abrüstung gestellt. Das ist wegen des drohenden Auslaufens des letzten noch bestehenden Abrüstungsvertrages, das möglicherweise abgewendet werden kann, ein sehr aktuelles Thema. Daher habe die Frage und Putins Antwort komplett übersetzt.

Vor einer Woche habe ich über den damaligen Stand beim letzten noch bestehenden Abrüstungsvertrag, dem NEW START Vertrag, berichtet, der die Anzahl der einsatzbereiten strategischen Atomwaffen regelt. Da der Vertrag automatisch im Februar ausläuft hat, Putin seine altbekannte Position wiederholt, den Vertrag einfach für eine bestimmte Zeit zu verlängern, um sein Auslaufen zu verhindern und Zeit für weitere Verhandlungen zu gewinnen. Der Spiegel hat das jedoch als einen ganz neuen Vorschlag Putins hin- und ihn in ein schlechtes Licht gestellt. Aber was soll schlecht daran sein, einen Abrüstungsvertrag zu erhalten? Den Artikel von letzter Woche finden Sie hier.

Inzwischen ist Bewegung in die Sache gekommen und die USA haben Putins Vorschlag zur Verlängerung von NEW START unter der Bedingung zugestimmt, dass die Zahl der Atomwaffen insgesamt für diese Zeit begrenzt wird. Russland hatte damit nie ein Problem, hat aber als Bedingung gefordert, dass die USA ihre Atomwaffen aus Europa abziehen sollten. Von dieser Position ist Russland nun abgerückt, um den NEW START Vertrag zu retten. Russland hat dem US-Vorschlag nun unter der Bedingung zugestimmt, dass die USA keine weiteren Forderungen mehr stellen.

Auf der Valdai-Konferenz wurde Putin danach gefragt und ich habe die Frage und Putins Antwort komplett übersetzt. Bevor wir zu der Übersetzung kommen, noch ein Hinweis: Putin geht in seiner Antwort auch auf andere – inzwischen von den USA einseitig gekündigte – Verträge und auf die neuen russischen Hyperschallwaffen ein. Sollten Sie sich für weitere Informationen zu diesen Themen interessieren, finden Sie hier eine Zusammenstellung aller Abrüstungsverträge, die es zwischen Russland und den USA gab, hier eine Erläuterung zum Open Skies-Vertrag und hier einen Artikel über Russlands Hyperschallwaffen.

Beginn der Übersetzung:

Frage: In Ihrer heutigen Rede haben Sie eines der dringendsten Probleme der Weltpolitik angesprochen: die Rüstungskontrolle. Während des Kalten Krieges, insbesondere in der Endphase, haben die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten durch gigantische Bemühungen auf beiden Seiten ein System von Verträgen und Vertrauensmaßnahmen aufgebaut, die die quantitative Kapazität (der Atomwaffen, Anm. d. Üers.) bestimmt und das Konfliktrisiko verringert haben. In den letzten 20 Jahren haben unsere amerikanischen Partner dieses System konsequent demontiert: zuerst den ABM-Vertrag, dann den Vertrag zur Beseitigung von Mittelstreckenraketen (INF-Vertrag, Anm. d. Übers.), den Open-Skies-Vertrag. Und jetzt ist es sehr schwierig, die Frage der Verlängerung des Vertrags über die Begrenzung und Reduzierung strategischer Offensivwaffen (NEW START Vertrag, Anm. d. Übers.) zu lösen. Dazu habe ich eine Frage. Was glauben Sie, gibt es eine Zukunft für das System der Rüstungskontrolle und welche neuen Schritte können hier unternommen werden?

Vielen Dank.

Moderator: Ich möchte gleich hinzufügen, dass es eine ganze Reihe von Fragen und eine Menge Verwirrung zu NEW START und vor allem zur letzten Initiative von vor zwei Tagen gibt, einschließlich der Frage, ob das bedeutet, dass Russland zu große Zugeständnisse gemacht hat.

Wladimir Putin: Sie haben gefragt, ob es eine Zukunft für Verträge zur Rüstungsbegrenzung gibt. Meiner Ansicht nach wird die Welt keine Zukunft haben, wenn es keine Beschränkungen für das Wettrüsten gibt. Das ist es, worüber wir alle nachdenken müssen, das ist es, worüber wir alle unsere Partner nachzudenken aufrufen.

Es ist allen bekannt und Sie haben jetzt alles aufgeführt: der Rückzug aus dem Vertrag zum Verbot einer Raketenabwehr, aus dem Vertrag über Kurz- und Mittelstreckenraketen, aus dem Open-Skies-Vertrag – noch sind sie nicht ausgestiegen, aber die Amerikaner haben erklärt, dass sie das Verfahren zum Ausstieg aus diesem Vertrag begonnen haben. Warum und aus welchem Grund, das erklären sie nicht einmal. Sie erklären einfach nicht, warum. Die Europäer sagen zu uns: „Lasst sie aussteigen, aber bleibt Ihr doch in dem Vertrag“ Ich sage denen: „Hallo, geht´s noch? Ihr seid alle NATO-Mitglieder, also werdet ihr über unser Gebiet fliegen, ihr werdet all diese Informationen an die Amerikaner weitergeben, und wir können das umgekehrt nicht tun, wenn wir in diesem Vertrag bleiben. Also stellt Euch nicht dumm und lasst uns ehrlich miteinander reden.“ Ich verstehe, dass die europäischen Partner der Vereinigten Staaten wünschen, dass die Vereinigten Staaten in diesem Vertrag bleiben, damit der nicht zerstört wird.

Was den INF-Vertrag betrifft, möchte ich darauf gar nicht eingehen, wir haben schon so oft darüber gesprochen. Wenn die Vereinigten Staaten beim Ausstieg aus dem ABM-Vertrag noch offen, direkt, grob, aber ehrlich gehandelt haben, dann haben sie hier eine Entschuldigung gesucht und Russland der Verletzung von irgendwas beschuldigt und sich aus dem Vertrag zurückgezogen. Wenn es so wäre, wie die amerikanischen Partner es behaupten, hätten sie ihn auch still und leise gebrochen. Nein, sie haben diesen Schritt einfach öffentlich und demonstrativ gemacht, das ist alles. Erzählen Sie mir nicht, dass die da alle Unschuldslämmer sind und nie etwas heimlich tun würden.

Zur Frage der Überprüfung, auch im Bereich der Kernwaffen, wissen wir, was dort vor sich geht, sie schrauben die Dinger an die Flugzeuge und erlauben uns nicht, die Basen zu kontrollieren. Okay, wir schweigen dazu, aber die Experten wissen, wovon ich spreche. Das ist einfach ihre Art, solche Schritte zu unternehmen, und zwar öffentlich und lautstark. Offenbar hat das einen gewissen politischen Zweck, weil ich hier einfach keinen militärischen Zweck erkenne. Aber das Beste wäre es, wenn diese Fragen der Überprüfung und der Kontrolle von allen Vertragsparteien umgesetzt und alle unsere Vereinbarungen durch diese Kontrollsysteme geschützt würden.

Jetzt zu NEW START. Als wir über diese Fragen verhandelt haben, haben wir doch alle Probleme berücksichtigt. Nur eines wurde nicht berücksichtigt, nämlich das, was Russland als Reaktion auf den Rückzug der Vereinigten Staaten aus dem ABM-Vertrag entwickelt hat. Das – nämlich unsere neuesten Systeme von Präzisions-Hyperschallwaffen – war eine Reaktion auf den Ausstieg der USA aus dem ABM-Vertrag. Ja, die USA haben solche Systeme noch nicht, genau wie andere Länder, obwohl alle daran arbeiten, und eines Tages werden sie sie auch haben. Und uns wird gesagt, Sie haben es gehört: „Ihr habt das jetzt, wir haben es noch nicht, also muss es mit einbezogen werden.“ Nun, wir haben nichts dagegen, lasst uns das mit einbeziehen. Sowohl die Anzahl der Trägersysteme, als auch die Zahl der Sprengköpfe. Wir haben nichts dagegen.

Es gibt noch andere Themen, über die gesprochen wird. Aber welche Wahl haben wir? Der Vertrag läuft im Februar aus. Und was ich vorgeschlagen habe, ist eine sehr einfache Sache, es liegt auf der Hand. Nichts würde geschehen, wenn wir den Vertrag um ein Jahr verlängern, diesen bestehenden Vertrag, ohne irgendwelche Vorbedingungen. Und in der Zwischenzeit können wir über alle Fragen sprechen, die uns und den Amerikanern Sorgen bereiten. Wir würden zusammenarbeiten und nach Lösungen suchen.

Denn worin besteht der Trick? Schließlich haben wir bisher in der Sache noch kaum geredet. Unsere Partner haben, um es ganz offen zu sagen, dieses direkte, inhaltliche und fachliche Gespräch gescheut. Und jetzt sind wir an dem Punkt, dass im Februar nächsten Jahres alles ausläuft.

Frage. Was ist besser: den bestehenden Vertrag so zu erhalten, wie er ist, und innerhalb eines Jahres in substanzieller Weise darüber zu sprechen, um zu versuchen, einen Kompromiss zu finden oder diesen Vertrag ganz und gar zu verlieren, damit uns, den Vereinigten Staaten und Russland und der ganzen Welt, praktisch keine Rechtsgrundlage bleibt, die das Wettrüsten einschränkt? Ich denke, die zweite Option ist viel schlimmer als die erste.

Meiner Meinung nach ist das einfach inakzeptabel. Aber ich habe es gesagt, und ich möchte es noch einmal betonen, wir klammern uns nicht an diesen Vertrag. Wenn unsere Partner entscheiden, dass sie ihn nicht brauchen – nun, so sei es, wir können sie nicht zwingen. Unsere Sicherheit und die Sicherheit Russlands werden davon nicht betroffen sein, insbesondere wegen unserer hochmodernen Waffensysteme. Das ist der erste Teil zur amerikanischen Position.

Der zweite Teil besteht darin, dass die USA fordern, diese Abkommen multilateral zu gestalten, indem auch unsere chinesischen Freunde dort einbezogen werden. Aber sind wir dagegen? Russland ist nicht dagegen, aber sie sollten die Verantwortung für die multilaterale Gestaltung dieses Vertrags nicht auf uns verlagern. Wenn sich jemand darum kümmern will, dann soll er es tun. Wir haben nichts dagegen. Sind wir ein Hindernis, sind wir auf diesem Weg? Nein.

Aber die Argumente unserer chinesischen Freunde sind sehr einfach. Ja, China ist ein riesiges Land, eine Großmacht mit einer riesigen Wirtschaft, mit 1,5 Milliarden Menschen. Aber das Niveau der nuklearen Fähigkeiten ist um die Hälfte, wenn nicht mehr, niedriger als in Russland und den Vereinigten Staaten. Sie stellen eine berechtigte Frage: „Was sollen wir begrenzen? Oder soll unsere Unterlegenheit in diesem Bereich eingefroren werden?“ Es ist das souveräne Recht von 1,5 Milliarden Menschen, zu entscheiden, wie sie ihre ihre eigene Sicherheitspolitik gestalten. Natürlich kann man das zum Gegenstand von Streitigkeiten und Diskussionen machen, um eine Einigung zu blockieren.

Erlauben Sie, aber wenn China in diesen Prozess einbezogen werden und den Vertrag unterzeichnen soll, nun, warum dann nur China? Was ist mit den anderen Atommächten? Was ist mit Frankreich, das gerade, wie die Presse berichtete, ein weiteres Marschflugkörpersystem von einem U-Boot aus getestet hat? Das ist auch eine Atommacht. Auch Großbritannien. Es gibt andere Atommächte, die offiziell nicht als solche anerkannt sind, aber die ganze Welt weiß, dass sie über Atomwaffen verfügen. Wozu wollen wir wie der Strauß den Kopf in den Sand stecken?

Wozu den Kopf in den Sand stecken und so tun, als wüssten wir nicht, was vor sich geht? Wir brauchen keine Aufkleber am Auto, wir müssen endlich losfahren, also die Sicherheit gewährleisten. Dann lasst uns alle mit einbeziehen, lasst uns das machen. Wir haben nichts dagegen. Es geht nur um eine Frage: Es gibt derzeit zumindest eine Basis, es gibt etwas anzustreben, es gibt es ein Beispiel, ein positives Beispiel, in Form des Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten und der Russischen Föderation, dem man folgen kann. Ist es besser das zu haben, oder ist es besser, überhaupt nichts zu haben? Wir sind bereit, bei Null anzufangen, bitte schön.

Wenn Sie nach unserer Position fragen, dann glaube ich, dass es besser ist, das, was früher erreicht wurde, nicht zu verlieren und von dem auszugehen, was bereits von früheren Generationen von Führern unserer Länder erreicht wurde. Aber wenn unsere Partner eine andere Entscheidung treffen, sind wir bereit, in jedem Format und auf jede Art und Weise daran zu arbeiten.

Ende der Übersetzung


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Autor: Anti-Spiegel

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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